Digitaler Wandel

Unternehmen müssen von Startups lernen

20.10.2014
Von Kristin Schmidt, Manfred Engeser und Lin Freitag

Know-How durch Start-Ups

Ob einer zu den Verweigerern zählt, sei aber keine Frage des Alters, sagt Willms Buhse, Autor des Buchs "Management by Internet". Er erinnert sich an eine Veranstaltung eines großen Fotostudios vor gut zwei Jahren. "Wir haben die Mitarbeiter auf die Bühne gestellt, die schon länger digital fotografierten", sagt Buhse. "Sie zeigten der restlichen Mannschaft, was mittlerweile alles möglich ist. Das bringt mehr, als wenn der Chef den notwendigen Wandel predigt." Unter den Digitalfans waren alle Altersklassen vertreten. "Es kommt nur darauf an, wie flexibel man im Kopf ist."

Wandel mitgestalten oder gehen

Und das sind gerade Manager häufig nicht. "Führungskräfte müssen in Veränderungsprozessen oft den Verlust von Privilegien verschmerzen und Mehrarbeit hinnehmen", sagt Unternehmensberater Bormann. Die Gründe: Sie müssen sich zum einen mit der neuen persönlichen Situation arrangieren, aber auch ihre Mitarbeiter bei der Bewältigung unterstützen und an der Ausgestaltung der Veränderung mitarbeiten. Zudem müssen sie noch das Tagesgeschäft aufrechterhalten. Trotzdem: "Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Wandel mitzugestalten oder zu gehen", sagt Bormann. "Denn wenn sich nichts ändert, bedeutet das mitunter, dass Unternehmen sterben." Um diesem Schicksal zu entgehen, setzen Konzerne vermehrt auf Beteiligungen an Start-ups.

Ein einfacher Weg, um sich zusätzliches Wissen ins Haus zu holen - vorausgesetzt, es handelt sich dabei um eine strategische Beteiligung, wie im Fall von Daimler. Der Konzern versteht sich nicht mehr als Autobauer, sondern als Bereitsteller von Mobilität. Das zeigen die Investitionen des Unternehmens: Zum einen beteiligte sich die Daimler-Tochter Car2go an dem Start-up Mytaxi: Mit der App können Nutzer per Knopfdruck Taxis bestellen. Mytaxi wiederum startete eine strategische Zusammenarbeit mit einer anderen Daimler-Tochter namens Moovel. Nutzer der App müssen nur ihren Standort und ihr Ziel eintragen, und schon wird ihnen der schnellste Weg errechnet - egal, ob via Bus, Bahn, Mietwagen, Taxi oder Mitfahrgelegenheit. Die Folge: Daimler macht zwar weiterhin den größten Umsatz mit dem Verkauf seiner Fahrzeuge, aber durch seine Beteiligungen hält das Unternehmen engen Kontakt zur Internet-Szene und spürt Trends schneller auf.

Den gleichen Effekt verspricht sich auch Rewe. Zusätzlich zur neu gegründeten Online-Taskforce setzt auch der Handelsriese auf Beteiligungen an Start-ups, investierte etwa in den Online-Möbelhändler Home24. "Wir müssen von diesen Verrückten lernen", sagte Unternehmens-Chef Caparros in einem Interview mit der "FAZ".

Nerds einkaufen

Benötigen Unternehmen noch schneller Know-how von außen, etwa beim Programmieren einer neuen App, kaufen sie die Leistung bei externen Dienstleistern ein. "Das ist sinnvoll, weil es die Unternehmen flexibler macht", sagt Werner Widuckel, Professor für Personalmanagement an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und ehemaliges Vorstandsmitglied bei Audi. Wie man es schafft, dass der auf Zeit eingekaufte Nerd mit genügend Elan an das Projekt herangeht? "Räumen Sie Dienstleistern Handlungsspielräume bei der Umsetzung des Projekts ein", rät Widuckel, "und respektieren Sie deren Arbeitsweise. Die wenigsten dieser Projektmitarbeiter wollen einen Nine-to-five-Job, aber Rücksicht auf ihre persönlichen Bedürfnisse."

Dieser Kulturwandel macht sich auch bei Rewe bemerkbar: Die digitalen Denker haben sich in ihrem Großraumbüro in Köln-Mülheim, sechs Kilometer von der Konzernzentrale entfernt, im Google-Chic eingerichtet. Eine Sprossenwand und eine riesige Hängematte schmücken die Pausenecke. An die abwaschbaren Wände darf gekritzelt werden, um Ideen freien Lauf zu lassen. "Wir fühlen uns wie ein Start-up", sagt Rewe-Chef Caparros, "mit 87-jähriger Tradition." (Wirtschaftswoche)

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