ServiceNow-CIO im Interview

"Wir steuern das Unternehmen mit ServiceNow"



Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Als CIO von ServiceNow liegt Chris Bedis Rolle irgendwo zwischen Anwender und Hersteller. Im Interview mit dem CIO-Magazin erklärt er, wie sich durch die Digitalisierung seine Rolle und allgemein die eines CIOs verändert.
Chris Bedi ist seit 2015 Chief Information Officer bei ServiceNow. Dafür war der Informatiker bei KPMG als Berater sowie bei Verisign und JSU in verschiedenen Positionen (unter anderem als CIO) tätig.
Chris Bedi ist seit 2015 Chief Information Officer bei ServiceNow. Dafür war der Informatiker bei KPMG als Berater sowie bei Verisign und JSU in verschiedenen Positionen (unter anderem als CIO) tätig.
Foto: ServiceNow

Wie fühlt man sich als CIO eines Herstellers, der die eigenen Produkte verwenden muss? Ist es eher 'Eat your own dog food' oder 'Drink your own champagne'?

Chris Bedi: Für CIOs von Tech-Companies aus dem Silicon Valley ist es oft Teil des Jobs, die eigenen Produkte einzusetzen. Was das Besondere an ServiceNow ist: Andere IT-Chefs nutzen vielleicht ein Produkt, das einen einzelnen Bereich des Unternehmens bedient. ServiceNow dagegen ist eine Plattform, die den Mitarbeitern, den Kunden, der Technologie und den Abläufen gerecht wird. Wir nutzen ServiceNow, um buchstäblich unser Unternehmen zu führen, man könnte sagen, wir essen unser eigenes Hundefutter, wir digitalisieren uns selbst.

Andererseits passt das Bild "Ich trinke unseren eigenen Champagner" aber besser, denn wir nutzen es überall und ich glaube, es hilft wirklich in vielerlei Hinsicht. Dazu gehört, dass wir sicherstellen, dass die Produkte so robust wie möglich sind, bevor sie auf den Markt kommen, weil wir sie immer zuerst intern implementieren.

Das Zweite ist: Wir identifizieren Anwendungsfälle, die wir auf den Markt bringen sollten, weil sie wirklich branchenunabhängig sind. Ich denke also, dass es als Mittel zur Sicherung der Produktqualität und als Innovationsmotor dient.

"Jedes Unternehmen muss ein Tech-Unternehmen werden"

Lassen Sie uns ein bisschen über die künftige Rolle des CIOs sprechen: Jetzt, wo Digitalisierung immer mehr die Strategie eines Unternehmens bestimmt, wandert sie immer stärker in Richtung CEO oder vielleicht Chief Digital Officer. Was bleibt für den CIO übrig?

Chris Bedi: Fangen wir oben an: CEOs müssen sich unbedingt mit technischen Themen befassen, denn jedes einzelne Unternehmen muss ein Technologieunternehmen werden, um zu überleben. Und zunehmend häufiger fragen sich die CEOs: Mit wem kann ich in der C-Suite zusammenarbeiten, wer kann mir dabei helfen? Ich denke, in den meisten Fällen ist es immer noch der CIO, der diese Aufgabe übernimmt, sei es die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells für die Markteinführung oder die Innovation eines Kundenerlebnisses und all diese verschiedenen Arten von Dingen.

Tatsächlich gab es kürzlich eine Studie, ich glaube von IDC, die besagt, dass es zwar in einigen Branchen Chief Digital Officers gibt, die Entwicklung aber zurück zum klassischen CIO geht. Der Grund dafür: Diese Person hat den größten technologischen Scharfsinn. Er weiß, wie unsere Plattformen und Systeme laufen - und das ist, was wir jetzt brauchen.

In einigen Fällen findet man auch Titel wie CDIOs, aber das spielt meiner Meinung nach fast keine Rolle. Ich persönlich glaube also nicht, dass die Rolle des CIO irgendwann in naher Zukunft verschwinden wird.

