Strategien


Digitalisierungsstrategie der französischen Eisenbahn

SNCF auf dem Weg zum digitalen Mobility-Service-Provider

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

App als Mobilitätsassistent

Beim letzten Eisenbahnerstreik informierte die App die Bahnkunden über die aktuelle Verkehrssituation.
Beim letzten Eisenbahnerstreik informierte die App die Bahnkunden über die aktuelle Verkehrssituation.
Foto: Hadrian - shutterstock.com

Für viele Pariser Fahrgäste hatte die App ihre Feuertaufe beim letzten großen Eisenbahnerstreik. Wie die beim Gespräch mit Tiers anwesenden Dolmetscher erzählten, hatten sie während des Streiks jeweils gegen 17 Uhr eine E-Mail erhalten, in der sie über die Situation am nächsten Tag informiert wurden und alternative Reisevorschläge erhielten, um die Auswirkungen des Streiks so gering wie möglich zu halten.

Die Kunden zu erreichen - in den Zügen genauso wie außerhalb - ist eines der großen Anliegen der Gesellschaft. Derzeit wird die Ausstattung der Züge mit dem kommenden Mobilfunkstandard 5G geplant. Man möchte bessere Videostreaming-Dienste und andere fortgeschrittene Internet-Services anbieten können. SNCF will bis 2020 außerdem annähernd 90 Prozent der Fahrgäste mit High-speed-WiFi versorgen.

Dabei haben die Franzosen nicht nur hohe Transferraten im Blick, sondern auch die gute Verfügbarkeit ihres Service. Während in Deutschland ein Abbruch der Internet-Verbindung in Tunneln die Regel ist, verfügen in Frankreich derzeit 85 Prozent der Tunnel über 3G- beziehungsweise 4G-Abdeckung. Entlang der Bahnstrecken hat SNCF im Durchschnitt alle 2,5 Kilometer einen 4G-Booster aufgestellt.

Schienennetz als Digital Twin

Komfort entsteht für Reisende aber vor allem dann, wenn der Zug pünktlich ist. Um das in einem engen, stark beanspruchten Schienennetz zu gewährleisten, hat SNCF einen Digital Twin (Digitaler Zwilling) seines Schienennetzes entwickelt. Mit ihm möchten dei Bahner Safety und SecuritySecurity sicherstellen, indem Fehler früh erkannt und Wartungsarbeiten vorausschauend angesetzt werden (Predictive Maintenance). Zum einen sollen so Ausfälle wegen Gleisbrüchen, Weichenstörungen etc. verhindert werden, zum anderen soll der Digitale Zwilling den Einsatz von mehr Zügen ermöglichen, zum anderen soll er höhere Geschwindigkeiten erlauben. Alles zu Security auf CIO.de

Digitalisierung der Wartung, um Ausfälle zu vermeiden.
Digitalisierung der Wartung, um Ausfälle zu vermeiden.
Foto: SNCF/FotoFremiot

Allerdings können der Digital Twin und die dahinter stehenden KI-Algorithmen ihre Arbeit nur so gut verrichten, wie die Qualität der zugrundeliegenden Daten ist. Deshalb plant SNCF, das 30.000 Kilometer lange Schienennetz bis 2020 mit 20.000 IoT-Sensoren auszustatten. Um genügend Daten über den Zustand des Schienennetzes zu erhalten, hatten die Franzosen noch eine clevere Idee: Die Zugführer, beziehungsweise deren Smartphones sollten als Sensoren für die Streckenüberwachung dienen.

Der Trick dabei ist, dass die Gyrosensoren der Smartphones vertikale und horizontale Bewegungen/Beschleunigungen messen können - also etwa das Vibrieren, Rütteln oder Schütteln eines Zuges. Diese Daten zeichnet eine von SNCF entwickelte App in Echtzeit auf und schickt sie in die Cloud. Gleichzeitig wird mit dem GPS-Sensor des Smartphone die jeweilige Position des Zuges protokolliert.

Smartphone zur Streckenüberwachung

In fünf Jahren will SNCF die ersten autonomen Züge in Betrieb nehmen.
In fünf Jahren will SNCF die ersten autonomen Züge in Betrieb nehmen.
Foto: ClS - shutterstock.com

KI-Algorithmen können nun beim Vergleich der Aufzeichnungen Abweichungen beziehungsweise Anomalien erkennen, die auf Veränderungen an der Schiene hindeuten. Auf diese Weise lassen sich reparaturbedürftige Streckenabschnitte rechtzeitig instandsetzen. Verspätungen oder gar Zugausfälle werden vermieden.

"Wir sind uns bewusst", räumt Tiers ein, "dass wir damit die klassischen Messfahrten mit einem Messzug nicht ersetzen können." Zudem können mit dem Smartphone im Gegensatz zu einem Gleismesswagen keine Informationen über eventuelle Veränderungen der Spurbreite oder die Geradlinigkeit der Schiene erfasst werden. Dennoch hat das Verfahren für SNCF einen großen Vorteil: Ein Messzug kontrolliert einen Streckenabschnitt nur in größeren Zeitabständen, während mit der Smartphone-Methode Daten mehrmals am Tag oder, auf viel befahrenen Strecken, sogar mehrmals in der Stunde gewonnen werden.

Mit solchen und anderen Projekten macht SNCF nicht nur das eigene Unternehmen fit für die digitale Welt, sondern arbeitet an einer Transformation von der klassischen Eisenbahn hin zu einem modernen, datengetriebenen MobilitätsdienstleisterMobilitätsdienstleister. Schon heute verwalten die Franzosen auf ihrer Big-Data-Plattform 180 Terabytes. Mit Partnern wie dem Institut de Recherche Technologique (IRT), Railenium, Altran, Ansaldo, Apsys, Bombardier, Bosch, Spirops und Thales arbeitet SNCF an der Entwicklung selbstfahrender Güter- und Passagierzüge. Das ehrgeizige Ziel: SNCF will in spätestens fünf Jahren der erste Betreiber eines autonomen Zuges werden. Top-Firmen der Branche Transport

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