Interkulturelle Kompetenz

Von Team-Papas und Meetings morgens um vier

Bettina Dobe war bis Dezember 2014 Autorin für cio.de.
Andere Länder, andere Sitten. Wer im Auslandseinsatz ist oder in gemischten virtuellen Teams arbeitet, braucht viel Gespür für andere Kulturen.

Einen Mitarbeiter für ein Projekt auf die andere Erdhalbkugel zu schicken, ist in vielen deutschen Unternehmen schon Alltag. Auch virtuelle Teams, die international und interkulturell zusammen arbeiten, nehmen immer mehr zu. Zudem werben viele Unternehmen gezielt Fachkräfte aus dem Ausland an. Im internationalen Miteinander reicht es jedoch nicht, nur gute Fremdsprachenkenntnisse mitzubringen. Interkulturelle Kompetenzen sind ebenso wichtig, gerade in der IT.

"Wir spüren seit zwei, drei Jahren einen sich weiter intensivierenden Bedarf nach Internationalisierung, selbst im Mittelstand", sagt Lars Janitz, Executive Vice President der itelligence AG, einem Komplettdienstleister im SAP-Umfeld. Er verantwortet weltweit das Application Management und das Gesamtprofolio in Zentral- und Osteuropa.

Der Bedarf an spezialisierten IT-Profis wächst und wächst. "Selbst große Lieferteams wie in den USA oder Deutschland tun sich schwer damit, die gesamte notwendige Skill-Bandbreite abzudecken", sagt Janitz. Zudem steigt der Druck, kostengünstige Lösungen zu finden, weiter an. Die neuen Märkte fordern von Führungskräften jedoch eine neue Art der Kommunikation.

Englisch allein reicht nicht

Hat viel Erfahrung mit interkulturellen Teams: Lars Janitz von der itelligence AG.
Hat viel Erfahrung mit interkulturellen Teams: Lars Janitz von der itelligence AG.
Foto: Itelligence AG

Wenn Mitglieder eines Teams aus verschiedenen Nationen kommen, prallen verschiedene Werte aufeinander. "Dass das Wertegerüst so unterschiedlich ist, ist einem anfangs gar nicht so sehr bewusst", erklärt die interkulturelle Trainerin Judith Reeb. "Man denkt, dass man viel gemeinsam hat, weil man eine Sprache, nämlich Englisch, spricht."

Selbst Englisch als gemeinsame Arbeitsebene ist nicht immer zu erwarten. "Tatsächlich ist die Sprachbarriere immer noch ein Thema", sagt Janitz. "In Ländern wie Russland oder Japan habe ich zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass gutes Englisch immer noch nicht überall anzutreffen ist. Das stellt teilweise eine Herausforderung an die Kommunikation mit Kunden und Partnern dar", erzählt er. Das ziehe bei Kundenterminen oft Nachteile nach sich.

"Man braucht häufig einen Übersetzer. Gerade in Japan hatte ich das gar nicht erwartet", sagt Janitz. Die Deutschen übrigens seien da manchmal nicht besser, erzählt er. "Das erlernte Schul-Englisch reicht nicht aus für das gesamte Leben, wenn später die Praxis fehlt. Da ist regelmäßige Auffrischung unumgänglich." Auch Führungskräfte hätten oft Probleme mit der Lingua Franca. Ein Sprachtraining ist für fast alle eine gute Investition.

Deutsche kommunizieren sehr direkt

Die Verständigung ist nicht nur rein technisch zu sehen. "Es geht um mehr als nur das reine Verstehen oder das Austauschen von Sachverhalten", sagt Janitz. "In der IT sind die Fachbegriffe ohnehin alle auf Englisch und die Internationalität ist auch in Deutschland schon gegeben", sagt Janitz.

Da ist die IT ein Vorreiter. Die Metaebene spielt für ihn eine große Rolle. "Wie wollen Sie denn den Gesprächspartner durch einen Witz, oder Smalltalk einnehmen, wenn die sprachlichen Möglichkeiten begrenzt sind?", fragt Janitz. Ohne eine zusätzliche Kommunikationsebene ist man gerade in einem anderen Land hilflos.

Selbst wenn beide Parteien ausreichend Englisch sprechen, erschweren die unterschiedlichen Kommunikationsstile die Verständigung häufig. "In Deutschland wird sehr sachlich und direkt kommuniziert", sagt Reeb. "In vielen Kulturen, etwa den südeuropäischen, wird viel indirekter kommuniziert, und es wird sehr viel Wert auf persönliche Beziehungen gelegt."