"Citizen Development zu ignorieren, ist keine Option"

Wie steht es dann mit Trends wie Citizen Developers, bei denen die IT nur noch die Regeln festlegt und ein Feld vorbereitet, auf dem sie spielen können?

Chris Bedi: Beim Thema Citizen Developer haben CIOs drei Möglichkeiten, aber nur ein Ansatz ist der richtige.

Erstens können sie sich dafür entscheiden, diesen Trend zu ignorieren, aber ob sie davon wissen oder nicht, er findet in ihrer Organisation statt. Ihn zu ignorieren, ist daher keine gute Lösung, gerade wenn es um damit verbundene Cyberrisiken geht.

Die zweite Möglichkeit ist zu versuchen, Citizen Development zu blockieren. Auch das ist keine gute Lösung. Die Mitarbeiter werden einen Weg finden, denn sie entwickeln die Lösungen nicht, weil sie nichts anderes zu tun haben. Sie tun es, weil sie eine bessere Arbeitsumgebung wollen.

Die einzige logische dritte Option ist also, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, an der digitalen Transformation ihrer Organisation teilzunehmen.

Ich glaube, es war eine Gartner-Studie, in der geschätzt wurde, dass 40 Prozent der Mitarbeiter heute in der Lage sind, Citizen Development zu betreiben. Warum also sollte man das nicht zulassen? Die Mitarbeiter, die heute einen neuen Job antreten, wollen nicht auf die zentrale IT-Organisation warten. Sie wollen sich beteiligen, und man kann tatsächlich die digitale Kompetenz der gesamten Belegschaft erhöhen, was für viele Funktionen karrierefördernd ist.

Die Aufgabe des IT-Chefs sollte es dabei sein, die richtigen Leitplanken um diesen Prozess zu setzen. Zum einen sind die CIOs immer noch für die Risiken verantwortlich, egal, ob es sich um Cyberrisiken, Datenrisiken oder Datenschutzrisiken handelt. Als zweites ist es die Aufgabe des CIOs, eine Hilfestellung zu geben. Citizen Developer sind keine Profi-Entwickler, sie werden irgendwo nicht weiterkommen, also brauchen sie einen Service, bei dem man Hilfe anfordern kann.

Und der dritte Punkt ist, die Nutzung zu überwachen. In einigen Organisationen nehmen die Apps von Citizen Developern richtig Fahrt auf. Wenn wir jetzt annehmen, dass diese plötzlich von 10.000 Menschen genutzt werden, müssen sie natürlich auch von der zentralen IT-Organisation gemanagt werden.

Unser CEO Bill McDermott spricht immer von den 750 Millionen Anwendungen, die in den nächsten drei Jahren entwickelt werden müssen - auf keinen Fall werden die zentralen IT-Organisationen in der Lage sein, diese Nachfrage zu decken und auf keinen Fall werden die Talente darauf warten, bis sie fertig sind.

"CIOs wollen eine Low-Code-Plattform mit Governance"

Sie haben Citizen Development mit Schatten-IT verglichen. Ist das nicht etwas ungerecht, schließlich stellt die IT bei Citizen Development doch die geeigneten Tools zur Verfügung?

Chris Bedi: Stimmt. Wir selbst haben vor einem Jahr ein Citizen-Developer-Programm gestartet. Ein Teil unserer Aufgabe dabei war die Bereitstellung von vertrauenswürdigen Datensätzen, vertrauenswürdigen APIs. So musste beispielsweise jeder Citizen Developer für Genehmigungsprozesse Zugriff auf die Mitarbeiterhierarchie erhalten. Und tatsächlich wurde ein Drittel aller neuen Anwendungen, die ServiceNow betreibt, von Citizen Developern entwickelt.

Das Programm ist also sehr erfolgreich und wenn ich anderen CIOs davon berichte, sind sie sehr interessiert. Worauf es ihnen dabei aber ankommt: Es gibt eine Menge von Low-Code/No-Code-Tools, aber sie wollen eine Plattform mit Governance. Das ist es, was unseren Ansatz von all den Einzellösungen da draußen unterscheidet.

