Ex-CIOs von BMW und VW

"Wir müssen weg von diesem Schneckentempo"

Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Klaus Straub, Ex-CIO von BMW, und der einstige Volkswagen CIO-Martin Hofmann sind sich einig: Die Automobilbauer müssen in Sachen Digitalisierung schneller werden und ihre IT-Kompetenz stärken.
Martin Hofmann (links) und Klaus Straub blicken auf ihre CIO-Karrieren bei VW und BMW zurück und fordern mehr Geschwindigkeit beim digitalen Umbau.
Martin Hofmann (links) und Klaus Straub blicken auf ihre CIO-Karrieren bei VW und BMW zurück und fordern mehr Geschwindigkeit beim digitalen Umbau.
Foto: automotiveIT / facesbyfrank

"Die Automobilindustrie muss die digitale Transformation mit mehr Speed vorantreiben", fordert Klaus StraubKlaus Straub, langjähriger CIO der BMWBMW Group. DigitalisierungDigitalisierung habe immer mit Geschwindigkeit zu tun. Zentrale Fragen lauten für ihn: "Wie können wir schneller auf Veränderungen reagieren? Wie kriegen wir Produkte früher auf den Markt?" AgileAgile Methoden, wie sie die BMW-IT unter seiner FührungFührung auf breiter Front einführte, seien eine Antwort darauf, und das nicht nur in der Automobilbranche. Auch in der Legacy-IT brauche es eine agile Transformation. Dazu gehöre es, Prozesse und Kulturen dramatisch zu verändern. Straub: "Viele schreiben heute agil drauf. Wenn man unter die Decke schaut, entdeckt man Wasserfall in Reinkultur." Top-500-Firmenprofil für BMW Profil von Klaus Straub im CIO-Netzwerk Alles zu Agile auf CIO.de Alles zu Digitalisierung auf CIO.de Alles zu Führung auf CIO.de

Auf dem automotiveIT-Kongress in Berlin blickte Straub im öffentlichen Talk mit Martin HofmannMartin Hofmann, vormals Group CIO der Volkswagen AGVolkswagen AG, auf die großen Umbrüche in der Automobilindustrie zurück. Von der einst Mainframe-dominierten IT-Welt über Client-Server-Architekturen, dem Aufkommen von Web-Technologien bis hin zum Siegeszug des Cloud ComputingCloud Computing habe man immer wieder radikale Technologiesprünge erlebt, so Straub. Heute sei klar: "IT-Kompetenz im Unternehmen entscheidet über den Erfolg". Wer IT nicht beherrscht, werde auf lange Sicht Probleme bekommen. Top-500-Firmenprofil für Volkswagen AG Profil von Martin Hofmann im CIO-Netzwerk Alles zu Cloud Computing auf CIO.de

Ex-Volkswagen-CIO Hofmann sieht das ähnlich. Er beklagte die zu große Abhängigkeit der Autobauer von einzelnen IT-Herstellern und Systemintegratoren. Könnte er nochmal auf der "grünen Wiese" als CIO anfangen, würde er die Eigenleistung der IT drastisch erhöhen, beispielsweise in der Softwareentwicklung und bei Technologien wie künstlicher Intelligenz oder AnalyticsAnalytics. Alles zu Analytics auf CIO.de

"25 Prozent Kerneigenleistung reichen nicht"

Eine Kerneigenleistung von derzeit 25 bis 35 Prozent reiche nicht aus, ergänzte Straub, der heute unter anderem als CEO des Beratungsunternehmens Exadit aktiv ist. Er hält 70 Prozent für notwendig. Erfolgsentscheidend für den Ausbau eigener IT-Kompetenzen sei ein selektives Vorgehen. Der klassische IT-Betrieb etwa sei in vielen Fällen in der Cloud besser aufgehoben. In wettbewerbsdifferenzierenden Bereichen dagegen sei eine Eigenleistungsquote von 90 Prozent durchaus angemessen: "Die Entwicklung zu einem datengetriebenen Unternehmen, das auf künstliche Intelligenzkünstliche Intelligenz und Big DataBig Data Analytics setzt, funktioniert nur mit eigenem Know-how." Leider hießen die Digital Leader heute nicht Volkswagen oder BMW. Straub: "AppleApple würde es beispielsweise nie einfallen, im iPhone-Bereich auch nur fünf Prozent externe Softwareentwicklung einzukaufen. Die wollen eine Kerneigenleistung von 100 Prozent!" Alles zu Apple auf CIO.de Alles zu Big Data auf CIO.de Alles zu Künstliche Intelligenz auf CIO.de

"Apple würde es nie einfallen, im iPhone-Bereich auch nur fünf Prozent externe Softwareentwicklung einzukaufen", sagt der einstige BMW-CIO Klaus Straub. "Die wollen eine Kerneigenleistung von 100 Prozent!"
"Apple würde es nie einfallen, im iPhone-Bereich auch nur fünf Prozent externe Softwareentwicklung einzukaufen", sagt der einstige BMW-CIO Klaus Straub. "Die wollen eine Kerneigenleistung von 100 Prozent!"
Foto: BMW Group

Tatsächlich sind die großen deutschen Automobilhersteller schon einige Schritte auf diesem Weg gegangen. Volkswagen beispielsweise gründete 2019 mit seiner Car.Software-Organisation eine separate Software-Einheit, die inzwischen unter dem Namen Cariad als eigenständiges Tochterunternehmen agiert. Dort soll unter anderem das eigene Fahrzeugbetriebssystem vwvw.os entwickelt werden. Auch Straubs Nachfolger Alexander Buresch arbeitet bei BMW daran, die Eigenleistung der IT zu stärken. Top-500-Firmenprofil für VW