Interkulturelle Trainerin Judith Reeb.
Interkulturelle Trainerin Judith Reeb.
Foto: Ikud-Seminare

Die unterschiedlichen Werte kann man nicht immer verbinden und Manager haben es oft schwer, das Zwischenmenschliche unter Kontrolle zu halten. "Man muss vor allem ein Bewusstsein, Verständnis und Akzeptanz dafür wecken, dass es Unterschiede gibt", sagt Reeb. "Zum Beispiel ist für Deutsche Pünktlichkeit ein Wert an sich - aber andere Kulturen empfinden Zeit ganz anders.

Für sie ist es nicht unhöflich, zu spät zu kommen, denn innerhalb ihres Wertesystems sind sie nicht zu spät", sagt Reeb. Inder haben zum Beispiel ein polychrones Zeitverständnis: Die Zeit läuft im Kreis, nicht linear. Wie sollte man da zu spät kommen können?

Es gibt nur eine Möglichkeit, Verständnis zu wecken: "Man muss beiden Parteien den dahinterliegenden Wert vermitteln", sagt Reeb. Erkennt der jeweils andere, dass hinter einem Verhalten ein kultureller Wert steht, wird er sein Gegenüber mit mehr Respekt behandeln.

Interkulturelle Seminare

Um dieses Verständnis zu gewährleisten und um mögliche Probleme schon vorher zu thematisieren, schlägt Reeb eine Team-Charta mit Verhaltensregeln vor, an der sich alle Mitarbeiter beteiligen können. Janitz hat so etwas Ähnliches in der Praxis ausprobiert - mit Erfolg. "So haben wir zum Beispiel bei der Übernahme unseres Partners in der Türkei ein intensives vorbereitendes Training durchgeführt", sagt er. Während eines zweitägigen Seminars zu interkultureller Kommunikation habe man versucht herauszufinden, wo Gemeinsamkeiten bestehen und wo Herausforderungen auf das Team warten könnten.

"Hinterher gab es von allen Beteiligten ein gutes Feedback. Ich denke, dass dies eine der Grundlagen für erfolgreiche Integration und Zusammenarbeit war und ist", sagt Janitz. Ohne Vorbereitung sollte sich kein Entscheider auf ein interkulturelles Projekt einlassen. "Die Schwierigkeiten in der Kommunikation können sogar zum Scheitern von Projekten führen", warnt Reeb ergänzend.

Länderinteressen gehen vor

Nicht nur die Kommunikation kann ein Problem sein: "Wer Verantwortung für ein anderes Land übernimmt, sollte bedenken, dass das Zusammenführen der Landesinteressen und der Unternehmensinteressen eine weitere Herausforderung darstellt", sagt Janitz. Jedes Land möchte seinen Gewinn maximieren und selbst am besten dastehen. "Eine Führungskraft muss geschickt darin sein, zwischen den nicht immer deckungsgleichen Interessen zu vermitteln", sagt Janitz.

Meetings am Sonntagmorgen um vier

Einigen Kulturen ist es wichtig, dass das Zwischenmenschliche stimmt.
Einigen Kulturen ist es wichtig, dass das Zwischenmenschliche stimmt.
Foto: Yuri Arcurs - shutterstock.com

Und dann gibt es ja noch die lokalen Gepflogenheiten: "Deutlich geschäftsbehindernde Unterschiede zwischen den Kulturen habe ich in meiner Arbeit bisher nicht erlebt", sagt Janitz. Trotzdem kann es Probleme geben: "Wer im mittleren Osten arbeitet, muss mit der Thematik der verschobenen Woche arbeiten können", sagt Janitz. Freie Sonntage gibt es im Islam nicht, dafür freie Freitage. "Als Chef will ich aber meinen Angestellten ermöglichen, wenigstens am Wochenende Zeit mit der Familie zu verbringen", sagt Janitz. Schwierig, wenn jeder die Woche anders definiert.

Auf unterschiedlichen Kontinenten kommt die Zeitverschiebung hinzu. "Meine Leute arbeiten viel, aber ich möchte ihnen Freiräume ermöglichen. Wenn dann jeden dritten Tag morgens um vier eine Telefonkonferenz stattfindet, ist das extrem schwierig", erzählt Janitz. Eine richtige Lösung für ein internationales Team auf unterschiedlichen Kontinenten gebe es aber nicht.

Auf lokales Know-How kommt es an

Führungskräfte gehen nicht nur selbst ins Ausland, sondern entsenden auch Mitarbeiter. Jedoch passt das nicht für jeden. "Dabei ist es wichtig, bei der Besetzung dieser Positionen insbesondere auch Kandidaten zu berücksichtigen, die mit den Bräuchen und Gepflogenheiten des jeweiligen Langes vertraut sind", sagt Janitz.

