Interview der Woche

"Ärztliche Sichtweise auf IT oft anders"

14.08.2007 von Stefan Holler
Wer mit neuen IT-Lösungen die Infrastruktur verändern möchte, trifft fast immer auf Widerstände. Diese Erfahrung machte auch Gunther Nolte, seit 2001 IT- und TK-Direktor beim Gesundheitsnetzwerk Vivantes. Vor drei Jahren schaffte er mit der Einführung des Krankenhausinformationssystems Orbis die dezentrale Struktur im Klinik-Verbund ab. Um Misstrauen abzubauen, lautet sein Motto: Gespräche, persönliche Präsenz und Information.
Gunther Nolte, Direktor IT und TK bei der Vivantes GmbH: "Die ärztliche Sichtweise auf die IT ist anders als die der Technik oder des Unternehmens."
Foto: Vivantes

Herr Nolte, zu den Vorzeigeprojekten der Vivantes GmbH gehört das Krankenhausinformationssystem Orbis von Agfa, das vor drei Jahren eingeführt wurde. Wenn Sie einmal Bilanz ziehen: Hat sich das System bewährt?

Wir haben bereits zwei von drei Projektphasen in allen Klinikstandorten umsetzen können und werden Anfang nächstes Jahr die dritte Projektphase starten. Insgesamt können wir ein positives Fazit ziehen.

Welchen Vorteil hat die gefundene zentrale Lösung gegenüber den früheren Insellösungen?

Es spielt vor allem der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle. Bei Vivantes war es vor mehreren Jahren noch so, dass an jedem Standort eine unterschiedliche Zahl heterogener EDV-Systeme im Einsatz war. Das heißt, es gab für OP-Dokumentationen, in der Radiologie oder in der Basisdokumentation jeweils getrennte Systeme. Da ist es natürlich ein unverhältnismäßig hoher Aufwand, diese Systeme zu betreiben. Der zweite Grund ist, dass eine Integration der heterogenen Systeme über Schnittstellen am Unmöglichem grenzt. Für einen Großkonzern wie Vivantes haben wir uns daher für einen zentralisierten monolithischen Ansatz des Systems entschieden. Dritter Aspekt ist die IT-Unterstützung von komplexen Geschäftsprozessketten möglichst ohne technische Sollbruchstellen.

Sind sie bei der Umsetzung dieser zentralisierten Lösung auf interne Widerstände gestoßen?

Wir hatten bei der Auswahl dieses Systems ein interdisziplinäres Berufsgruppen übergreifendes Bewertungs- und Akzeptanzteam gebildet, in dem alle Berufsgruppen eingebunden waren. Dort waren sowohl die technischen und administrativen Gruppen als auch die Ärzteschaft und die unterschiedlichen medizinischen Fachdisziplinen wie der Chirurgie, der Pflege oder den Rettungsstellen vertreten. Dadurch wurden gleich zu Beginn erste Akzeptanzhürden überwunden. Allerdings ist die ärztliche Sichtweise auf die IT oftmals anders als die der Technik oder die der Konzernsicht.

Was vermutlich auch dazu führt, dass der Ruf der IT in der Klinik darunter leidet?

Da gibt es genügend Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, die das untermauern. Es gibt unterschiedliche Sichtweise der Ärzte auf das, was EDV leisten muss, kann und auch sollte. In diesem Konflikt stehen auch wir. Das bedeutet für die IT einen ständigen Diskussions-, Informations- und Kommunikationsbedarf gegenüber den Klinikern. Die IT-Abteilung von Vivantes sieht die EDV mit Ihren Lösungen immer aus Konzernsicht. Der jeweilige Arzt sieht die EDV an seinem Arbeitsplatz. Das führt zur eigentlichen Kernfrage: Setze ich arbeitsplatzoptimale Lösungen ein und verliere dafür die Standardisierung, den Integrationsgrad und die Unterstützungsfähigkeit für ganzheitliche Behandlungs- und Prozessketten? Oder setze ich ein einheitliches zentral standardisiert getriebenes System ein? Letzteres führt zwangsläufig zu Einschränkungen in der Funktionalität und im Komfort. Dadurch wird aber sichergestellt, dass gesamte Prozessketten von der Ambulanz über den vorstationären Aufenthalt über die elektronische Arztbrief-Dokumentation bis hin zur sektoralen Kommunikation ermöglicht werden. Daher ist es wichtig, mit den Verantwortlichen regelmäßig Gespräche zu führen, um mehr Verständnis zu schaffen.

