Schummeln mit Zoom, ChatGPT & Co.

Wie Remote Work Fake-Bewerber anlockt



Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Der Remote-Work-Trend hat neue Möglichkeiten geschaffen, beim Einstellungsprozess zu betrügen – für weniger qualifizierte Bewerber, aber auch für dubiose Fake-Unternehmen.
Vorsicht: Bewerbungsgespräche per Videokonferenz öffnen Betrügern Tür und Tor.
Vorsicht: Bewerbungsgespräche per Videokonferenz öffnen Betrügern Tür und Tor.
Foto: Ground Picture - shutterstock.com

Da viele Arbeitgeber dem Thema Home-Office im Zuge der Corona-Pandemie deutlich positiver gegenüberstehen, können Mitarbeitern häufig ihre Tätigkeit komplett remote auszuüben - teils Hunderte Kilometer vom Sitz des Arbeitgebers entfernt. Wie Vadim Kravcenko, Mitbegründer und CTO der Schweizer Digitalagentur Mindnow, in seinem Blog berichtet, gewinnt damit aber auch ein neues Phänomen deutlich an Fahrt: Interviews as a Service.

"Ein polnischer Softwareentwickler entpuppte sich als Entwickler-Team aus China."

Allerdings bezieht sich Kravcenko dabei nicht auf die herkömmlichen Interview-as-a-Service-Dienstleister, die Bewerber oder Unternehmen bei der Vorbereitung auf anspruchsvolle Vorstellungsgespräche unterstützen. Er meint vielmehr die betrügerische Variante, bei der qualifizierte Leute zum Vorstellungsgespräch erscheinen und im Namen einer weniger geeigneten Person den Job an Land ziehen.

Neue Möglichkeiten mit Zoom, ChatGPT & Co.

Kravcenko zufolge gab es im vergangenen Jahr eine dramatische Zunahme von Bewerbern mit hervorragenden LinkedIn-Profilen und tollen Referenzen, die sich weigern, bei Telefonaten die Kamera anzuschalten, und deren Stimmen sich von Vorstellungsgespräch zu Vorstellungsgespräch änderten. Seine Company habe mit solchen Fake-Bewerbern zahllose Stunden verschwendet.

Als Krönung des Ganzen habe Mindnow sogar einen Softwareentwickler aus Polen als Auftragnehmer eingestellt, der sich im Nachhinein als Entwicklerteam aus China entpuppte. Peinlicherweise habe seine Company auch eine Weile gebraucht, um herauszufinden, dass etwas nicht stimmt, so Kravcenko.

Es gebe immer mehr Anbieter von Dienstleistungen, die Bewerber "unterstützen", indem sie ihnen während des virtuellen Vorstellungsgesprächs Antworten direkt auf den Bildschirm geben, konstatiert er. Und mit dem Aufkommen von ChatGPT sei es einfacher denn je, das System zu betrügen, indem man einfach die Fragen direkt in die Maschine einspeist und Antworten in Echtzeit erhält.

Im späteren Job sei es dann ähnlich, erklärt der Mindnow-CTO: StackOverflow ist rund um die Uhr verfügbar, und ChatGPT oder GitHub Autopilot können Code schneller ausspucken, als man ihn lernen kann. "Warum sollte man sich die Mühe machen, ein erfahrener Entwickler zu werden, wenn man es vortäuschen kann?", so Kravcenko.

Zahlreiche schlechte Erfahrungen

Die Erfahrungen von Mindnow sind kein Einzelfall. Im Juli vergangenen Jahres warnte das FBI davor, dass gestohlene Identitäten - und sogar Deepfake-Videos - vermehrt dazu genutzt würden, um sich für Remote-Jobs in der Tech-Branche zu bewerben. Auch in zahlreichen Foren wird das Problem thematisiert.

Auf Hacker News etwa berichten etliche Startups von den vielfältigen Tricks solcher Fake-Bewerber - und den Folgen. So entpuppten sich häufig Entwickler, die aufgrund ihrer hervorragenden Präsentation beim Vorstellungsgespräch als Senior DeveloperDeveloper eingestellt wurden, anschließend als Anfänger, die nur zusammenkopierten Code auf Junior-Niveau ablieferten. Alles zu Developer auf CIO.de

Ein lukratives Geschäft für die Betrüger, selbst wenn sie wieder entlassen werden, wie Kravcenko ausführt: Das Onboarding in ein Projekt dauert mindestens zwei bis drei Wochen, dann vergehen weitere zwei bis drei Wochen, bis man feststellt, dass mit dem neuen Mitarbeiter etwas nicht in Ordnung ist. Im Anschluss braucht es dann noch einmal genauso lang, um dies dem Vorgesetzten mitzuteilen und den Hochstapler zu feuern. Insgesamt kämen damit zwei Monatsgehälter für leitende Angestellte zusammen - gutes Geld für Betrüger, die diese Aktion mehrmals im Jahr wiederholen.

Im Zweifel sei eine Nicht-Einstellung daher immer noch besser als eine schlechte Einstellung, da diese so viel mehr kostet als nur das Geld, das Sie für sie verschwendet haben, erklärt der Mindnow-Mitbegründer. Hinzu kämen nämlich noch Dinge wie die vergeudete Zeit für eine Einarbeitung, die Enttäuschung darüber ausgetrickst worden zu sein, um sich mit ihrem Blödsinn zu befassen, und die Auswirkungen auf das betroffene Team.

Bevor Sie eine Entscheidung treffen, sollten Sie besser zusätzliche Stunden mit der Überprüfung des Bewerbers verbringen, rät der CTO. Außerdem seien persönliche Vorstellungsgespräche immer noch das A und O, weshalb man nicht die Mühe scheuen sollte, den Bewerber für ein Treffen mit den zukünftigen Teammitgliedern gegebenenfalls einzufliegen.

Auch Betrüger auf Arbeitgeberseite

Kravcenko weist darauf hin, dass nicht nur Bewerber beim Bewerbungsprozess betrügen. Es gibt auch Cyberkriminelle, die Stellenangebote nutzen, um als vermeintliche Arbeitgeber Jobinteressenten abzuzocken. So berichtet Mashable etwa von drei Fällen, wo sich Betrüger als Manager der News-Plattform ausgaben und die neuen Mitarbeiter baten, das Geld für die Anschaffung von Arbeits-Equipment wie Smartphones und iPads vorzustrecken.

"Die von den Mitarbeitern angeschafften Geräte gingen statt an den IT-Dienstleister nach Nigeria"

Anschließend sollten sie dann die Devices an einen IT-Dienstleister schicken, der sie mit der erforderlichen Software ausstattet und andere für die Arbeit benötigte Hardware bereitstellt. Tatsächlich ging die Lieferung aber an ein Versandlager, das angewiesen worden war, die Geräte nach Nigeria zu schicken.

Diese Masche sei viel hinterhältiger, da sie oft Menschen trifft, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, und in der Hoffnung auf einen neuen Job die Warnsignale nicht erkennen, erklärt Kravcenko: "Wenn ein Unternehmen durch eine schlechte Einstellung Geld verliert, ist das eine geschäftliche Angelegenheit, aber wenn eine Person aufgrund einer gefälschten Stellenanzeige Geld verliert, ist das etwas Persönliches."

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