In Ländern, wo die Rollenmuster sehr anders aufgebaut sind als in der Heimat, müsse eine Führungskraft lernen, sich ein Stück zurückzzunehmen. Interkulturell lauern viele Fettnäpfchen, in die man ungewollt treten kann. "Uns Deutschen wird häufig Arroganz nachgesagt, das muss man unbedingt vermeiden. Vor allem in kleineren Ländern gilt das", so Janitz weiter. Fingerspitzengefühl sei angesagt.

Vor Ort brauche es einen Manager, der interkulturell führen kann. "Ich achte darauf, wer sich adaptieren kann", sagt der SAP-Experte. Wenn ein Mitarbeiter etwa keinen Alkohol trinkt, sollte sich ein Chef zweimal überlegen, ihn in ein Land zu schicken, wo Alkoholkonsum erwartet wird und das Verweigern als Beleidigung aufgefasst wird. "Man darf sich ja nicht hinstellen und die Kultur verändern wollen - wir müssen uns anpassen", sagt er. Die Compliance-Regeln sollten allerdings beachtet werden.

Wen schicke ich?

Janitz achtet bei der Mitarbeiterauswahl genau darauf, wen er wohin schickt. Und verzichtet schon mal auf den Experten, wenn er das Gefühl hat, derjenige würde sich dort nicht wohlfühlen. "Ich schicke dann lieber jemanden auf die Stelle, der nur 90 Prozent der fachlichen Maximal-Anforderungen erfüllt - da ist mir die zwischenmenschliche Zusammenarbeit genauso wichtig wie die SkillsSkills", so der itelligence-Mann. Er rät ohnehin dazu, sich mit einem interkulturellen Training auf den Auslandsaufenthalt vorzubereiten. Alles zu Skills auf CIO.de

Verständnis kann bedeuten, vorausschauend zu planen: "Manchmal hilft es auch, zwei Projektpläne zu haben: einen offiziellen und einen inoffiziellen. So vermeidet man unangenehme Überraschungen im Zeitmanagement", sagt Trainerin Reeb.

Trotzdem kann es in internationalen Projekten krachen, auf die Kulturebene schieben dürfe man das aber nicht: "Ein Konflikt darf nicht kulturalisiert werden", warnt Reeb. In größeren Projekten müsse man pro-aktiv beobachten, um einen Stillstand zu vermeiden, meint Janitz. Auf jeden Fall müssten die betroffenen Mitarbeiter physisch an einem Tisch sitzen, wenn es kritisch ist. Für solche Fälle habe er auch einen Manager, der besonders gut im interkulturellen Kontext zuhause ist.

Ihn kann er im Fall der Eskalation als Mediator einsetzen. "In der IT gibt es ja manchmal regelrechte E-Mail-Schlachten, wo teilweise wenig zielführende Konversationen hin- und hergehen", sagt er. Ein solches Verhalten sollte unterbrochen werden. Was in normalen Teams gilt, gelte für interkulturelle Teams gleich doppelt: Verständnis kommt auf, wenn man sich gegenüber sitzt.

Der Team-Papa

Gelegentlich treten Probleme recht unerwartet auf: "Oft sind Konflikte gar nicht zu erkennen, bis sie aufbrechen", sagt Reeb. "Gerade im asiatischen Bereich schwelen Probleme lange, bis auf einmal alles blockiert ist." Ein Chef müsse dann erst mal weg von der Sachorientierung und dem Problem an sich. Stattdessen helfe eine Team-bildende Maßnahme. "Bei Fragen und Problemen muss die Führungskraft auf den Teamleiter zugehen und ihn persönlich wieder ins Boot holen", sagt Reeb.

Wer in ein externes Projekt entsendet wird, müsse sich auf viel Neues einlassen: "In vielen Kulturen ist es unabdingbar, dass man sich als Geschäftspartner anfreundet", sagt Reeb. "Dann ist der Teamleiter so etwas wie der Vater oder die Mutter des Teams und hat für gute Stimmung zu sorgen."

Es kann aber auch vorkommen, dass ein Mitarbeiter interkulturelle Kommunikation betreiben möchte, aber überrascht feststellt, dass dies nicht notwendig ist. So berichtet Janitz, der in Instanbul eine Firma übernahm: "Im Geschäftsleben ist die Türkei Deutschland sehr ähnlich: Wir sind alle sehr zielstrebig, die Disziplin in Meetings ist sehr hoch und die Arbeit ist sehr fokussiert", erzählt er.

"Von der Türkei wurde ich absolut positiv überrascht. In Istanbul jedenfalls herrscht absolute Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau", erzählt er. Damit verbunden sei ein hoher Frauenanteil in Unternehmen. Daran könne sich die deutsche IT-Landschaft, wo Frauen immer noch selten gesehen sind, ruhig ein Beispiel nehmen.

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