Privates Surfen im Büro

Abschweifen gehört zur Arbeit

15.11.2023 von Ferdinand Knauß
Einige Unternehmen gestatten die private Nutzung von Telefon und Internet. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Pausen sind notwendig, aber noch immer nicht gern gesehen.
Foto: maksimshirkov - Fotolia.com

Er denkt immer nur an das eine. Der ideale Arbeitnehmer des Arbeitgebers beendet allmorgendlich an der Eingangstür jeden privaten Gedanken und widmet für den Rest des Arbeitstages all sein Denken und Sinnen ganz der Arbeit.

Natürlich existiert dieser Übermensch in der Realität nicht. Allein schon deswegen, weil das Bewusstsein nicht mitspielt. Was man denkt, hat man nicht unter Kontrolle. Kein Mensch kann sich daher acht Stunden am Tag einzig und allein nur auf seine Arbeit konzentrieren.

Bei angenehmen, interessanten, selbstbestimmten Aufgaben gelingt das vielleicht eine Stunde lang. Bei unangenehmen Aufgaben ist womöglich schon nach zehn Minuten ein Aussetzen unausweichlich.

Und was macht man dann? Tagträumen, etwas anderes Lesen, zuhause anrufen oder mit den Kollegen Tischfußball spielen. Jeder Vorgesetzte mit einem Minimum an Menschenkenntnis weiß, dass diese mehr oder weniger sichtbaren Pausen notwendig sind. Wenn sie verhindert oder stigmatisiert werden, steigert das nicht die Produktivität - sondern erzeugt Stress.

Kleine Übungen gegen Stress
Immer mehr Stress
Die Arbeitswelt wandelt sich: Immer mehr wird von einem erwartet, die Aufgaben werden immer komplexer. Vielen Menschen wird der Stress zu viel. Das ist gefährlich, denn ...
Keine Zeit für nichts
... Burnout und Depressionen drohen. Doch mit kleinen Tricks und Übungen von der Gesundheitsexpertin Dr. Claudia Croos-Müller kann man Körper und Geist fit machen gegen Stress und Überlastung.
Es muss nicht immer Sport sein
Und keine Sorge: Ein ausuferndes Fitnessprogramm kommt nicht auf Sie zu. Obwohl mehr Sport im Alltag eine gute Idee ist, um Stress abzubauen.
Mehr Bewegung
"Jede Form der halbwegs lustvollen Bewegung sorgt dafür, dass antidepressive Hormone ausgeschüttet werden", erklärt Croos-Müller. Bewegung macht also tatsächlich glücklich.
Kleine Schritte
Es muss aber nicht gleich joggen sein. Es reicht schon, zum Beispiel häufiger aufzustehen, Meetings im Stehen abzuhalten oder ein paar Hundert Meter Spazieren zu gehen.
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Wer sich bewegt, dessen Gehirn schaltet um. So rät Croos-Müller dazu, ein wenig auf der Stelle zu joggen, zum Beispiel wenn ...
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Bei Bewegung werden im Gehirn Hormone mit antidepressiver Wirkung ausgeschüttet und solche, die Morphium ähneln.
Nicht immer so negativ
Mindestens so wichtig wie Bewegung: Aktivieren Sie die mentalen Ressourcen, trainieren Sie sich darauf, Angelegenheiten positiv zu sehen. Das ist leichter gesagt als getan. Doch schon kleine Schritte helfen. Zum Beispiel:
Freude empfinden
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... fiese Chefs und Kollegen. Auch das könne man trainieren, meint Croos-Müller. Wer übt, zuversichtlich zu sein, dessen Gehirn passt sich an.
Bitte lächeln
Probieren Sie auch einmal aus, mehr zu lächeln - vielleicht sogar sich selbst morgens im Spiegel. "Wer viel lacht, der ist gesünder", erklärt Croos-Müller.
Gut fürs Herz
Croos-Müller rät zudem dazu, sich kleine Morgenrituale zuzulegen. In unter drei Minuten den Kreislauf mit Dehnen und Stampfen in Schwung bringen, sich selbst im Spiegel anlächeln und tief atmen.
Entspannt im Büro
Wer nur ein paar dieser Übungen beherzt, der geht entspannter durch den Büroalltag - und durchs Leben.

