Digitalisierung

Software Companies müssen sich neu erfinden

Der Strategieberater Kris Steinberg leitet bei Sopra Steria die Managementberatung mit Branchenschwerpunkt Industries. Er blickt dabei auf mehr als 20 Jahre Beratungs- sowie Managementerfahrung zurück. In dieser Zeit fokussierte er sich inhaltlich auf den Einsatz neuer Technologien zur Innovation von Geschäftsmodellen und „New Ways of Working“. Als Referent und Autor prägt er leidenschaftlich das Bild von und die Möglichkeiten durch Digitalisierung.  
Immer mehr klassische Industrie-Unternehmen ergänzen ihr Domänenwissen um Know-how in der Software-Entwicklung. Die IT-Branche bekommt damit neue Konkurrenz.
Die digitale Transformation in der Industrie bleibt nicht ohne Effekte für die eigentlichen IT-Unternehmen. Sie müssen ihre Strategien auf den Prüfstand stellen.
Die digitale Transformation in der Industrie bleibt nicht ohne Effekte für die eigentlichen IT-Unternehmen. Sie müssen ihre Strategien auf den Prüfstand stellen.
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Jedes Unternehmen müsse heutzutage ein Digitalunternehmen sein. Diese Botschaft wiederholte Microsoft-CEO Satya Nadella in den vergangenen Jahren immer wieder. Viele andere schlossen sich ihm an, und die Worte fanden offenkundig Gehör: Weil prominente IT-Firmen häufiger in klassische Branchen wie die herstellende Industrie eindrangen, wurde die Notwendigkeit eines Wandels in etlichen Führungsetagen zum Topthema.

Mit Alphabet und Apple etwa sind etablierte IT-Größen heute auch im Automotive-Sektor aktiv, asiatische Konzerne wie Baidu und Tencent tun es ihnen gleich. Die bekannteste Elektroautomarke der Welt ist mit Tesla eine Software Company samt angeschlossener Batterie- und Fahrzeugproduktion. Das Vorgehen ist in allen Fällen identisch. Die eigene Software-Expertise wird um branchenspezifisches Know-how erweitert; auf diese Weise wird die Disruption von Branche zu Branche vorangetrieben. Heute sind es die Batterie- und die Automobilindustrie, morgen die Raketen- und Energiewirtschaft, übermorgen die Bau- oder Lebensmittelindustrie, die von Software-Unternehmen umgekrempelt werden.

Doch Industrieunternehmen stehen bei dieser Entwicklung nicht tatenlos am Spielfeldrand und sehen zu. Obwohl Kritiker Deutschlands Industrie immer wieder eine gewisse Behäbigkeit vorwerfen, arbeiten viele Firmen am Wandel ihrer Geschäftsmodelle und erweitern nun ihrerseits spezifisches Branchenwissen um Expertise im Software-Design und in der Datenanalytik:

  • Volkswagen hat mit CARIAD ein eigenständiges Automotive-Software-Unternehmen innerhalb des Konzerns gegründet. Die Entwickler und Ingenieure arbeiten an einer einheitlichen Software-Plattform, die ein Betriebssystem, eine einheitliche Architektur sowie eine Automotive Cloud für alle Marken des Volkswagen-Konzerns umfasst. Der Markt für fahrzeugbezogene Software, den Volkswagen damit adressieren möchte, ist gewaltig und wird nach Schätzungen der Wolfsburger 2030 ein Volumen von 1.200 Milliarden Euro erreichen.

  • Das Industrie-Urgestein Siemens wurde früher angesichts seiner Kapitalreserven oftmals als Bank mit angeschlossener Elektronikabteilung beschrieben. 2010 verfügte Siemens dann tatsächlich über eine Banklizenz. Inzwischen wandelt sich das Unternehmen jedoch ebenfalls zu einer Software Company. Jeden vierten Euro im Segment Digitale Industrien setzt Siemens inzwischen mit Software um. Durch Software-as-a-Service-Angebote soll die Bedeutung der Software für das Unternehmen insgesamt deutlich steigen.

  • Voith ist ein klassischer Maschinenbauer und vor allem bekannt für Papiermaschinen, Wasserkraftwerke oder auch Schienenfahrzeuge. Doch auch bei Voith gewinnen digitale Services, softwaregestützte Lösungen und smarte Algorithmen zunehmend an Bedeutung und der Konzern bietet seinen Kunden dafür unter anderem Zugriff auf eine eigene IIoT-Plattform (Industrial Internet of Things).

