EuGH-Urteil

Auswirkungen auf das Aus von Safe Harbor

23.10.2015 von Klaus Heeke und Dr. Martin Döpner
International tätige (Internet-) Unternehmen stehen vor neuen rechtlichen Herausforderungen und müssen die Einhaltung der europäischen Datensicherheitsstandards anders gewährleisten.
Der EuGH hat das rund 15 Jahre alte Safe-Harbor-Abkommen gekippt, der den Datenaustausch mit den USA regelt.
Foto: U.S. Department of Commerce

Das Urteil des EuGH verändert nicht nur die Übermittlung personenbezogener Informationen von Kunden oder Internetnutzern; es betrifft auch den Umgang mit Arbeitnehmerdaten. Denn oftmals transferieren europäische und US-amerikanische Gesellschaften diese zur Speicherung und Verarbeitung - insbesondere innerhalb eines Konzernverbunds.

Auswirkungen auf personenbezogene Arbeitnehmerdaten

Gemäß der geltenden EU-Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG) dürfen personenbezogene Daten von Kunden, Internetnutzern oder Arbeitnehmern zwar an andere Stellen (z.B. Unternehmen) im Ausland übermittelt werden. Voraussetzung ist aber die Zustimmung der betroffenen Person oder aber eine entsprechende vertragliche Regelung zwischen Sender und Empfänger. Zusätzlich müssen die personenbezogenen Informationen durch den Empfänger ausreichend geschützt werden. Entscheidend ist dabei, dass im Zielstaat ein Datenschutzniveau gewährleistet ist, das dem der EU entspricht.

Ein solch hohes Datenschutzniveau existiert in den USA allerdings nicht. Um den Datenaustausch mit den USA zu erleichtern, hatte die EU-Kommission im Jahr 2000 das so genannte Safe-Harbor-Abkommen (Entscheidung 2000/520/EG) verabschiedet. Danach konnten sich US-Unternehmen vertraglich verpflichten, bei ihrer Datenverarbeitung die "Safe-Harbor-Principles" zu befolgen und sich beim US-Handelsministerium entsprechend zertifizieren lassen.

War ein US-amerikanisches Unternehmen "Safe-Harbor"-zertifiziert, konnten personenbezogene Daten von Kunden, Internetnutzern und Arbeitnehmern in der Vergangenheit ohne weitere Erfordernisse (z.B. Einwilligung der betroffenen Person) von Staaten innerhalb der EU in die USA übermittelt und dort gespeichert sowie verarbeitet werden. Durch die Entscheidung des EuGH ist nun eine andere rechtliche Grundlage notwendig - andernfalls drohen zivilrechtliche oder sogar strafrechtliche Sanktionen.

