Führungsstil gestalten

Neue Leadership-Modelle gefragt

Gudrun Happich ist seit rund 20 Jahren Führungskräfte-Coach sowie Sparringspartnerin für Top-Manager und Leistungsträger in Schlüsselpositionen. Die Diplom-Biologin und Inhaberin des Galileo Instituts für Human Excellence blickt selbst auf langjährige Führungserfahrung zurück und war unter anderem als Geschäftsführerin verantwortlich für mehr als 1.000 Mitarbeiter im DACH-Raum. Gudrun Happich ist Autorin mehrerer Bücher.
Innovationsfreudige Unternehmen setzen bereits häufig auf neue Leadership-Modelle. Wechseln auch Sie vom autoritären hin zu einem modernen Leadership-Modell, wie dem kooperativen Führungsstil.
Moderne Führung verlangt einerseits eine Anpassung an die Unternehmensziele und andererseits an neue Kommunikationsformen.
Moderne Führung verlangt einerseits eine Anpassung an die Unternehmensziele und andererseits an neue Kommunikationsformen.
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Eine Beobachtung hat mich besonders dazu bewegt, mich in diesem Text genauer mit den Hintergründen von Führungsstilen auseinanderzusetzen: Bei Produktinnovationen geben IT-Unternehmen den Takt vor. Trotzdem arbeiten viele etablierte IT-Unternehmen immer noch mit Führungsstilen und Organisationsstrukturen aus der Management-Steinzeit! Die schnellste aller Branchen kann sich diese trägen Strukturen nicht mehr lange leisten.

Verstehen Sie mich nicht falsch, in anderen Branchen sieht es meist noch schlimmer aus. Auch wenn alle von Digitalisierung reden. Die Frage ist in diesem Zusammenhang, ob Agilität und digitale Transformation gleichzeitig die Führungskultur verändern und Platz machen für neue Leadership-Modelle. Oft wird hier noch der Fokus auf technische Verbesserung gelegt.

Die Hoffnung: "Wenn wir in agilen Teams unterwegs sind, dann setzen die Veränderungsprozesse in der Mitarbeiterführung schon von alleine ein."
Wir brauchen aber neue Leadership-Modelle, sozusagen Führung 4.0, damit die anstehenden Veränderungen, vorrangig die digitale Transformation, in Unternehmen - auch in der IT-Branche - erfolgreich umgesetzt werden.

Neue Leadership-Modelle sind gar nicht so neu

Aktuell sehe ich einen Trend: In immer mehr Unternehmen wächst der Gedanke: "Wir müssen weg von der Hierarchie und mehr in projektbezogenen Teams arbeiten." Aber wie gelingt das? Von heute auf morgen auf Hierarchie verzichten und auf die Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Mitarbeiter bauen? Das würde bedeuten, dass Menschen, die über Jahrzehnte in Hierarchien gearbeitet und "Gehorsam" gelernt haben, von jetzt auf gleich motiviert, mitdenkend und begeistert Verantwortung übernehmen sollen. Das ist unrealistisch und überfordert viele Menschen. Wir brauchen also eine andere Lösung.

Ich bin auf die Suche nach "alternativen" Vorbildern mit alternativen Führungsstilen gegangen, die eine andere Art des Chef sein gesucht, gefunden und ausprobiert haben. Hier spreche ich nicht von Google, Apple oder anderen Silicon-Valley-Unternehmen, die von Anfang an auf eine hippe hierachiearme und agile Führungskultur setzen. Ich versuche, weiter zurück zu gehen, weil ich annehme, dass diese andere Art der Führung nicht neu ist, sondern schon lange erfolgreich funktioniert.

Moderne Leadership-Vorreiter in USA

Lange Zeit haben uns moderne Führungsstile nur amerikanische Unternehmen vorgelebt: Das brasilianische Industrie-Unternehmen Semco mit seinem großen Erfolg durch den radikalen Umbau der Unternehmensstruktur. Auch der US-Textilproduzent W.l. Gore & Associates und Erfinder der bekannten mikroporösen Membran Gore-Tex, mit seiner extrem flachen Hierarchie, zählt zu den weltweit innovativsten und produktivsten Unternehmen. W.l. Gore & Associates ist übrigens bereits 1958 mit der Idee gegründet worden, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, die auf Eigenverantwortung und Freude an der Arbeit basiert.

Social Leadership als ein Weg

Doch was macht die vorgestellten Modelle des "Social Leadership" als Ansatz eines modernen Leadership-Modells so erfolgreich? Zum einen erst einmal, dass sie in all ihrer Gemeinsamkeit unterschiedlich sind. Soll heißen: Social Leadership ist nicht ein Führungskonzept, das sich über jedes Unternehmen haargenau gleich stülpen lässt.