Diese drei Beispiele sind keine Einzelfälle: 46 Prozent der produzierenden Unternehmen bieten bereits digitale Services an, zeigte eine Umfrage von Sopra Steria schon 2020. Zwei Drittel richten sich strategisch auf die Bereitstellung digitaler Services aus. Diese Angebote gehen mit dem Aufbau hausinterner Expertise einher, mit dem Anheuern von Entwicklern und Datenanalysten sowie dem Infragestellen von Standardisierungen zugunsten der Spezialisierung.

Diese Transformationsentwicklung in der Industrie bleibt nicht ohne Effekte für die eigentlichen IT-Unternehmen: Wenn immer mehr Industrieunternehmen sich zu Software-Unternehmen wandeln, bekommt die IT-Branche neue Konkurrenz.

Zwar bleiben standardisierte Software-Lösungen wie beispielsweise Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERPERP) auch in Zukunft gefragt und Domäne der IT-Spezialisten. Doch jenseits von Logistik, Buchhaltung und Rechnungswesen dürfte der Druck steigen und viele Software-Unternehmen unter Zugzwang setzen, ihre Rolle zu hinterfragen und eine Veränderung anzustoßen. Es wird darum gehen, sich von der Rolle des Anbieters bestimmter Software-Pakete zum Enabler digitaler Fähigkeiten zu entwickeln, die andere Branchen nutzen können. In dieser Funktion schaffen sie physikalische Infrastrukturen, Produkte oder Systeme und versetzen die Beschäftigten ihrer Kunden durch No-Code- und Low-Code-Anwendungen in die Lage, selbst digitale Lösungen umzusetzen. Alles zu ERP auf CIO.de

Probleme lösen statt Software verkaufen

Es gilt also der Grundsatz: "Solve problems, don't sell software." Gefragt sind Use-Case-orientierte Anwendungen, für die eine Kombination aus physischen und digitalen Lösungen zum Einsatz kommt. Technologie-Startups beschreiten diesen Weg bereits. Mit jedem Use Case erzählen sie eine Geschichte, eine "Story", die den Anwender direkt anspricht und ihm zeigt, wie das jeweilige Produkt oder die jeweilige Dienstleistung zur Lösung spezieller Probleme beiträgt. Dieses "Storytelling" wird künftig mehr in den Vordergrund treten - und gerade klassische Software-Unternehmen, die umfangreiche Lösungen anbieten, werden viel stärker die konkreten Probleme ihrer Kunden adressieren müssen.

Der Markt für Enterprise-Lösungen und -Infrastrukturen wird damit nicht verschwinden. Die Anbieter, die sich mit ihrem Portfolio zwischen sehr spezifischer Software und sehr allgemeinen Software-Lösungen bewegen, werden sich allerdings neu erfinden müssen. Schließlich fahren nicht nur Industrieunternehmen ihre Entwicklungskompetenzen hoch. Die Startups erhöhen den Druck zusätzlich, indem sie mit besonders spitzen Geschäftsmodellen und Minimum Viable Products (MVP) genau die Probleme der Kunden adressieren. Von solchen Startups können und sollten klassische Software-Unternehmen lernen.

Oft fängt die Entwicklung ihrer MVP-Lösungen bei einem konkreten Problem an, jedoch steht in der Regel eine umfassende Roadmap im Rahmen einer Strategieplanung dahinter, die auf eine viel größere Bandbreite an Features abzielt. Das MVP dient als Türöffner und erlaubt den Anbietern, agil auf sich verändernde Kundenwünsche zu reagieren. Wächst der Kundenstamm, lassen sich neue Features freischalten, Reaktionen testen und das eigene Angebot weiterentwickeln.

Diese Roadmap-Strategie ist nicht gänzlich neu und wird von den großen Software-Konzernen weltweit eingesetzt. Den Wandel vom Produktverkäufer zum Enabler oder Infrastrukturanbieter haben sie längst vollzogen. Doch bei den mittelgroßen IT-Unternehmen stehen solche Veränderungsprozesse oft noch aus. Sie müssen sich zwischen verschiedenen Optionen entscheiden: "Wir verkaufen an einen großen Wettbewerber, der das Gleiche macht." Oder: "Wir verschmelzen mit einem gleich großen Wettbewerber", oder: "Wir geben auf." Alle diese Möglichkeiten erscheinen ebenso unattraktiv wie ein Preis-Dumping. Doch angesichts der großen Potenziale im Markt für DigitalisierungDigitalisierung und damit für Software bleibt auch noch eine weitere Option: "Wir erfinden uns neu." (wh) Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

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