Unterschiedliche Auffassungen prallen ja auch beim größten IT-Projekt im Gesundheitswesen, der elektronischen Gesundheitskarte, aufeinander. Die Ärzte haben große Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Teilen Sie diese Bedenken?

Die Gesundheitskarte wird kommen. Wann das der Fall sein wird, kann ich im Mo-ment genauso wenig sagen wie andere auch. Die Bedenken hinsichtlich des Daten-schutzes sind teilweise berechtigt: Aber hierfür gibt es ja Gespräche mit den Daten-schützern, ohne deren Einverständnis das Projekt ja nicht umgesetzt werden kann. Dieses Problem wird sich also lösen, es wird allenfalls temporäre Indifferenzen ge-ben. Das Hauptproblem der eGK aus meiner Sicht ist, dass die Spezifikation bzw. Ausgestaltung so wenig konkret ist, dass wir in unserem Haus noch keinen großen Sinn darin sehen, Beschaffungen, Investitionen oder Projektplanungen anzusetzen. Wir sind natürlich in permanenten Kontakten sowohl mit den Industrieunternehmen als auch über das eFa-Projekt des Fraunhofer-Instituts mit Beteiligung der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft. Hier begleiten wir die Entwicklungen in den Testregionen hautnah. Einen konkreten Umsetzungsplan zur Einführung der Karte haben wir nicht terminiert.

Wann glauben Sie ist die Zeit reif für eine konkrete Umsetzung?

Dann, wenn wir die Sicherheit haben, dass unsere Investitionen auch zu einem sinnvollen Nutzen führen. Nehmen wir als Beispiel die anzuschaffenden Kartenlesegeräte. Bis vor kurzem war noch nicht klar, welche Geräte einsetzbar sind oder zertifiziert werden können. Daher macht es für uns keinen Sinn, auf der technischen Ebene Konzepte zu entwerfen, konkrete Mittel einzuplanen und Termine zu fixieren. Dazu ist es noch zu früh. Was wir aber getan haben, ist sich darauf vorzubereiten wie sich künftig medizinische Prozesse durch den Einsatz der Gesundheitskarte verändern werden. An dieser organisatorisch-prozessualen Thematik arbeiten wir.

Ein weiteres interdisziplinäres Projekt, an dem sich auch Vivantes beteiligt, ist die elektronische Fallakte des Fraunhofer Instituts. Wie sieht hier der aktuelle Stand aus?

Vivantes hat im Bereich der Urologie zum Prostata-Karzinom einen Business-Case definiert. Anhand dieser Indikation verfolgen wir den gesamten Behandlungsprozess EDV-gestützt und ermöglichen damit auch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen stationärem Sektor und niedergelassenen Ärzten. Die technischen Vorbereitungen sind abgeschlossen, die Fachspezifikation liegt vor. Die Akteure dieses Business Cases sind benannt und informiert. Was noch fehlt, ist die konkrete Umsetzung der Technik durch die Industrie.

Viele IT-Verantwortliche in Kliniken sehen in der RFID großes Potential. Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Wir haben derzeit noch keine RFID-Technik im Einsatz. Jedoch sehen wir diese Technologie insbesondere bei Ortung und Lokalisation von Geräten und Personen als wichtig an. Das gilt auch für den Bereich der Mitarbeiterausweise- und -karten. Sollte man sich zu einer Einführung entschließen, würde man die RFID-Technologie mit einsetzen.