Auch wenn Elemente, wie flache Hierarchien, Kommunikation und Mitverantwortung verbindende Konstanten sind, ist es wichtig, die individuellen Voraussetzungen des Unternehmens zu berücksichtigen. Das heißt, der Führungsstil muss in gewisser Weise authentisch sein, im Einklang mit Werten, Überzeugungen und der Historie des Unternehmens.

Dazu müssen sich die Führungskräfte des gegebenen Systems und trotz agiler Veränderungen noch stimmig im System verhalten. Durch Transparenz, Selbstverantwortung und Mitbestimmung werden Arbeitnehmer dann zu motivierten Leistungsträgern, die von sich aus mitdenken. Der kooperative Führungsstil gepaart mit der starken Teilhabe und der Übernahme von mehr Verantwortung führen dazu, dass sich die Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren, hoch motiviert sind und die Fluktuation extrem niedrig ist. So entstehen Innovationen und nachhaltiger Gewinn.

Der heutige Arbeitsalltag sieht anders aus

Wie sieht der Business-Alltag aber meistens aus? In meinen Coaching-Gesprächen klagen mir Top-Führungskräfte oft ihr Leid über die nicht mitdenkenden, nicht engagierten und nur auf Anweisung handelnden Mitarbeiter. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Probleme oft Ergebnisse des Führungsstils sind. Viele Unternehmen schnüren ursprünglich motivierten Mitarbeitern mit starren, verkrusteten Hierarchiestrukturen die Energie für jede Eigeninitiative ab.

Lesetipp: 4 schwierige Mitarbeiter-Typen

Doch im Grunde steht jedes etablierte Unternehmen heutzutage vor der gleichen Frage: Wie schaffen wir es, die auf uns zukommenden Veränderungen zu meistern? Wie entwickeln wir die Mitarbeiter zu mitdenkenden und verantwortungsvoll handelnden Akteuren? Einfach die Hierarchien wegzulassen, ist keine Lösung. Was das bewirkt, darauf komme ich später bei einem Beispiel aus der Natur zurück - dem Mais. Schauen wir uns erst einmal einen erfolgreichen Führungsstil aus der Natur an, sozusagen ein seit Jahrtausenden gelebtes modernes Leadership-Modell.

Führungsstil von Wölfen lernen

Ich plädiere seit langem dafür, weniger Hierarchie zu wagen, statt Führung abzuschaffen. Die Natur lebt uns vor, wie es funktioniert. Die meisten Gruppen im Tierreich sind hierarchisch organisiert, vom Ameisenvolk und dem Bienenstock, über die Elefantenherde bis zum Wolfsrudel. Hierarchie bedeutet häufig Herrschaft bzw. Autorität und wird mit der Hackordnung um die Alpha-Position gleichgesetzt.

Bei Wölfen zeigt sich jedoch ein sehr viel vielfältigeres soziales Gefüge, in dem die Leittiere zwar die primäre Führungsaufgabe erfüllen, aber nur situationsbezogen autoritär auftreten. Alpha-Wölfe führen ihr Rudel mithilfe ihrer sozialen Kompetenzen. Sie pflegen Beziehungen und beweisen soziale Intelligenz. Wenn zwei sich streiten und ineinander verbeißen, lenkt der Alpha-Wolf einen der beiden ab, fordert ihn zum Spiel auf und stellt den Frieden wieder her. Er zeigt also diplomatische Fähigkeiten in der Mitarbeiterführung.

Wieso funktioniert dieses Leadership-Modell? Der Schlüssel zum Managementerfolg der Wölfe ist ein Führungsstil mit einer handvoll Regeln, die für alle gelten, sowohl für das Alphatier als auch den Jungwolf. Alle halten sich an diese Regeln, weil sie dem Überleben des gesamten Wolfsrudels dienen. Ansonsten gibt es viele Freiheiten. Jeder Wolf kann entsprechend seiner Stärken seinen Beitrag zum großen Ganzen leisten. Wie er das Ergebnis erreicht, ist relativ egal.

Oberste Prämisse: Das Gemeinwohl, also das Überleben des Rudels, wird über die Eigeninteressen gestellt. Dies sorgt bei den einzelnen Rudelmitgliedern für Orientierung, Verlässlichkeit und Vertrauen. Nach dem Motto: Ich kann mich darauf verlassen, dass sich jeder an die - wenigen - Regeln hält. Dafür habe ich viel Freiheit dabei, die Ergebnisse zu erreichen. Aus Erfahrung wissen wir, dass das der richtige Weg ist: Die meisten komplexen Herausforderungen werden am besten im Team gelöst.