Der ehemalige VW-CIO Hofmann, der mittlerweile für den Softwareanbieter Salesforce arbeitet, beklagt dennoch das "Schneckentempo", in dem immer noch viele Digitalisierungsprojekte abgewickelt würden: "Drei Jahre für ein geplantes ERP-Upgrade sind einfach zu lange." Doch was bremst solche Vorhaben aus? "Die Hindernisse liegen im System", sagt der Manager. Gerade in deutschen Unternehmen müsse stets alles zu 100 Prozent geregelt sein. Hinzu komme eine weitverbreitete Konsenskultur, die zwar ihre Vorteile habe, aber eben auch häufig zu Verzögerungen führe. Am Ende komme nicht selten Frust auf, so Hofmann, bis hin zur "Transformation Fatigue", also einer gewissen Müdigkeit in Sachen Digitalisierung. Straub verweist zudem auf den hohen Kostendruck, unter dem viele Projekte ständen. Besonders problematisch werde es, wenn mittendrin Budgets gekürzt würden, zugleich aber die Erwartungen an das Vorhaben gleich hoch blieben.

Martin Hofmann, Ex-CIO von Volkswagen, beklagt das "Schneckentempo", in dem immer noch viele Digitalisierungsprojekte abgewickelt würden: "Drei Jahre für ein geplantes ERP-Upgrade sind einfach zu lange."
Martin Hofmann, Ex-CIO von Volkswagen, beklagt das "Schneckentempo", in dem immer noch viele Digitalisierungsprojekte abgewickelt würden: "Drei Jahre für ein geplantes ERP-Upgrade sind einfach zu lange."
Foto: fotodesign-schilling.de

"No Cloud" war 2011 ein Mantra

Gibt es einen Technologietrend, den Sie in den vergangenen fünf Jahren unterschätzt haben? lautete eine Frage der Moderatoren in der Talkrunde. Die Ex-CIOs sehen hier etwa das Thema Cloud Computing. Noch 2011 hieß die Devise bei Volkswagen "No Cloud", berichtete Hofmann. Im Konzern habe es eine ganze Phalanx dagegen geben, von der IT-Organisation selbst über die Rechtsabteilung bis hin zu Kritikern, die sich um die Mitbestimmung im Konzern sorgten: "Die Widerstände aufzubrechen, war ein langer Prozess."

Zwar sei Volkswagen später durchaus "aggressiv und relativ früh in die Cloud gegangen." Doch man könnte in vielen Bereichen schon viel weiter sein, so Hofmann. Corona habe der Entwicklung zuletzt einen Schub gegeben, beispielsweise bei der Einführung von Office 365, über die zuvor mindestens ein Jahr lang im Konzern diskutiert worden sei.

Auch Straub hat seine Sicht auf Cloud Computing verändert. Vor fünf Jahren noch stand für ihn zuerst die Frage im Raum, wie man später wieder aus der Cloud herauskomme, um Abhängigkeiten von einem Provider zu vermeiden. Heute ist er überzeugt: "Ohne Cloud Computing werden Unternehmen das Thema Speed und Cyber Security nicht lösen können."

"Der CIO wird engster Verbündeter des CEO"

Um den digitalen Wandel schneller voranzutreiben, brauche es den CIO als Vorbild, aber auch die richtigen Personen in der Geschäftsführung, fordert der einstige BMW-Manager. Diese müssten nicht nur technisches Know-how mitbringen und sich mit IT-Services auskennen, sondern auch eine veränderte Kultur im Unternehmen vorleben. Auch Hofmann ist überzeugt: "Der CIO der Zukunft wird der engste Verbündete des CEO." Die Rolle des CIO wachse zunehmend mit der des CDO zusammen. Schon jetzt übernähmen Führungskräfte oft beide Positionen in Personalunion, beispielweise beim Henkel-Konzern, wo Michael Nilles seit 2019 als Chief Digital & Information Officer (CDIO) agiert. "Am Anfang hatte der CDO seine Berechtigung als Beschleuniger, Treiber und Wachrüttler", so Hofmann. Aber irgendwann müssten alle ins Boot.

Was können Automobil- und IT-Branche voneinander lernen? "Die IT-Hersteller leben schon lange mit dem 'Frenemy'-Konzept", sagt Straub dazu. Viele Autobauer täten sich damit noch schwer. Auch Hofmann fordert: "Es ist wichtig, sich auf Partner einzulassen, die neue Technologien ins Unternehmen bringen." Umgekehrt könnten aber auch die Tech-Companies dazulernen, argumentieren die Ex-CIOs, beispielsweise beim Aufbau komplexer Wertschöpfungsketten.

Hofmann drückt es so aus: "Die Tech-Branche kann von den Automobilherstellern Geduld lernen. Komplexität muss man erstmal akzeptieren." Statt mit "kalifornischer Arroganz" mit dem Finger auf die Autobauer zu zeigen, sollten die Tech-Companies besser herausfinden, in welchen Bereichen sie der Industrie konkret helfen können. Dazu gehöre auch, sich mit Themen wie Mitbestimmung oder konsensgetriebenen Entscheidungen auseinanderzusetzen.

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