Experimente mit Proto-Metaverse

US-Militär baut eigenes Metaverse

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Nach den großen Tech-Konzernen springt jetzt auch das US-Militär auf den Metaverse-Hype auf. Allerding ist nicht alles Metaverse im engeren Sinne der Definition.
Vom klassischen Trainingssimulator zum Metaverse. Auch das US-Militär arbeitet an einem Metaversum.
Vom klassischen Trainingssimulator zum Metaverse. Auch das US-Militär arbeitet an einem Metaversum.
Foto: U.S. Navy photo by MCC David Holmes

Am 10. Mai führten zwei Kampfpiloten ein Experiment in großer Höhe durch, das als Proto-Metaverse bezeichnet wird. Einige tausend Meter über der kalifornischen Wüste setzten sie sich in zwei Berkut 540 Jets maßgeschneiderte AR-Headsets auf, um sich mit einem System zu verbinden, das ein geisterhaftes, leuchtendes Bild eines Tankflugzeugs einblendete, das neben ihnen am Himmel flog. Einer der Piloten führte dann, wie Wired berichtet, ein Betankungsmanöver mit dem virtuellen Tanker durch, während der andere zusah. Willkommen im noch jungen, militärischen Metaversum.

Nicht nur das Silicon Valley ist derzeit von der Metaverse-Manie ergriffen. So wie Technologieunternehmen und Konzerne sich darum bemühen, Strategien für virtuelle Welten zu entwickeln, sprechen auch viele Start-ups, Auftragnehmer und Geldgeber im Verteidigungsbereich zunehmend vom Metaversum, auch wenn seine Definition und sein Nutzen nicht immer eindeutig sind. "Das Metaversum ist größtenteils virtuell, und virtuelle Welten sind für die Ausbildung nützlich, aber wir leben in der realen Welt", warnt Bruce Draper, Programmmanager bei der DARPA, "Der militärische Bereich ist von Natur aus physisch, es geht hier nicht um ein abstraktes Metaversum".

Die für ein Metaversum benötigten Schlüsseltechnologien - AR und VR, Headmounted Displays, 3D-Simulationen und virtuelle Umgebungen, die von Künstlicher Intelligenz erstellt werden - sind bereits im militärischen Umfeld zu finden. Das Ergebnis ist sicher weit weniger ausgefeilt, nett und weitläufig als Mark Zuckerbergs Vision einer virtuellen Welt, aber das ist ja auch der Sinn der Sache. Dafür stehen die Chancen gut, dass sich die zugrundeliegenden Technologie im militärischen Bereich auch dann durchsetzen könnte, wenn sie im zivilen Bereich kein Erfolg wird.

Kampfjets im Metaverse

So hat es beispielsweise eine Mischung aus AR, KI und Videospielgrafik Kampfpiloten ermöglicht, den Luftkampf gegen virtuelle Gegner, darunter chinesische und russische Kampfflugzeuge, zu üben und dabei Beschleunigungskräfte im Bereich mehrerer Gs zu simulieren. Red 6, das Unternehmen, das diese Technologie entwickelt, ist der Meinung, dass die Fähigkeiten eines Piloten auf diese Weise viel realistischer getestet werden können als in einem herkömmlichen Flugsimulator. "Wir können gegen jede beliebige Bedrohung fliegen", erklärt Daniel Robinson, Gründer und CEO von Red 6. "Und diese Bedrohung kann entweder von einem Menschen aus der Ferne oder von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert werden."

Ein Pilot im militärischen Flugsimulator.
Ein Pilot im militärischen Flugsimulator.
Foto: Lockheed Martin

Die AR-Technologie von Red 6 muss unter extremeren Bedingungen funktionieren, mit geringerer Latenz und höherer Zuverlässigkeit als die AR- oder VR-Headsets aus dem Consumer-Bereich. Robinson fügt hinzu, dass das Unternehmen derzeit an einer Plattform arbeitet, mit der viele verschiedene Szenarien in der erweiterten oder virtuellen Realität dargestellt werden können. "Was wir aufbauen, ist wirklich ein militärisches Metaversum", sagt er. "Es ist wie ein Multiplayer-Videospiel im Himmel."

