Führungskräfte trainieren Schreiben

Verräterische Handschrift

23.11.2009
Von Mirjam Hecking
Noble Füllfederhalter von Montblanc, Caran d'Ache oder Parker und Waterman sind derzeit gefragt wie lange nicht – und Manager fangen an, ihre Handschrift professionell zu trainieren. Denn Handschrift schafft nicht nur Vertrauen. Bei Einstellungen im höheren Management sind graphologische Tests immer noch verbreitet.

Immer wieder gleitet der schwere Füller aus Sterlingsilber über das Blatt, ein blaues K, dann noch ein K, noch eins und noch viele weitere - bis der Buchstabe endlich sitzt - elegant im Anstrich, mit optimalen Proportionen, sanft geschwungen und geschmeidig im Abgang.

"Sie müssen den Schwung zähmen", "schlank lassen und dann entgegensteuern", gibt Kalligrafin Karin Bauer ihrem Eleven leise aber bestimmt Anweisung. Dabei führt sie selbst einen Bleistift schwungvoll über das Papier, um zu zeigen, wie sich der Buchstabe am elegantesten in das Schriftbild einfügen lässt.

Bauers Schüler ist tief in die Materie versunken. Immer wieder probiert der Manager im schmal geschnittenen dunkelblauen Anzug neue Varianten, wandelt den Anstrich ab, den Schwung, die Linienführung - bis ihm das Resultat gefällt. "Ich wäre nicht traurig, wenn das jetzt ein Erkennungszeichen meiner Schrift würde, diese strenge Serife", sagt er, lehnt sich zurück und rückt seine Hornbrille gerade.

Seit ein paar Wochen kommt Christian Rauch regelmäßig zu Karin Bauer. Er sitzt für eine Stunde mit der zarten dunkelhaarigen Kalligrafin am mit einer durchsichtigen Plastikfolie bedeckten Esstisch und macht zwischen kalligrafierten Rilke-Gedichten und unzähligen mit Federn, Pinseln und Stiften gefüllten Behältnissen Schreibübungen.

"Ich habe immer gerne geschrieben, um meine Freundinnen mit Briefen geworben und auch Buchstaben verändert, die mir unsympathisch waren", erzählt Rauch, der beim Luxuskonzern Montblanc für den Bereich Schreibkultur verantwortlich zeichnet. "Handschrift ist Hinwendung", ist er überzeugt.

Handschriftlich verfassen heutzutage viele - wenn überhaupt - nur noch den Einkaufszettel. Statt einer Kurznotiz "pingt" man seine Kollegen per Messenger an, schreibt E-Mails statt Briefe und selbst die Telefonnummer tippt man heute meist direkt ins Handy, statt sie wie früher im Adressbuch zu notieren.

Wertschätzung in Tintenblau

Und auch persönliche Post wird immer seltener. Nur noch 7 Prozent der verschickten Briefe gehen heutzutage von privat an privat. Vor acht Jahren waren es laut Post noch 10 Prozent. Die Handschrift des Vorgesetzen, von Geschäftspartnern und Kollegen erkennen heutzutage nur noch die wenigsten.

Dementsprechend groß ist die Wirkung, wenn man zur Feder greift oder greifen lässt. Ob Pariser Prêt-à-Porter-Schauen, edle Geschäftsdinners oder die kleine, private Einladung - wer handschriftlich - womöglich professionell kalligrafiert - einlädt, ist sich der Aufmerksamkeit sicher.

"Ein handgeschriebener Brief ist nicht nur ein Brief, sondern eine postalische Wertschätzung", fasst die Wiesbadener Schriftkünstlerin Petra Beiße die Bedeutung von Handschrift zusammen. Eine Meinung, die auch der Bingener Kommunikationsberater Hasso Mansfeld vertritt, der als Autodidakt selbst Kurse anbietet. "Schrift gibt der Botschaft noch eine weitere Dimension", sagt er: "Nämlich die Form."

Im Geschäftsbereich erlebt die Handschrift derzeit ein Revival. Immer mehr Unternehmen - von der Sparkasse zum Großkonzern - rufen ihre Mitarbeiter mittlerweile dazu auf, bei besonderen Anlässen oder Kurzmitteilungen an die Kunden selbst zum Füller zu greifen. Denn das, so die Erfahrung, schafft Vertrauen und ist ein Zeichen von Wertschätzung. "Das Medium ist die Nachricht", befand schon der Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan.

Aber auch abseits professioneller Kalligrafie wächst das Interesse an Schrift. "Die Bemühungen, die eigene Schrift zu pflegen, nehmen spürbar zu", sagt Designerin Petra Beiße, die als Schriftcoach Grafiker, Werber und zunehmend auch Manager schult und regelmäßig für Großunternehmen und Verlage entwirft.

Tatsächlich sind noble Füller und hochwertige Schreibaccessoires derzeit gefragt wie lange nicht. "Gekauft werden vor allem sehr individuelle und edle Stücke", sagt Vera Marisa Schober vom Schreibwarengeschäft Bethge in Hamburg. "Es gibt ein bestimmtes Publikum, das klar differenziert. Die schreiben zwar auch E-Mails - aber privat und bei wichtigen Angelegenheiten wird wieder immer mehr der Füllfederhalter gezückt."