Wie stehen Sie zu Robotic Process Automation?

Chris Bedi: Der Appetit auf Automatisierung ist enorm. Unternehmen müssen automatisieren, um schneller zu werden. Und die Automatisierung wird in verschiedenen Formen erfolgen: Workflow-Automatisierung, Integration zwischen Systemen. Und manchmal braucht man auch RPA oder RPA plus Workflow. Ich denke, dass CIOs einige architektonische Standards definieren werden, also festlegen, wo sie RPA einsetzen, wo sie eine Integrationstechnologie verwenden, wo sie Workflow-Automatisierung betreiben, und diese Standards werden sich auf der Grundlage ihres Tech-Stacks, ihrer digitalen Reife und der Fähigkeiten unterscheiden.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen CISO oder CSO?

Ich glaube, die letzte Statistik, die ich dazu gelesen habe, besagte, dass 60 Prozent der CISOs an den CIO berichten. Und Cybersecurity muss eine der Top-Prioritäten des CIOs sein. Cyber ist wahrscheinlich das größte Risiko für die meisten Unternehmen, und es ist ein nie endender Kampf. Ich denke, die Berichtsstruktur ist nicht so wichtig wie die Aufmerksamkeit auf das Thema. CIOs müssen dies als einen der wichtigsten Punkte auf ihrer Agenda behandeln. Bei anderen Programmen kann man einen Fehltritt machen, man kann scheitern. Bei diesem haben Sie nur eine Chance.

"CIOs müssen heute superflexibel sein"

Wir haben zwei Jahre Pandemie hinter uns, einen Krieg in der Ukraine. Wie kann ein CIO da seine Pläne verfolgen? Gibt es noch eine Strategie oder nur noch Krisenmanagement?

Chris Bedi: Ich denke nicht, dass die Tage der Drei-Jahres-Pläne vorbei sind, aber sie sind definitiv nicht mehr in Stein gemeißelt. CIOs müssen heute super flexibel sein. Die Vorschriften für die Sicherheit von Arbeitnehmern werden weiter verschärft, und die Lieferketten sind derzeit sehr (unsicher?) unbeständig, was die Beschaffung von Teilen angeht.

Es ist extrem wichtig, dass man weiß, wo alle technologischen Ressourcen sind - Arbeitskräfte, Rechner, was auch immer. Denn wenn man umschwenken muss, muss man wissen, wo sie sind. Man braucht den Überblick über Dinge wie die Kosten für Software und Hardware, den Bedarf in der IT-Abteilung, den Status jeder Transformation. Es ist vergleichbar mit dem Leiter einer Fabrik, der genau weiß, wie viele Waren er produzieren kann und wie der Status der riesigen Montagelinie ist etc. Nicht alle CIOs haben diesen Überblick, aber sie müssen ihn haben.

Die zweite Implikation ist, dass CIOs Plattformen brauchen, auf denen sie Lösungen entwickeln können, die nicht Monate oder Jahre brauchen. Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel. Als bei uns die Mitarbeiter allmählich wieder ins Büro zurückkehrten, wechselte der Bundesstaat Kalifornien sehr häufig seine Auflagen: Einmal geimpft, zweimal geimpft, geboostert. Auch unsere Company änderte ihre Policy. So musste man zunächst geimpft sein, später mussten sich die Mitarbeiter dann alle sieben, zehn und schließlich zwölf Tage testen lassen. Wir mussten also sicherstellen, dass wir eine digitale Lösung hatten, die sehr schnell angepasst werden konnte. Ich konnte da nicht sagen: 'Hey Bill (McDermott), gib mir drei Monate Zeit für die Entwicklung und dann können unsere Mitarbeiter wieder zurück ins Büro kommen. Ich hatte nur 24 Stunden Zeit.

Die Informationen zur Verfügung zu haben, so dass man sich umorientieren kann, und dann eine digitale Plattform zur Verfügung zu haben, um diese Umorientierung durchzuführen, ist daher meiner Meinung nach heutzutage eine Voraussetzung.

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