Wenn nun Unternehmen verkünden, dass sie die private Nutzung von E-Mail, Internet und Telefon am Arbeitsplatz erlauben, so ist das eher eine erschreckende Nachricht: Ist das nicht ohnehin selbstverständlich?

Nein, leider nicht. Tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren der pausenlose Über(arbeits)mensch immer mehr zum Maßstab. Dieser Anspruch der Arbeitgeberseite ist eine nachvollziehbare Reaktion auf die Verkürzung der absoluten Arbeitszeiten bis unter 40 Stunden pro Woche. Was die Arbeitnehmer in Jahrzehnten an den Rändern des Arbeitstages an Zeit gewonnen hatten, sollten sie während des Tages wieder hergeben, indem alles Private möglichst unterbunden wurde. Soziologen sprechen von der "Verdichtung" der Arbeit.

Nachvollziehbar, ja. Aber nicht akzeptabel. Denn der Preis für den übermenschlichen Anspruch ist die "erschöpfte Gesellschaft" (Stephan Grünewald), die nicht nur Sozialpsychologen diagnostizieren. Zwischen 20 und 30 Prozent der deutschen Beschäftigten leiden unter Stress, meldet die Techniker Krankenkasse. Stress hat meist nicht mit der absoluten Arbeitszeit zu tun, sondern ist die Folge eines Missverhältnisses zwischen Anforderungen und Ressourcen.

Zu den Ressourcen gehört auch die Freiheit zur zwischenzeitlichen Entspannung - ohne das schlechte Gewissen, etwas Illegales zu tun. Die Erlaubnis zur privaten Nutzung des Internets am Arbeitsplatz sollte eine unbürokratische Selbstverständlichkeit sein. Ein Arbeitgeber, der das ernsthaft unterbinden will, hat verdient, dass ihm die Angestellten davonlaufen.

Buchtipps gegen Stress und Burnout
Gehirn, Psyche und Körper
Wie Körper und Psyche zusammen hängen, lesen Sie in: "Gehirn, Psyche und Körper - Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie" von Johann Caspar Rüegg, 5., aktualisierte u. erw. Auflage, Schattauer (Verlag), 978-3-7945-2652-9 (ISBN).
Viel Glück - Das kleine Überlebensbuch
Mehr von Croos-Müller lesen Sie in ihren eigenen kleinen Büchern, zum Beispiel in "Viel Glück - Das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Schwarzsehen, Selbstzweifeln, Pech und Pannen" von Claudia Croos-Müller, mit Illustrationen von Kai Pannen, 3. Auflage, ISBN: 978-3-466-30996-2, Kösel Verlag.
Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch
"Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Herzklopfen, Angst, Panik & Co." von Claudia Croos-Müller, mit Illustrationen von Kai Pannen, 5. Auflage, ISBN: 978-3-466-30945-0, Kösel Verlag.
Schlaf gut - Das kleine Überlebensbuch
"Schlaf gut - Das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Schlechtschlafen, Albträumen und anderen Nachtqualen" von Claudia Croos-Müller, mit Illustrationen von Kai Pannen, ISBN: 978-3-466-31023-4, Kösel Verlag.
Kopf hoch – das kleine Überlebensbuch
"Kopf hoch – das kleine Überlebensbuch Soforthilfe bei Stress, Ärger und anderen Durchhängern" von Claudia Croos-Müller, mit Illustrationen von Kai Pannen, ISBN: 978-3-466-30915-3, Kösel Verlag.

(Wirtschaftswoche)