Antidiskriminierungsgesetz

Was das AGG gebracht hat

Sebastian von Rabenau ist seit 2004 in der Rekrutierung von Fach- und Führungskräften tätig und unterstützt und berät seitdem Unternehmen aller Größenordnungen bei der Besetzung von Schlüsselpositionen im Bereich IT.
Das Antidiskriminerungsgesetz AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ist 15 Jahre alt. Ist die Furcht vor betrügerischem "AGG-Hopping" noch berechtigt?
Enttäuschung über eine Bewerbungsabsage ist eine normale Reaktion. Es gibt allerdings auch Menschen, die sich mit dem Vorsatz bewerben, eine Absage zu erhalten, um daraus im Zuge einer Klage wegen Diskriminierung möglicherweise Schadensersatz zu erhalten.
Enttäuschung über eine Bewerbungsabsage ist eine normale Reaktion. Es gibt allerdings auch Menschen, die sich mit dem Vorsatz bewerben, eine Absage zu erhalten, um daraus im Zuge einer Klage wegen Diskriminierung möglicherweise Schadensersatz zu erhalten.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Groß waren die Sorgen, als im Sommer 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, auch: Antidiskriminierungsgesetz) verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde. Unternehmen befürchteten durch das Land vagabundierende Bewerberinnen und Bewerber, die ihren Lebensunterhalt fortan mit betrügerischen Bewerbungen bestreiten. Die Schwindler könnten Unternehmen wegen angeblicher Diskriminierungen auf Schadensersatz verklagen und damit hohe Kosten für die Wirtschaft produzieren. Eingetreten ist das allerdings nicht.

Antidiskriminierungsgesetz: Die Angst vor der Beweislastumkehr

Als das AGG verabschiedet wurde, war die Bundesrepublik bei der Umsetzung der EU-Richtlinien gegen Diskriminierung bereits sechs Jahre im Verzug. Wahrscheinlich hätte es auch noch länger gedauert, hätte die EU-Kommission nicht im Sommer 2004 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Vorbereitungen für das Inkrafttreten 2006 liefen in den meisten Unternehmen bereits Wochen vorher:

  • sie überarbeiteten jede Bewerberkommunikation, von der Stellenanzeige bis zum Absagetext;

  • sie passten Arbeitsverträge an;

  • sie ergänzten Stellentitel um "m/w";

  • sie ersetzten oder entfernten Aushänge in den eigenen Büros.

Über allem schwebte dennoch die Unsicherheit, ob der ganze Aufwand ausreicht. Grund dafür war die in § 22 AGG festgesetzte Beweislastumkehr, falls ein Indiz für Diskriminierung beim Arbeitgeber vorliegt.

Diese Beweislastumkehr wird bereits durch die gerechtfertigte Vermutung einer Diskriminierung ausgelöst. Sofern ein Unternehmen sich gegen den Vorwurf der Diskriminierung nicht selbst entlasten kann, soll der Klägerin oder dem Kläger ein pauschaler Schadensersatz in Höhe von drei Monatsgehältern zustehen. Deshalb fürchteten einige Unternehmen, es würden Horden von Bewerbenden nach Anzeichen einer Diskriminierung suchen und damit Unternehmen Beträge in Milliardenhöhe entlocken.

Direkt nach der Einführung bliebt die erwartete Klagewelle jedoch aus. Es gab zwar vereinzelte Meldungen über Applikanten, die viele Klagen angestrengt hatten. Allerdings entschieden die Gerichte in diesen Fällen mit Augenmaß, anstatt willkürlich absurde Ansprüche zu gewähren. Von dem heraufbeschworenen „AGG-Hopping“ gibt es keine Spur.

AGG: Antidiskriminierungsgesetz bleibt ausbaufähig

Dennoch beeinflusste das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, wie die Personalbeschaffung in Unternehmen fortan aussah. Viele Betriebe gaben bei Ablehnungen zum Beispiel keinerlei Begründungen mehr an, um jede damit verbundene Angriffsfläche zu vermeiden. Rückmeldungen wurden bevorzugt mündlich anstatt schriftlich ausgetauscht, um keine beweisverwertbaren Indizien zu liefern. Vorher war es üblich, Bewerbenden nach einem Gespräch mitzuteilen, welche Inhalte aus dem Gespräch besonders interessant waren oder Bedenken aufgeworfen haben. Nun beschränken sich viele Unternehmen darauf, ihnen das reine Resultat des Gesprächs mitzuteilen und gegebenenfalls weitere Termine zu planen.