DAX-Chefs verlangen Spezialanfertigungen

Auch in den Chefetagen steigt das Bemühen um die eigene Handschrift. "Ich könnte Ihnen ein ganze Reihe von Dax-Chefs nennen, die zu uns gekommen sind und gefragt haben: 'Könnt Ihr mir nicht einen Füller herstellen, der mir eine charakteristische Handschrift macht'", erzählt der Montblanc-Manager.

Doch selbst der beste Füller macht aus einer Sauklaue keine gute Schrift. Und das mit dem schwungvollen eleganten Ausdruck fällt manchem alles andere als leicht. "Die Handschrift ist bei vielen verkümmert", diagnostiziert Beiße.

"Eine Handschrift muss zu der Person passen, zu ihrer Art des Schreibens", findet Kalligrafin Bauer. Sie zu verbessern, ist ein andauernder Prozess. Doch mit gestalterischen Tipps vom Grafiker oder Kalligraphen, Ratschlägen, wie man zu einem guten Rhythmus findet oder die Kursivlage beibehält, lässt sich viel erreichen.

Auch wenn die Umstellung nicht auf Knopfdruck klappt. "Das muss gepflegt werden. Das ist wie Autofahren", sagt Beiße. Selbst Goethe habe sich immer wieder zurückgezogen, um seine Handschrift zu optimieren, gibt sie zu bedenken.

Viele konzentrieren sich daher erst einmal auf ihre Unterschrift. Denn die ist im Geschäftsleben oft das Einzige, in dem noch die Persönlichkeit durchschimmert. "Die ist wie ein Foto", sagt Rauch. "Ich kann mich davon nicht frei machen."

Handschrift zeigt Persönlichkeit und Charakter

Denn die Unterschrift und mit ihr auch die Handschrift, so die weitverbreitete Meinung, hat viel mit der Persönlichkeit, dem Charakter zu tun. Diese Annahme zumindest ist Grundlage für die Arbeit von Graphologen oder Schriftpsychologen, die auch hierzulande von Personalverantwortlichen noch zur charakterlichen Einschätzung von Kandidaten herangezogen werden.

Im Vergleich zu Frankreich oder der Schweiz spielt Graphologie bei der Personalauswahl in Deutschland zwar eine eher untergeordnete Rolle, räumt Helmut Ploog vom Bundesverband Deutscher Graphologen ein. Und nicht wenige halten Schriftpsychologie für esoterischen Humbug.

Doch auch wenn der handgeschriebene Lebenslauf eigentlich der Vergangenheit angehört, lassen auch hierzulande noch immer eine ganze Reihe von Unternehmen die Handschrift ihre Kandidaten von Graphologen unter die Lupe nehmen. "Im höheren Management vor allem auf Ebenen, wo keine Einstellungstests mehr gemacht werden, ist das noch immer verbreitet", sagt Ploog. Die Vorteile sind für ihn offensichtlich. "Es funktioniert einfach und ist mit relativ geringem Aufwand verbunden."

Ablesen kann man nach Auffassung des Graphologen eine ganze Menge: persönliche Reife, Effizienz, ob jemand analytisch oder eher systemisch denkt, extra- oder introvertiert ist. Und sogar Rückschlüsse auf die Sozialkompetenz seien möglich, behauptet Ploog. Rund 200 bis 300 Euro kostet ein solches Gutachten, für das der Graphologe in der Regel eine beschrieben DIN-A-4-Seite braucht.

Die Handschrift der Lügner

Auch eine neue Untersuchung der Uni Haifa spricht der Schrift erstaunliche Aussagekraft zu. Weil beim Lügen ein Teil des Gehirns beansprucht wird, der dann beim Schreiben fehlt, fällt die Schrift von Lügenden der Untersuchung zufolge größer und breiter aus, als die von Menschen, die die Wahrheit schreiben. Und auch der Druck ist bei Lügenden fester.

Angesichts solcher Interpretationsschwere ist es kaum verwunderlich, dass es immer wieder Menschen gibt, die der Verlockung erliegen, in ihrer Unterschrift mehr Schein als Sein zu transportieren. "Zu mir sind schon Leute gekommen, die wollten, dass ich ihnen eine Unterschrift entwerfe, aus der ein Graphologe Ehrlichkeit, Treue und Verlässlichkeit lesen würde", sagt eine Kalligrafin, die unerkannt bleiben will. "Und das mehrfach."

Auch Graphologe Ploog beobachtet oft, dass Unterschriften sehr bewusst eingesetzt und verändert werden. Ganz besonders interessant ist der Unterschied zur übrigen Schrift. "Die Unterschrift zeigt, wie jemand sein möchte, die Schrift zeigt jemanden, wie er wirklich ist."

Dass die Kulturtechnik Schreiben überleben wird, bezweifelt keiner. Doch ihre Funktion und Bedeutung hat sich schon jetzt dramatisch verändert, bekommt immer mehr den Nimbus des Besonderen, den eines Luxus, den in Vollendung nur noch wenige beherrschen. Und Schreibkulturexperte Rauch geht sogar noch einen Schritt weiter: Er ist überzeugt: Künftig wird nur noch eine Elite richtig schreiben können.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.

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