Ukraine fordert Support-Abbruch

Russen wollen SAP nachbauen

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Russische Konzerne glauben, Software westlicher Anbieter wie SAP durch selbst entwickelte Lösungen ersetzen zu können. Derweil verlassen tausende IT-Spezialisten das Land.
Business-Software wie SAP einfach nachbauen? Kein Problem, glauben russische Wirtschaftsbosse.
Business-Software wie SAP einfach nachbauen? Kein Problem, glauben russische Wirtschaftsbosse.
Foto: Milkovasa - shutterstock.com

Nachdem etliche große Softwareanbieter wie Microsoft, Oracle und SAP angekündigt hatten, ihre Geschäfte in Russland herunterzufahren, wollen russische Firmen nun offenbar auf selbst entwickelte Lösungen umsteigen. Beispielsweise glaubt Mikhail Oseyevsky, Präsident des staatlich kontrollierten russischen Telekommunikationsunternehmens Rostelecom, dass einheimische IT-Firmen die Produkte SAPs bei angemessener staatlicher Unterstützung ersetzen könnten.

Das berichtete die "Rhein-Neckar-Zeitung" (RNZ) unter Berufung auf ein Treffen mit verschiedenen internationalen Medien. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass mit Unterstützung der Regierung auch Querschnittsprojekte in der IT gestartet werden und wir die globalen Herausforderungen bewältigen können, beispielsweise die Substitution von SAP", sagte Oseyevsky.

Mikhail Oseyevsky, Präsident von Rostelecom und Putin-Vertrauter, sagt, dass Systeme wie SAP ersetzbar sind.
Mikhail Oseyevsky, Präsident von Rostelecom und Putin-Vertrauter, sagt, dass Systeme wie SAP ersetzbar sind.
Foto: Kreml

Rostelecom ist eines der größten Telekommunikationsunternehmen in Russland mit mehr als 140.000 Mitarbeitern. Der Konzern, dessen Chef enge Beziehungen zum russischen Machthaber Wladimir Putin pflegt, verkündete 2017 eine Kooperation mit SAP und arbeitete seitdem mit den Human-Capital-Management- (HCM-)Lösungen des von SAP übernommenen Cloud-Anbieters SuccessFactors.

Raubkopien per Gesetz: Legalisiert Russland Softwarepiraterie?

Damals lobte Nikita Cherkasenko, verantwortlich für die Personalentwicklung bei Rostelecom, die SAP-Lösung noch in höchsten Tönen: "Wir wollen beim Aufbau eines neuen digitalen Russlands helfen und wissen, dass ein so großes Unternehmen wie das unsere ohne die besten HCM-Lösungen auf dem Markt nicht flexibel und agil genug sein kann." Mit Hilfe der SAP SuccessFactors-Lösungen sei man nun in der Lage, die Top-Talente mit den digitalen Fähigkeiten zu rekrutieren, die Rostelecom brauche.

IT-Spezialisten verlassen Russland

Das Anwerben von IT-Talenten könnte sich für den russischen Telko-Konzern allerdings bald von selbst erledigt haben. Tausende Fachkräfte verlassen derzeit Russland. Allein im März sollen 50.000 IT-Spezialisten dem Land den Rücken gekehrt haben, berichtete Sergey Plugotarenko, Direktor der Russian Association of Electronic Communications (RAEC). In dem Branchenverband organisieren sich etwa 150 IT-Unternehmen, darunter russische IT-Anbieter wie der Sicherheitsspezialist Kaspersky, aber auch russische Vertreter von ausländischen Konzernen wie Microsoft, Apple und Samsung.

Plugotarenko geht davon aus, dass sich der IT-Exodus im April fortsetzen wird. Verantwortlich dafür seien die Sanktionen des Westens sowie der Abzug großer westlicher IT-Konzerne aus Russland. Damit dürfte es schwer werden, die für den Bau komplexer Business-Systeme erforderlichen Entwicklerressourcen aufzustellen. Den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erwähnen die RAEC-Verantwortlichen mit keinem Wort. Der russische Machtapparat droht allen, die von Invasion und Krieg sprechen, mit drakonischen Strafen.

Christian Klein, CEO von SAP, verurteilt den Angriff Russlands auf die Ukraine: "Wie der Rest der Welt beobachten auch wir den Krieg in der Ukraine mit Entsetzen und verurteilen die Invasion aufs Schärfste. Diese rücksichtslose und ungerechtfertigte Handlung ist ein Angriff auf Demokratie und Menschlichkeit, und ihre Folgen betreffen uns alle."
Christian Klein, CEO von SAP, verurteilt den Angriff Russlands auf die Ukraine: "Wie der Rest der Welt beobachten auch wir den Krieg in der Ukraine mit Entsetzen und verurteilen die Invasion aufs Schärfste. Diese rücksichtslose und ungerechtfertigte Handlung ist ein Angriff auf Demokratie und Menschlichkeit, und ihre Folgen betreffen uns alle."
Foto: SAP SE / feinkorn photography

SAP-Vorstandschef Christian Klein hatte Anfang März angekündigt, das Geschäft in Russland herunterzufahren. "Im Einklang mit den Sanktionen stellen wir unser Geschäft in Russland und Belarus ein und pausieren außerdem den Verkauf aller Dienstleistungen und Produkte in Russland und Belarus", schrieb Klein in einem Blog-Beitrag. Bestandskunden, die nicht unter die Sanktionen fielen, würden aber im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen weiter bedient, verlautete von Seiten des deutschen Softwarekonzerns.

Wolodymyr Selenskyj: Es darf keine halben Entscheidungen geben

Diese Unterstützung hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt scharf kritisiert und SAP aufgefordert, den Support ihrer Software in Russland komplett einzustellen. "Es darf keine ,halben' Entscheidungen geben!", schrieb Selenskyj auf Twitter. "Es gibt nur schwarz und weiß, gut oder böse! Sie sind entweder für den Frieden oder unterstützen den blutigen russischen Aggressor, ukrainische Kinder und Frauen zu töten. SAP, hören Sie auf, Ihre Produkte in Russland zu unterstützen, stoppen Sie den Krieg!" Dieser Appell richtete sich auch an andere Softwareunternehmen wie Microsoft und Oracle.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte) und seine Regierung fordern von den großen Softwareherstellern, ihren Support russischer Unternehmen komplett einzustellen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte) und seine Regierung fordern von den großen Softwareherstellern, ihren Support russischer Unternehmen komplett einzustellen.
Foto: Sarakhan Vadym - shutterstock.com

In einem Interview mit der RNZ hatte SAP-Chef Klein Verständnis für Selenskyj gezeigt, gleichzeitig aber seine Strategie verteidigt. Man betreibe mit der eigenen Software zum Beispiel Krankenhäuser, Supermärkte und Unternehmen, die wichtig seien für die Impfstoff-Herstellung und -Verteilung. "Wenn wir das alles runterfahren, stoppt das nicht den Krieg", sagte der CEO. "SAP möchte sich nicht anmaßen, es besser zu wissen als Politiker und Experten". Deshalb habe man diesen Weg eingeschlagen.

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