Strategien


Monsanto-Übernahme

Wie der Carve-out von Bayer an BASF ablief

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.
Dass Kartellbehörden klaglos zusehen, wie Bayer Monsanto schluckt, hat selbst bei Bayer niemand geglaubt. Dass Teile des Crop-Science-Geschäfts verkauft werden mussten, ahnten alle. Nur war lange nicht klar, welche und an wen. CIO Daniel Hartert schildert, wie die IT den Verkauf vorbereitet hat.
  • Das Henne-Ei-Problem: Den Merger gibt es erst, wenn der Verkauf stattgefunden hat. Und den Verkauf gibt es erst, wenn der Merger stattgefunden hat.
  • Ein cross-funktionales Team bereitete in einem Pre-Merger-Planning-Projekt zunächst die Veräußerung vor.
  • Drei neue Systemlandschaften entstehen: Zwei komplett neue ERP-Systeme werden gebaut und ein bestehendes ERP-System wird erweitert.
Daniel Hartert - CIO der Bayer AG: "Normalerweise benötigt man für einen Carve-out dieser Größenordnung mindestens zwölf Monate. So viel Zeit hatten wir aber nicht."
Daniel Hartert - CIO der Bayer AG: "Normalerweise benötigt man für einen Carve-out dieser Größenordnung mindestens zwölf Monate. So viel Zeit hatten wir aber nicht."
Foto: Bayer AG

Daniel Hartert freut sich, dass seine IT wieder im Mittelpunkt steht. Der Geschäftsführer der BayerBayer Business Services sagt, er habe selten so viel Aufmerksamkeit erhalten wie in den letzten zwei Jahren - vom Vorstand, von den Mitarbeitern und von CIO-Kollegen aus Gartners Research Board. Beim Thema Mergers & Acquisitions sind auf einmal alle hellwach: "Als wir 2016 die Pläne zu Monsanto auf den Tisch gelegt haben, war uns klar, dass uns die über 30 Regulierungsbehörden weltweit Auflagen machen würden", sagt Hartert: "Aber wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Teile des Geschäfts das betreffen würde." Top-500-Firmenprofil für Bayer

Das Henne-Ei-Problem

Erschwerend kam bei der geplanten Übernahme von Monsanto hinzu: "Wir erhalten die Genehmigungen der Regulierungsbehörden nur, wenn die abzugebenden Geschäftseinheiten bereits vollständig veräußert sind. Der Käufer wiederum kann allerdings erst dann bestätigen, dass der Kauf vollzogen ist, wenn die Systemwelt entsprechend an ihn übergegangen ist", erzählt Hartert. "Catch22" würden Amerikaner so eine Situa­tion nennen. Deutsche sprechen eher vom Henne-Ei-Problem: Den Merger gibt es erst, wenn der Verkauf stattgefunden hat. Und den Verkauf gibt es erst, wenn der Merger stattgefunden hat.

Wie bereitet man unter solchen Umständen einen Verkauf vor?

Um es gleich vorwegzunehmen: Am Ende hat BASFBASF Teile der Crop-Science-Geschäfte gekauft, während Bayer Monsanto übernahm. Das erste Crop-Science-Paket ging im Oktober 2017 für 5,9 Milliarden Euro an die Ludwigshafener, 1.800 Beschäftigte wechselten den Arbeitgeber. Top-500-Firmenprofil für BASF

Foto: Bayer AG

Das zweite Paket ging im April 2018 für 1,7 Milliarden Euro an BASF, 2.500 Beschäftigte wechselten den Arbeitgeber. Gemüsesaatgut, einige Saatgutbehandlungsmittel, die Forschungsplattform für Weizenhybride sowie bestimmte Glyphosat-basierte Herbizide in Europa kommen ab jetzt aus Ludwigshafen statt aus Leverkusen.

Ebenfalls den Rhein hochgewandert sind drei Forschungsvorhaben im Bereich der Totalherbizide und das Digital-Farming-Geschäft von Bayer. "Normalerweise benötigt man für einen Carve-out dieser Größenordnung mindestens zwölf Monate", sagt Hartert: "So viel Zeit hatten wir aber nicht."