Aktuelle Entwicklungen zu Cloud-Security und -Datenschutz
Ob Unternehmensdaten in der Cloud "sicher" sind, hängt davon ab, welchen Datenschutzregeln der jeweilige Anbieter verpflichtet ist. Häufig geht hier es um Europa vs. USA. Die aktuellen Entwicklungen um "Safe Harbor" haben die Debatte neu befeuert. Eine klare Antwort ist immer noch in weiter Ferne.
Marktanteile
Auf die "Großen Vier" Amazon Web Services, Microsoft, IBM / Softlayer und Google entfielen im zweiten Quartal 2015 rund 54 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Cloud-Services. Nordamerika ist mit etwa der Hälfte der Umsätze der größte regionale Markt, vor Europa und Asien/Pazifischer Raum.
Standorte
Für deutsche Unternehmen ist laut einer Studie von Bitkom Research und KPMG wichtig, dass ein Cloud Service Provider im deutschen oder EU-Rechtsraum angesiedelt ist oder dort Rechenzentren unterhält.
Erfahrungen der Nutzer
Anwender in Deutschland haben bessere Erfahrungen mit Private Clouds gemacht als mit IT-Diensten, die sie über Public Clouds beziehen.
Transformation als Treiber
Cloud Computing hat bei vielen deutschen Unternehmen einen hohen Stellenwert, wenn es um die strategische Ausrichtung der IT-Umgebung geht. Daran ändern auch Debatten um den Datenschutz nichts.
Public Cloud Provider
Alle führenden amerikanischen Anbieter von Public Cloud Services haben mittlerweile Rechenzentren in EU-Mitgliedsstaaten oder Deutschland aufgebaut. Damit tragen sie dem Wunsch von Unternehmen Rechnung, die Daten nicht in Datacentern lagern wollen, die in anderen Rechtsräumen angesiedelt sind.
Google
Google hat sich mit einer gewissen Verspätung als Cloud-Service-Provider positioniert. Mittlerweile bietet das Unternehmen nach dem Baukastenprinzip eine Palette von Cloud-Services an.
Verschlüsselungslösungen
Für die Verschlüsselung und Schlüsselverwaltung setzen Microsoft und andere Cloud-Service-Provider besonders sichere HSMs (Hardware Security Modules) ein. Microsoft nutzt bei Azure HSM-Systeme von Thales. Andere Anbieter von HSM, die in Cloud-Umgebungen zum Zuge kommen, sind Utimaco und Gemalto (SafeNet).
Microsoft-Prozess
Microsoft gegen die Vereinigten Staaten von Amerika: In dem Berufungsverfahren will Microsoft die Herausgabe von E-Mail-Daten an ein US-Gericht verhindern, die auf Servern im Cloud-Datacenter in Irland gespeichert sind.
SAP-Sicherheitsarchitektur
Die Grundlage für Cloud-Services, die den Anforderungen von Compliance- und Datenschutzregeln genügen, sind umfassende Sicherheitsmaßnahmen in Cloud-Datacentern. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Verschlüsselungs- und Authentifizierungsmaßnahmen.
Constantin Gonzalez, AWS
Constantin Gonzalez, Solutions Architect bei Amazon Web Services: "Amazon Web Services bietet Anwender eine Art ferngesteuerte Hardware. Für die Kontroller der Daten ist der Nutzer selbst verantwortlich."
Speicherorte
Laut einer Analyse von Skyhigh Networks entsprechen zwei Drittel der Cloud-Services, die in Europa zur Verfügung stehen und von Firmen in dieser Region genutzt werden, nicht den EU-Datenschutzregelungen.
Khaled Chaar, Pironet NDH
Khaled Chaar, Managing Director Business Strategy bei der Cancom-Tochter Pironet NDH: "Bei der Debatte um die Sicherheit von Daten in der Cloud sollte ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden: Cloud-Rechenzentren verfügen in der Regel über deutlich bessere Sicherheitsvorkehrungen als Data Center von Unternehmen. Denn für die meisten Firmen gehört der Aufbau sicherer Rechenzentrums-Strukturen nicht zum Kerngeschäft und ist schlichtweg zu aufwändig, insbesondere aufgrund der stetig wachsenden Sicherheitsanforderungen."
Hartmut Thomsen, SAP
Hartmut Thomsen, Managing Director der SAP Deutschland SE & Co. KG: "SAP befolgt die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Ländern, in denen das Unternehmen geschäftlich tätig ist. Ebenso wichtig sind für uns die Wünsche unserer Kunden. Für diese besteht deshalb – abhängig vom jeweiligen Cloud-Produkt – die Möglichkeit, sich für Cloud-Dienstleistungen zu entscheiden, die SAP innerhalb der EU bereitstellt."
René Büst, Crisp Research
René Buest, Senior Analyst und Cloud Practice Lead bei dem Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Crisp Research: "Für international tätige Unternehmen ist es schlichtweg unverzichtbar, einen Cloud-Service-Provider mit einer Präsenz in vielen Regionen der Welt auszuwählen."
Geteilte Verantwortung in der Public Cloud
In der Public Cloud gehorchen die Services verschiedenen Herren: Management und Sicherheit von Infrastruktur wie Storage, Netzwerk, Datenbank und Rechenpower auf der einen Seite, Verwantwortung für VMs, Anwendungen und Daten auf der anderen Seite.
Rechtslage in Deutschland
Gerade die Angst vor Angriffen und Datenverlusten schreckt viele Anwender nach wie vor vor der Cloud ab.
Compliance-Sorgen
Auch die Sorge, Compliance-Bestimmungen in der Cloud nicht einhalten zu können, treibt viele Anwender um.
CASB - das Geschäft mit dem Cloud-Zugang
Durch sogenannte CASB (Cloud Access Security Broker) soll der gesicherte Zugang zu Cloud-Diensten sichergestellt werden. Hier entwickelt sich zunehmend ein eigener Markt.

Einwilligungserklärungen erforderlich

Die einzige rechtssichere Möglichkeit eines Transfers personenbezogener Daten in die USA ist momentan die ausdrückliche Einwilligung der betreffenden Person, ihre Daten zu übermitteln. Für die Rechtswirksamkeit ist entscheidend, dass der Kunde, der Internetnutzer oder der Arbeitnehmer vor deren Abgabe über den genauen Verwendungszweck der Daten sowie die Reichweite der Datenverarbeitung und -speicherung informiert wird. Es bedarf also ab sofort einer qualifizierten Übertragungseinwilligung für personenbezogene Daten. Bestehende Einwilligungserklärungen müssen daraufhin geprüft werden und viele Unternehmen müssen neue Datenaustauschprozesse mit den USA aufzusetzen - sei es auf Kunden- oder auf Arbeitnehmerseite.

Obgleich diese Vorgehensweise oftmals mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden sein wird und Unternehmen, welche auf einen Datentransfer in die USA angewiesen sind, vor große praktische Herausforderungen stellt, ist die Einholung solcher qualifizierter Einwilligungen derzeit die einzige rechtssichere Möglichkeit eines Transfers personenbezogener Daten in die USA. Denn vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils ist momentan völlig ungewiss und offen, welche datenschutzrechtlichen Anforderungen an anderweitige Gestaltungsoptionen unter Berücksichtigung der geltenden EU-Datenschutzrichtlinie zu stellen sind.