SAP-Expertise

Wie Stada IT-Fachkräfte in Belgrad an sich bindet

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.
Die Finanzinvestoren Bain und Cinven haben im August 2017 den Pharmakonzern Stada übernommen. 5,4 Milliarden Euro haben sie für 65 Prozent des Generika-Herstellers auf den Tisch gelegt. Mit dabei: Bestes serbisches SAP-Know-how.
  • Weshalb Stada ein Corporate Shared Service Center gegründet hat
  • Wieso die Wahl für den Standort von Stada IT Solutions auf Belgrad fiel
  • Weshalb sich die Ausbildung von IT-Fachkräften in Serbien lohnt
  • Warum die Systemlandschaft nur auf SAP s/4 Hana vereinheitlicht werden soll

CIO Angela Weißenberger schlendert zu ihrem zweiten Arbeitsplatz im Herzen von Belgrad - vorbei an Gründerzeitbauten mit bröckelndem Putz, Cafés mit Plüschsesseln, der polnischen Eurobank, der österreichischen Ersten Bank, dem Lacoste-Laden, H&M und Zara. Das Zara-Gebäude ist das Ziel. Hier arbeitet die CIO des ursprünglich deutschen Pharmakonzerns StadaStada in Etagen über dem Mode-Shop mindestens einmal im Monat bei der Stada IT Solutions. Top-500-Firmenprofil für Stada

Shared-Service-Center in der Fußgängerzone

Dieses Shared-Service-Center ist wahrscheinlich das einzige weltweit, das mitten in einer Fußgängerzone residiert. Beste Lage in ganz Serbien. Die Airbnb-Preise schwanken hier zwischen 12 und 34 Euro pro Bett. Wie ist Stada dorthin geraten? "2012 sind wir unsere Sourcing-Strategie angegangen", erklärt Weißenberger, die seit 2010 die IT von Stada leitet: "Wir hatten im Brot-und-Butter-Geschäft viel zu viele Externe."

Weißenberger entwickelte daher den Vorschlag, diese Aufgaben nearshore in ein Corporate- Shared-Service-Center auszulagern, möglichst in ein Land, in dem Stada auch selbst vertreten ist und in dem es schon eine ausbaufähige IT-Abteilung gab. "Da blieben nur noch Russland und Serbien", sagt Weißenberger. Und hier, mitten in der Fußgängerzone von Belgrad, hatte die serbische Firma eine Immobilie, die genutzt werden konnte.

Angela Weißenberger mit Novica Bosnic, Abteilungsleiter des Competence Center SAP.
Angela Weißenberger mit Novica Bosnic, Abteilungsleiter des Competence Center SAP.
Foto: Stada Arzneimittel AG

Internationale Treffen lassen sich einfach organisieren

Stadas Produktion in Nischni Nowgorod, 400 Kilometer östlich von Moskau, liegt fern vom Headquarter in Bad Vilbel bei Frankfurt. Und Moskau selbst kostet mehr als die meisten anderen Metropolen. Serbien und Belgrad sind da näher und günstiger. Knapp zwei Stunden dauert der Flug von Frankfurt. Gut sieben Millionen Serben sind ein relativ kleiner Einflussfaktor auf die Weltwirtschaft - viele von ihnen emotional immer noch hin und hergerissen zwischen Russland und der EU. "Für uns ergibt sich der Vorteil, dass internationale IT-Treffen am einfachsten in Belgrad stattfinden können", sagt Weißenberger: "Weder die EU-Bürger noch die Russen brauchen hier ein Visum."

Seit 2012 hat Serbien den Status eines EU-Beitrittslandes, genauso wie Montenegro und Albanien. Slowenien und Kroatien sind bereits Mitglieder der Europäischen Union. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic fordert deshalb auch einen baldigen Beitritt, denn die meisten der EU-Forderungen habe man ja schon umgesetzt. Der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn bemängelt jedoch Unzulänglichkeiten bei der Gewaltenteilung, der Pressefreiheit und unentschlossenes Vorgehen gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Mit einem Beitritt sei deshalb frühestens zwischen 2019 und 2025 zu rechnen.

Drei Gründe für Serbien

Junge Serben frustriert diese vage Ansage natürlich. Zwölf Prozent von ihnen sind arbeitslos. Und auch die sehr gut Ausgebildeten können nicht das tun, was sie eigentlich könnten. Tamara Radivojevi? ist so eine: Sie bereitet gerade ihren zweiten Studienabschluss in Mathematik an der Universität von Belgrad vor, während sie studienbegleitend bei Stada IT Solutions arbeitet - und dabei tief ins Innere von SAP-Software vordringt. Bereits die dritte Generation von Studenten bildet Stada gerade in der eigenen "Juniorakademie" aus. Fast alle stellt das Unternehmen anschließend auch ein. "Tamara ist einer unserer Stars", sagt Weißenberger. Die junge Serbin lächelt verlegen.

Fachkräfte auszubilden lohnt sich für Stada in Serbien aus drei Gründen:

  1. Die Studenten bringen eine solide Grundausbildung mit. Die Universität von Belgrad mit ihren 90.000 Studenten genießt einen guten Ruf. Aber auch die anderen Hochschulen der Zwei-Millionen-Metropole müssen sich nicht verstecken.

