Lobby-Organisation

Viele Schweinebauern denken ans Aufgeben

21.08.2018
Ist Schweinefleisch aus Deutschland bald ein rares Gut? Viele Betriebe drohen damit aufzugeben. Politische Baustellen und offene Fragen zermürbten die konventionellen Landwirte, klagt die Lobby. Kritiker werfen ihnen vor, nicht unschuldig an ihrer Lage zu sein.
Sauenhaltung in Deutschland. Prognose für die kommenden zehn Jahre.
Sauenhaltung in Deutschland. Prognose für die kommenden zehn Jahre.
Foto: ISN - Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V.

Die konventionellen Schweinezüchter in Deutschland schlagen Alarm: Mehr als die Hälfte der Ferkelerzeuger denke daran, in den nächsten zehn Jahren hinzuwerfen, sagt die Lobby-Organisation Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Das betreffe vor allem kleine Betriebe. In Süddeutschland sollen es sogar 60 Prozent sein, die ans Aufgeben denken. Ihre Klage: Die Politik lässt die Betriebe bei wichtigen Entscheidungen im Regen stehen. Wie vom kommenden Jahr an mit der Kastration von FerkelnFerkeln verfahren werden soll, ist ebenso unklar, wie die Frage, welche Regeln künftig bei der Haltung von Sauen gelten sollen. Am Dienstag stellt die ISN ihre Ergebnisse einer Mitgliederbefragung zu diesem Thema vor. Top-Firmen der Branche Nahrungsmittel

Welche Probleme beklagen die Bauern?

Die Schweinehalter treiben derzeit die "3 Ks" um: Kastenstand, Kupieren, Kastration. Beim Kastenstand handelt es sich um eine Art Metallrahmen, in dem die Sauen gehalten werden, damit sie ihre Ferkel beim Säugen nicht erdrücken. Die bislang geltende Praxis wurde vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg bereits 2016 als unrechtmäßig erkannt - auf neue Vorschriften haben sich die Agrarminister in Deutschland bislang aber nicht einigen können. Die Schweinehalter klagen, wegen dieser ungeklärten Probleme könnten sie nicht investieren: Keiner wisse, wie die Ställe der Zukunft aussehen müssen.

Auch das Kupieren, also Kürzen, der Ringelschwänze ist eigentlich schon seit längerem verboten, wird aber noch geduldet. Ein Verzicht ist für viele konventionelle Bauern schwer umzusetzen, weil sich die Tiere sonst häufig gegenseitig die Schwänze abbeißen.

Die Kastration betrifft die neugeborenen männlichen Schweine, die in der konventionellen Landwirtschaft kurz nach der Geburt oft ohne Betäubung kastriert werden. Damit soll der als unangenehm empfundene Ebergeruch des Fleischs vermieden werden. Die betäubungslose Kastration wird in Deutschland ab Anfang 2019 verboten sein - aber welches Verfahren dann zulässig sein soll, ist unter den Agrarministern ebenfalls noch umstritten.

Werden Ferkel beim Kastrieren bislang denn gar nicht betäubt?

Doch, in Biobetrieben und beim Neuland-Programm betäubt sie der Tierarzt mit dem Wirkstoff Isofluran. In der konventionellen Landwirtschaft ist das bislang nicht üblich. Die Ferkel bekommen zwar Schmerzmittel, aber keine Betäubung. Früher war die Haltung der Landwirte und der Forscher: Das sind zwei kleine Schnitte, der Schmerz ist schnell vorbei. Heute hat sich aber die gesellschaftliche Einstellung zu diesen Fragen verändert: Das Tierschutzgesetz verbietet inzwischen, Tieren vermeidbares Leid zuzufügen.

Was ist das Problem mit der Betäubung?