Möglich geworden ist das Geschäft schließlich, weil Bayer sich zusammen mit dem IT-Dienstleister Tata Consultancy Services (TCS) eine "Carve-out-Solution" einfallen ließ, die zumindest Bayer und TCS für total neuartig halten. Und die geht so:

1. Pre-Merger-Planning-Projekt

Ein cross-funktionales Team bei Bayer Business Services bereitet zunächst die Veräußerung vor. Dieses Pre-Merger-Planning-Projekt (PrMP) ist nötig, denn lange ist noch völlig offen, welche Geschäfte konkret abgegeben werden müssen und wer für deren Übernahme in Frage kommt. Bayer könnte die Geschäftsfelder einzeln oder insgesamt, an einen strategischen Investor mit entsprechender Infrastruktur oder auch an einen Finanzinvestor abgeben. "Die Voraussetzung hierfür ist, die abzugebenden Geschäfte mit einer voll funktionsfähigen Systemlandschaft sowie mit einem externen IT- und BPO-Service-Provider auszustatten", sagt Hartert: "Und das Ganze sollte möglichst lean sein, denn gerade Private Equity hat es gerne schlank."

2. Drei neue Systemlandschaften

Das Bayer-Team entwickelt zusammen mit mehr als 200 Mitarbeitern von TCS neue Prozesse und Systeme für IT, Procurement, HR sowie Finanzen und Accounting. Drei neue Systemlandschaften entstehen. Das gemeinsame Team entwirft zwei komplett neue ERP-Systeme und baut ein bestehendes ERP-System aus. Mehr als 25 Buchungskreise funktionieren jetzt losgelöst von Bayer. Die neuen Systemlandschaften umfassen auch 400 Non-ERP-Applikationen, zum Beispiel ein HR-System für mehr als 3.000 Mitarbeiter in 25 Ländern und neue Entgeltlösungen in 16 dieser Länder. Außerdem stellt das Team 9.000 neue und voll konfigurierte Laptops und Handys bereit.

3. Lösung auf der grünen Wiese

TCS betreibt die Services zunächst weiter. BASF findet eine Lösung vor, die erst einmal auf der grünen Wiese weiterlaufen kann. "Sehr oft ist es bei Carve-outs so, dass der ausgewählte Provider nach dem Closing der Transaktion automatisch zum Provider des Käufers wird - zumindest auf Zeit", erklärt Hartert. "Damit können wir uns voll auf unsere eigenen Prioritäten konzentrieren, allen voran die Integration von Monsanto."

Erstaunlich an diesem Ansatz ist in der Tat: Am Ende haben zwar 4.300 Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber gewechselt, bei Bayer hat allerdings kein einziger Mitarbeiter aus IT, Accounting oder Procurement das Unternehmen verlassen.

Die Lessons Learned

Was lief nicht so gut bei der neuen Carve-out-Solu­tion? "Nun gut", sagt Hartert. Man trage die Learnings gerade noch zusammen. Drei Dinge ließen sich aber jetzt schon konstatieren:

  • Die Abstimmungsprozesse mit Käufern können immer noch optimiert werden.

  • Wenn 4.300 Mitarbeiter auf neue Anwendungen und Prozesse trainiert werden, kann man das auch immer noch besser machen. "Das war bei uns aufgrund des hohen Zeitdrucks eher mit der heißen Nadel gestrickt", sagt Hartert.

  • Auch ein Service-Provider wie TCS kann nicht in über 15 Ländern direkt eine neue Payroll aufsetzen. Das braucht Wissen. Hartert: "Wir haben in diesem Projekt umfangreiches Know-how aufgebaut, wie so etwas in den unterschiedlichsten Ländern funktioniert."

Einen vollautomatisierten Carve-out wird es also auch in Zukunft nicht geben. Erst einmal sei aber gut, dass die Carve-outs jetzt routinierter ablaufen, sagt Hartert. Bayer wird das Thema M&A vermutlich auch in den nächsten Jahren beschäftigen, das haben Covestro, Lanxess und jetzt die Crop-Science rund um das Gemüsesaatgut gezeigt. Hartert freut das. Die Bereinigung des Unternehmensportfolios bleibe Daueraufgabe. Und die IT beweist dabei ihre unternehmerische Agilität. Das ist viel besser als abstrakt über Digitalisierung zu reden.

Zur Startseite