  2. Sprache ist kein Problem. Die Studenten sprechen fließend Englisch, einige auch Deutsch. Allen ist klar, dass sie mit ihrer Muttersprache allein nicht weit kommen. Die ganze Stadt hat sich schon darauf eingestellt: Kyrillische Schriftzeichen stehen noch auf den Straßenschildern, aber kaum noch auf Werbetafeln.

  3. Junge Talente bleiben dem Unternehmen treu. Die Stada IT Solutions verzeichnet in Belgrad eine Fluktuation von gerade mal sieben Prozent pro Jahr. Die Zahl an an­deren attraktiven Arbeitgebern ist begrenzt. "Wir haben hier noch ein Alleinstellungsmerkmal", sagt Weißenberger: "Selbst die SAPSAP in Serbien kann nur regionale Projekte anbieten. Bei uns können die Kollegen dagegen internationale Projekte machen." Alles zu SAP auf CIO.de

Zum Beispiel die Integration von Thornton & Ross. 2014 hat Stada das englische Unter­nehmen gekauft. Inzwischen sind weitere in Australien, Argentinien und anderswo dazugekommen. Mehr als 100 Unternehmen gehören heute zu Stada. Wenn es nach Weißenbergers Willen ginge, sollten alle so schnell wie möglich ins zen­trale SAP-System integriert werden.

Seit 1986 internationalisiert Stada. Die 11.000 Mitarbeiter arbeiten mittlerweile in 125 Ländern. Der Hauptmarkt ist zwar nach wie vor Deutschland mit rund 30 Prozent vom Umsatz. Aber die anderen Länder ziehen nach. Zuletzt glänzte Italien in puncto Wachstum. Aber auch Länder wie Vietnam schaffen es mit Generika und eigenen Marken mittlerweile unter die Top Ten der Umsatzbringer. Seit 2001 ist Stada im deutschen Aktienindex MDax gelistet. Seitdem hat es seinen Umsatz vervierfacht.

SAP-Systemlandschaft soll auf S/4HANAlaufen

Durch Akquisitionen vor mehr als zehn Jahren und das schnelle Wachstum sind drei regionale SAP-Systeme innerhalb der Firma gewuchert: eines für Westeuropa, eines für Südosteuropa und eines für die Länder der ehemaligen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), also Russland und Co. Der Vorstand denkt darüber nach, eine einheitliche SAP-Landschaft zu schaffen. "Ich halte das für eine sehr gute Idee", sagt Weißenberger. "Und wenn wir diese SAP-Systemlandschaft schaffen, dann auf Basis von S/4HANA, denn die richtigen Innovationen finden nur noch auf S/4 statt."

Die IT-Kennzahlen der Stada Arzneimittel AG.
Die IT-Kennzahlen der Stada Arzneimittel AG.
Foto: cio.de

Mit dem zweiten Release (16/10) sei ein Wechsel für Stada schon interessant geworden. Jetzt wäre Weißenberger froh, wenn sie auf das dritte Release (17/09) aufspringen könnte. Seit mehr als einem Jahr beschäftigen sich die Belgrader IT-Leute zusammen mit den Kollegen aus Bad Vilbel und Nischni Nowgorod mit dem Thema S/4. Tamara Radivojevi? und ihre Mentoren arbeiten trotzdem daran, Thornton & Ross auf den westeuropäischen Stada-Standard auf Basis von ERPERP ECC 6.0 zu heben. "Wir nutzen jetzt erst einmal das westeuropäische System für Thornton & Ross - natürlich, UK gehört zu Europa", sagt Weißenberger. "Dieses System wäre aber auch die Basis für das Global S/4, da es das größte System ist und das, das am meisten in Line mit den Corporate-Business-Prozessen ist." Alles zu ERP auf CIO.de

Das serbische Fernsehen berichtet bereitwillig über Stada IT Solutions. Zu gerne hätten die Belgrader mehr solche Erfolgsgeschichten.
Das serbische Fernsehen berichtet bereitwillig über Stada IT Solutions. Zu gerne hätten die Belgrader mehr solche Erfolgsgeschichten.
Foto: Stada Arzneimittel AG

Von R/3 zu S/4HANA - ein fundamentaler Architekturwechsel

Weißenberger hält diesen Architekturwechsel für ähnlich fundamental wie den Sprung von R/2 zu R/3: "Performante Realtime-Verarbeitung war überfällig. Wenn man CO-PA (Ergebnis- und Marktsegmentrechnung, Anm. d. Red.) betrachtet, kommt das eigentlich 20 Jahre zu spät." Zudem sei bei Stada eine Harmonisierung und StandardisierungStandardisierung der Prozesse auf Basis einer einheitlichen Systemlandschaft wichtig. Vermutlich wird Weißenberger in den nächsten Jahren noch öfter als einmal im Monat durch Belgrads Fußgängerzone schlendern. Immerhin arbeiten dort jetzt schon mehr ITler als in Bad Vilbel. Und vielleicht werden ja auch mal die Gründerzeitbauten neu verputzt. Alles zu Standardisierung auf CIO.de

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