Beispiele, wie mit diskriminierenden Vermerken versehene und zurückgesandte Bewerbungsunterlagen, wurden immer seltener. Diskriminierungen gab es freilich weiterhin. Aber solange ein Unternehmen alle formalen Aspekte in der Kommunikation beachtete, war diese für den Bewerbenden schwerer erkennbar – und damit auch schwerer nachweisbar.

Daher sprachen sich erste Bewertungen des AGG dafür aus, es anzupassen. So sollten eineige Punkte, die sich aus der Praxis ergeben hatten, klarer bestimmt werden. Die Kritiker forderten zudem, Diskriminierungen wirkungsvoller zu verhindern. Es gelte, den rein restriktiven Charakter des Antidiskriminierungsgesetzes grundsätzlich mehr auf tatsächliche Gleichstellung auszurichten. Neben kleinen Anpassungen blieben fundamentale Änderungen des Gesetzes allerdings aus.

Im vergangenen Jahr machte ein Urteil des Landgerichts München (LG München I, 06.07.2020 - 12 KLs 231 Js 139171/12) noch einmal auf die Thematik des AGG-Hoppings aufmerksam. In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil stellte das Gericht fest, dass der wiederholte Versuch der Schadensersatzforderung auf Basis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durch Bewerbungen, die mit der Absicht verschickt wurden, den Job nie tatsächlich anzutreten, sogar als strafbarer Betrug zu werten ist.

Es verurteilte einen Rechtsanwalt zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Die Richter setzten sich dabei mit mindestens zwölf Bewerbungen auseinander, die laut Urteil in betrügerischer Absicht versandt wurden - drei davon laut Feststellung erfolgreich, neun als Versuch.

Damit lässt sich festhalten: Das AGG hat die betriebliche Praxis verändert und kann so langfristig möglicherweise wirklich Diskriminierungen im Einzelnen verhindern. Dennoch gibt es weiterhin eine Vielzahl Betroffener von Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Anlaufstellen für Betroffene von Diskriminierung am Arbeitsplatz

Bevor externe Institutionen in Anspruch genommen werden, sollten Betroffene versuchen, ihr Anliegen innerhalb des Unternehmens zu klären. Wenn möglich sollte der oder die Vorgesetzte hier die erste Anlaufstelle sein. Weitere Ansprechpartner können auch der Betriebsrat oder, wenn vorhanden, der Gleichstellungsbeauftragte im Betrieb sein. Zudem ist jeder Arbeitgeber lt. § 13 AGG dazu verpflichtet - unabhängig von seiner Größe - eine Beschwerdestelle für Diskriminierungen einzurichten.
Sollten eine innerbetriebliche Klärung nicht möglich sein oder nicht zum Erfolg führen, bietet die Antidiskreminierungsstelle des Bundes sowohl aktuelle Informationen wie auch einen Wegweiser für Betroffene an, der die Person durch eine Abfrage nach der Art der Diskreminierung zu den passenden Beratungsstellen führt.
Und selbstverständlich besteht immer die Möglichkeit, eine Angelegenheit gerichtlich klären zu lassen.

Unternehmen agieren seit Einführung des AGG diskriminierungssensibler und die Regelungen zeigen direkte sowie indirekte Wirkung. Die Gleichstellung als eigentliches Ziel des Antidiskriminierungsgesetzes wurde dennoch nicht bedeutsam gefördert und deswegen besteht weiterhin Änderungsbedarf. Die Hoffnungen und Erwartungen, diesem Ziel durch das AGG näher zu rücken, stellen sich als ebenso unbegründet dar, wie die Befürchtungen über AGG-Hopper und deren Schädigung der Wirtschaft. (bw/jd)

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