Das Arbeitsmarkt-Dilemma

Wenn nur Topkräfte vom Job-Boom profitieren

28.02.2018
So paradox war die Lage noch nie: Die einen suchen verzweifelt neue Mitarbeiter, die anderen nicht minder verzweifelt einen Job - warum beide nicht zusammenfinden, gehört zu den großen Problemen des deutschen Arbeitsmarktes. Die Lösungssuche bleibt weiter schwierig.
Rein rechnerisch fehlt schon jetzt nicht viel zur Vollbeschäftigung
Rein rechnerisch fehlt schon jetzt nicht viel zur Vollbeschäftigung
Foto: OPOLJA - shutterstock.com

Würde man die zuletzt 764.000 freien Stellen auf einen Schlag allein mit Arbeitslosen besetzen, hätte Deutschland über Nacht nur noch 1,78 Millionen amtlich registrierte Jobsucher. Doch die Arbeitsmarkt-Wirklichkeit sieht anders aus. Vielen, die seit Jahren verzweifelt eine Stelle suchen, fehlt es an Fachwissen, um die immer anspruchsvolleren Aufgaben erledigen zu können. Die Folge: Von dem nun schon gut zehn Jahre währenden Job-Boom haben vor allem gut ausgebildete Fachkräfte profitiert, Langzeitarbeitslose kaum.

Das spiegelt sich in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wider: Trotz des boomenden Arbeitsmarkts verharrte die Zahl der Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos waren, über viele Jahre bei rund einer Million. Erst seit gut eineinhalb Jahren sinkt ihre Zahl. Nach Einschätzung der Nürnberger Bundesbehörde liegt sie aber auch mit zuletzt knapp 857.000 immer noch zu hoch. Bis Ende des Jahres will sie Bundesagentur-Chef Detlef Scheele deshalb auf unter 800.000 drücken, kündigte er kürzlich an.

Angebot und Nachfrage gehen weiter auseinander

Zwar ist das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage auf dem deutschen Arbeitsmarkt kein neues Problem. Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels bringt das Ungleichgewicht die Bundesagentur aber immer stärker unter Druck. Denn seit Jahren wird es für Unternehmen schwieriger, frei gewordene oder neue geschaffene Stellen mit qualifizierten Kräften zu besetzen. Hatte es etwa im Jahr 2010 im Schnitt noch 57 Tage gedauert, bis eine Stelle besetzt war, so sind es im Vorjahr bereits 102 Tage gewesen, zeigt eine aktuelle Analyse der Bundesagentur vom Dezember 2017.

In einigen technischen Berufen, aber auch im Gesundheitswesen, dauert es inzwischen teils bis zu einem halben Jahr, bis Betriebe einen geeigneten Bewerber gefunden haben. Negativer Spitzenreiter ist nach der jüngsten BA-Engpassanalyse der Beruf des Altenpflegers mit einer durchschnittlichen Vakanzzeit von 171 Tagen. 165 Tage dauerte es zuletzt, bis ein Klempnereibetrieb einen geeigneten Sanitär-, Heizung- und Klimatechniker gefunden hat.

Für die geradezu paradoxe Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt steht auch die sich öffnende Schere zwischen Erwerbstätigen- und Arbeitslosenzahl. Denn während 2017 im Schnitt knapp 640.000 neue Arbeitsplätze entstanden, ging die Arbeitslosigkeit lediglich um knapp 160.000 zurück. Ein großer Teil der neu entstandenen Stellen wurde nach BA-Erkenntnissen von Frauen und Männern besetzt, die nach längerer Elternzeit in ihren Beruf zurückkehren, von EU-Arbeitsmigranten und zu einem kleinen Teil von Asylbewerbern und Älteren, die inzwischen später in Rente gehen.

Chronisch Arbeitslose

Dass von Jobaufschwüngen nicht mehr Langzeitarbeitslose profitieren, treibt seit Jahren Arbeitsmarktforscher um. Dass Problem sei dabei nicht unbedingt, dass Langzeitarbeitslose gar keinen Job finden, sondern, dass sie ihn oft meist schon nach einiger Zeit wieder verlieren, stellte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unlängst in einer Studie fest. Die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit spricht dabei von "chronisch Arbeitslosen" im Hartz-IV-Bezug, deren Zahl sie mit 1,35 Million beziffert.

Die populistische Einschätzung, dass bei so vielen freien Stellen jeder einen Job findet, der wirklich arbeiten wolle, halten Arbeitsmarktforscher für eine wirklichkeitsfremde Stammtischparole. Denn selbst hochmotivierte Jobsucher stünden in der Regel nach längerer Arbeitslosigkeit bei ihrem Weg zurück in die Arbeitswelt oft vor hohen Hürden. Schon länger arbeitslos gewesen zu sein, so zeigen IAB-Befragungen von Firmen- und Personalchefs, gehört dabei mit zu den größten Hindernissen.

Langzeitarbeitslose über 50 kaum vermittelbar

Für andere Langzeitarbeitslose erweisen sich oft ihr Alter von über 50 Jahren, gesundheitliche Einschränkungen, vor aber allem fehlende Schul- und Ausbildungsabschlüsse als unüberwindbare Vermittlungsprobleme. Ausländischen Jobsucher fehlt es oft an Deutschkenntnissen, Müttern am passenden Betreuungsplatz für ihre Kinder. Und auch die Pflege von Angehörigen macht manchen die JobsucheJobsuche schwerer als anderen. Kommen gleich mehrere dieser Hemmnisse zusammen, tendiert die Chance der Betroffenen, jemals eine Arbeit zu finden, gegen Null, lautet der IAB-Befund. Alles zu Jobsuche auf CIO.de

Dass die große der Zahl der Arbeitslosen nicht nur ein wichtiges Arbeitskräftepotenzial darstellt, sondern auch eine sozialpolitische Herausforderung, ist längst auch an der Bundesagentur-Spitze Thema. BA-Vorstandschef Detlef Scheele trommelt inzwischen für eine individuelle Betreuung von Langzeitarbeitslosen - samt dem Blick auf das familiäre Umfeld der Betroffenen. Jobsucher bräuchten auch nach der Job-Vermittlung noch Betreuung. Pilotmodelle in einigen Regionen hätten sich als erfolgversprechend erwiesen. Das gehe aber nur mit viel Geld aus der Bundeskasse, machte Scheele wiederholt deutlich. Dabei setzt er auch auf die große Koalition. (dpa/rs)

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