Auf den Biobetrieben übernimmt der Tierarzt die Betäubung. Wenn alle konventionellen Betriebe nach dieser Methode betäuben wollten, gäbe es laut ISN zu wenige Tierärzte. Und es entstehen Zusatzkosten von fast sechs Euro pro Ferkel, die sich zumindest konventionelle Landwirte nicht zurückholen könnten. Im Biobereich und bei Neuland sei das dagegen möglich, weil das Fleisch teurer verkauft werde.

Welche Kastrationsmethoden gibt es sonst noch?

Es gibt mehrere Alternativen: Neben der Vollnarkose könnten die Bauern auch unkastrierte Eber halten. Aber die nicht kastrierten Tiere sind aggressiver: Die Verletzungsgefahr in den Ställen steigt. Die Absatzkapazitäten der Schlachthöfe für diese Tiere sind sehr begrenzt. Allerdings: In Großbritannien und Irland werden fast ausschließlich Eber gemästet.

Die andere Alternative wäre eine Art Impfung gegen den Ebergeruch. Viele Tierärzte favorisieren diese Variante, weil sie den geringsten Stress für die Tiere bedeutet. Aber auch hier sagt die Branche, dass es angeblich kaum Absatzmärkte für dieses Fleisch gibt. Konventionelle Landwirtschaft und Fleischindustrie würden am liebsten eine lokale Betäubung praktizieren, die ohne Tierarzt vorgenommen wird, wie in Dänemark. Tierschützer und viele Tierärzte lehnen das ab - das bedeute zu viele Schmerzen für die Tiere.

Werden deutsche Schweine eigentlich nur in Deutschland verkauft?

Nein, der Selbstversorgungsgrad liegt bei rund 120 Prozent. Es werden also mehr Schweine in Deutschland gehalten als verzehrt. Der Rest wird exportiert: Etwa Frühstücksspeck - Bacon - nach England oder Schweinefüße nach China. Dennoch müssen laut ISN einige Teilstücke wie Filet oder Schinken aus dem Ausland nach Deutschland importiert werden, weil die Inlandsnachfrage das deutsche Angebot übersteigt.

Was sagen Kritiker zu den Problemen der Schweinehalter?

Der Alternativ-Bauernverband Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sieht zwar auch, dass die Politik endlich Weichen stellen muss. Das Grundproblem sei aber die Überproduktion in Deutschland, die zu nicht besonders auskömmlichen Erzeugerpreisen führe, sagt der niedersächsische Landesvorsitzende Ottmar Ilchmann. "Ich habe große Zweifel, ob der Grund zur Aufgabe immer eine neue Auflage oder eine Gesetzesverschärfung ist, oder ob es nicht die fehlende wirtschaftliche Perspektive für die Betriebe ist." Bei Tierwohlfragen müsse es europäisch einheitliche Regeln geben.

Ähnlich äußert sich auch die Organisation Foodwatch. "Die ISN und die Nutztierhalter haben sich mit ihrer Strategie, das billigste Schweinefleisch in der EU zu produzieren, selbst in eine Sackgasse hineinmanövriert", sagt Foodwatch-Experte Matthias Wolfschmidt. Die Landwirte verdienten kein Geld, weil sie sich durch Überproduktion in einen ruinösen Wettbewerb hineinmanövriert hätten.

Kritik kommt auch vom Deutschen Tierschutzbund. "Es ist unredlich, jetzt mit dem Totschlagargument der Betriebsaufgabe zu drohen, weil man an der für die Bauern kostengünstigen aber aus Tierschutzgründen schon lange abzulehnenden Methode der betäubungslosen Kastration festhalten will", sagt Vizepräsidentin Brigitte Rusche. Die Umweltorganisation Greenpeace fordert die Politik zum Handeln auf. "Da ist der Staat gefragt, mit klaren Gesetzen, zukunftsfähigen Strategien und finanziellen Mitteln zu unterstützen." Der Handel müsse faire Preise für eine bessere Tierhaltung zahlen, ein paar Cent reichten nicht aus, sagt Greenpeace-Expertin Stephanie Töwe. (dpa/rs)

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