400.000 Dollar für AR-Helm

Metaverse-bezogene Ideen sind bereits Teil einiger der neuesten Militärsysteme. Der 400.000 Dollar teure Hightech-Helm des neuen F-35-Kampfjets enthält beispielsweise ein Augmented-Reality-Display, das Telemetriedaten und Zielinformationen über Videobilder aus der Umgebung des Flugzeugs anzeigt. Im Jahr 2018 kündigte die US-Armee an, dass sie Microsoft bis zu 22 Milliarden Dollar für die Entwicklung einer militärischen Version des HoloLens Augmented-Reality-Systems zahlen würde.

AR-fähiger F35-Helm der dritten Generation. Kostenpunkt: Rund 400.000 Dollar pro Helm.
AR-fähiger F35-Helm der dritten Generation. Kostenpunkt: Rund 400.000 Dollar pro Helm.
Foto: Lockheed Martin

VR und AR sind in den letzten Jahren feste Bestandteile der militärischen Ausbildung geworden. Im Jahr 2014 entwickelten das Office of Naval Research und das Institute for Creative Technologies an der University of Southern California das Projekt BlueShark, ein System, mit dem Seeleute Schiffe steuern und in einer virtuellen Umgebung zusammenarbeiten können. Ein weiteres Projekt mit dem Namen Project Avenger wird jetzt zur Ausbildung von Piloten der US-Marine eingesetzt.

Die US-Luftwaffe setzt VR ein, um Piloten zu lehren, wie sie Flugzeuge und Einsätze steuern. VR wird auch eingesetzt, um Veteranen bei der Behandlung von chronischen Schmerzen und posttraumatischem Stress zu helfen. Und Boeing hat eine AR-Umgebung geschaffen, in der Mechaniker die Arbeit an Flugzeugen üben können, bevor sie in ein echtes Flugzeug betreten. In jüngster Zeit hat das US-Militär begonnen, komplexere virtuelle Welten zu erforschen. Dabei besteht ein wachsendes Interesse an der Verbindung und Kombination virtueller Welten in einer Weise, die dem Metaversum ähnelt.

Potenzial beim militärischen Training

Palmer Luckey, der Gründer von Oculus, war 2017 Mitbegründer des Verteidigungsunternehmens Anduril. Er ist der Meinung, dass es - ungeachtet des jüngsten Metaverse-Hypes - ein großes Potenzial für den militärischen Bereich gibt, da dort die Ausbildung so wichtig und kostspielig ist. Gleichzeitig schränkt er ein, dass die Technologie nicht hyperrealistisch sein muss, um nützlich zu sein. Er möchte, dass Anduril sich darauf konzentriert, die Technologie nur dort einzusetzen, wo es notwendig ist. "Alles, was wir mit VR machen, ist etwas, wo VR eindeutig besser ist als jede andere Option", erklärt er. Dazu gehört auch der Einsatz von VR, um Menschen in der Bedienung der Anduril-Drohnen zu schulen oder um Informationen über ein Gebiet anhand von Sensordaten am Boden anzuzeigen.

Der Einsatz von Gefechtssimulatoren beim Militär ist schon seit längerem usus, wie dieses ältere Modell zeigt.
Der Einsatz von Gefechtssimulatoren beim Militär ist schon seit längerem usus, wie dieses ältere Modell zeigt.
Foto: Lockheed Martin

Wie bei Zuckerbergs geplantem Metaverse sind auch neuere militärische Systeme stark auf KI angewiesen, um effektiv zu sein. Im Oktober 2020 wurde die von Red 6 entwickelte AR-Technologie eingesetzt, um einen echten Kampfpiloten gegen ein Flugzeug antreten zu lassen. Dieses wurde von einem KI-Algorithmus gesteuert, der im Rahmen eines KI-Dogfighting-Projekts der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) entwickelt wurde. Der KI-Pilot, der von einem anderen Startup namens EpiSci entwickelt wurde, lernte durch Versuch und Irrtum, den Gegner zu überlisten und zu übertreffen. Der KI-Pilot entwickelte schließlich übermenschliche Fähigkeiten und war in der Lage, seinen menschlichen Gegner jedes Mal zu schlagen.

Ein weiteres DARPA-Projekt mit der Bezeichnung Perceptually-enabled Task Guidance (wahrnehmungsgestützte Aufgabenführung) zielt auf die Entwicklung eines KI-Assistenten ab, der beobachtet, was ein Soldat tut, und ihm durch Sprache, Ton oder Grafiken Ratschläge gibt. Im Gegensatz zu dem von Boeing entwickelten Augmented-Reality-System, das nur in einer bestimmten Umgebung funktioniert, müsste ein solches System auch in der realen Welt funktionieren.

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