Kein Führungsstil ist Anarchie und daher keine Lösung

Mitunter wird in der Managementliteratur auch gefordert, sämtliche FührungFührung radikal abzuschaffen. Meines Erachtens geht es jedoch nicht darum, Hierarchien abzuschaffen, sondern lediglich darum, sie anders einzusetzen. Was in einem System passiert, wenn die Spitze nicht mehr vorhanden ist, zeigt ebenfalls ein Beispiel aus der Natur: die Maispflanze. Alles zu Führung auf CIO.de

Bei Pflanzen wird normalerweise das Wachstum von Seitentrieben durch den Haupttrieb verhindert. Meist durch die primäre Sprossspitze. Wenn diese aber manuell entfernt wird, dann beginnen die Seitentriebe sofort mit dem Wachstum. Warum? In der Sprossspitze wird ein Hormon produziert, das im unteren Teil das Wachstum der Seitentriebe verhindert. Wird nun die Spitze entfernt, wird auch die Hormonproduktion gestoppt und "Wildwuchs" droht. Die Seitentriebe beginnen zu wachsen und nehmen der Pflanze die Kraft für die Konzentration auf das Ziel "Ertrag", möglichst große Maiskolben.
Im Klartext: Fehlt die Führung im Sinne von Orientierung, entsteht Wildwuchs - Anarchie.

Verlierer und Gewinner neuer Führungsstile

Machen wir uns nichts vor: Die moderne Arbeitsform in wechselnden Teams ist nicht für alle erstrebenswert. Diejenigen, die innerhalb fester Strukturen einfach ihren Job machen wollen, kommen mit der selbst zu gestaltenden Freiheit und einem kooperativen Führungsstil vielleicht nicht immer klar. Sie werden die Verlierer der neuen Zeit sein. Zumindest, wenn "regelloses" Arbeiten als Grundlage für den neuen Führungsstil missverstanden wird. Es wird allerdings immer Aufgaben geben, wo es auf eine genaue Abarbeitung ankommt. Sollten wir die Mitarbeiter, die eine strukturierte Führung mit klaren Vorgaben brauchen, nicht wertschätzen und dort einsetzen, wo sie von hohem Nutzen sind?

Umstellung auf agile Methoden
Umstellung auf agile Methoden
Foto: Lünendonk/bridgingIT

Gewinner dieser Arbeitsform werden die Leistungsträger sein. Leistungsträger sind Menschen, die einen extrem hohen Anspruch an sich haben, die etwas bewegen und Spuren hinterlassen wollen. Es sind Macher, die Verantwortung übernehmen, die hoch motiviert gerne und viel leisten und Leader, für die Werte wie Fairness eine große Bedeutung haben, denen der Mensch und die Gesellschaft wichtig sind. Die Mehrzahl der Leistungsträger versteht sich im Zuge der "Arbeitstypen der Zukunft" als "Wissensarbeiter". Die Vorstellungen dieser Wissensarbeiter entsprechen genau denen des Social Leadership.

Generation Y in der IT

Gerade die IT-Branche ist angewiesen auf den besten Fachkräftenachwuchs. Bekanntermaßen fordert die Generation der 20- bis 30-jährigen selbstbewusst mehr Flexibilität, Mitbestimmung, Freiheit und Eigenverantwortung. Diesen Vorstellungen wird sich auf Dauer kein Unternehmen entziehen können.

IT-Unternehmen sind von jeher technischen Möglichkeiten und anderen Notwendigkeiten gegenüber am aufgeschlossensten. Kein Wunder also, dass die dynamische IT-Branche oft Vorreiter für andere Industriezweige ist. So gehe ich davon aus, dass sich auch neue Leadership-Modelle und Führungsstile hier am schnellsten durchsetzen werden.

Tun statt diskutieren und abwarten

Die Beispiele über unterschiedliche Führungsstile in Unternehmen verdeutlichen, dass nicht alles neu ist an modernen Leadership-Modellen. Auch die Natur geht uns in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran und wir können uns von ihr, wie so oft, etwas abschauen.

Deshalb: Packen Sie es an! Probieren Sie aus, welcher Führungsstil in welcher Ausprägung der Beste für Ihr Unternehmen ist. Ist es eher der kooperative Führungsstil? Oder doch der autoritäre Führungsstil? Finden Sie Ihren Weg. Führen Sie Regeln ein, die zu Ihrem Unternehmen passen und die von allen eingehalten werden können. Gewinnen werden die Unternehmen, die diesen Wandlungsprozess möglichst früh angehen und ihn bewusst gestalten. Denn moderne Leadership-Modelle sind nicht heute geplant, morgen diskutiert und übermorgen umgesetzt. Es dauert eine Weile bis sich die neue Führungskultur in Ihrem Unternehmen etabliert - mit den Mitarbeitern, die zu ihr passen. (bw)

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