Die kleine Revolution

Bielefeld setzt EU-Dienstleistungsrichtlinie um

01.12.2008 von Riem Sarsam
Ende nächsten Jahres muss die EU-Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt sein. Die Stadt Bielefeld will dies mit Hilfe von SAP-Software machen. Für die Technik ist damit gesorgt, für Informatikleiter Bernd Landgraf ist die organisatorische Vorbereitung jedoch die viel größere Herausforderung.
Eine Festung, die heute niemandem mehr den Zutritt verwehrt: die im 13. Jahrhundert erbaute Sparrenburg, das Wahrzeichen Bielefelds.

Es ist gut 500 Jahre her, da Bielefeld mit Mauern, Wällen und Wassergräben gesichert und dadurch vom Umland abgeschlossen war. Heute ist die Stadt in Ostwestfalen ein Teil Europas, eingebunden in ein Netz aus Kulturen, Wirtschaft, Politik - und Regularien. Etwa der EU-Dienstleistungsrichtlinie.

Diese Richtlinie ist Ende 2006 in Kraft getreten, bis Ende 2009 soll sie umgesetzt werden. Hintergrund ist der Wunsch der Europäischen Union zu weniger Bürokratie. Die Richtlinie soll durchsetzen, dass alle Unternehmen europaweit dieselben Bedingungen vorfinden.

Eine zentrale Rolle spielt der "EA", der sogenannte einheitliche Ansprechpartner. Er wird zukünftig der Kontaktpunkt für sämtliche Belange sein, die sich bei der Anmeldung eines Gewerbes ergeben. Darüber hinaus will die EU, dass sich die Vorgänge in Zukunft auf elektronischem Weg erledigen lassen.

Webseite führt den Antragsteller

Für letzteres holt sich Bielefeld die Unterstützung von SAP. Die Stadt verzeichnet jährlich rund 3000 Gewerbeanmeldungen, knapp 2000 Ummeldungen und etwa 2800 Abmeldungen. Gemäß einem jüngst unterschriebenen Vertrag wird SAP der Stadt eine Musterlösung zur Verfügung stellen, die die Verwaltungsabläufe automatisiert. Ab Frühjahr 2009 soll die auf SAP Netweaver und SAP CRM basierende Software für Bielefeld zur Verfügung stehen.

Mit der Portaltechnologie wird die Stadt eine Internetseite anbieten können, auf der sich der Antragsteller Schritt für Schritt durch seine An- oder Ummeldung durcharbeitet. Je nach Angaben, führt ihn die Maske zu den weiteren Eingaben: Will er beispielsweise ein Café mit Alkoholausschank eröffnen, weiß die Software, dass hierfür unter anderem eine Unbedenklichkeitserklärung benötigt wird.

Für die Dokumente, gleich ob Handwerksbrief, Führungszeugnis oder eine Steuererklärung, steht ein virtueller Datenraum zur Verfügung. In diesem Datensafe lassen sich die Papiere ablegen oder bearbeiten. Voraussetzung ist, dass alle Unterlagen in elektronischer Form vorliegen, was mittelfristig ohnehin geschehen soll.

Ist die Antragstellung einmal abgeschlossen, erhält man nicht nur den Kontakt zum einheitlichen Ansprechpartner, sondern auch eine Vorgangsnummer, über die sich der Status der Bearbeitung online verfolgen lässt.

Gleiches ist auch im Backend, also für den einheitlichen Ansprechpartner, möglich. Dieser soll sich jederzeit über den Stand der Dinge informieren können. Er hat Zugriff auf den Dokumentenraum und soll wissen, wer was zu tun hat.

Organisatorische Herausforderung

Bis Ende 2009 will Informatikleiter Bernd Landgraf die Webseite bereitstellen können, den Kontakt zum Ansprechpartner umsetzen und bereits erste konkrete Vorgänge automatisiert haben. "Wir werden mit Prozessen beginnen, die zum einen nicht zu komplex sind und zum anderen häufig erledigt werden", sagt er. Damit ließe sich der Ablauf recht schnell vereinfachen und beschleunigen. Aus Sicht der Informatik von Bielefeld oder SAP dürfte die Implementierung keine bösen Überraschungen mit sich bringen.

Soweit zur Technik. Ähnlich wie in Unternehmen, die eine neue Software einsetzen, ist mit dem Projekt auch organisatorischer Aufwand verbunden. Wirtschaft und Behörde lassen sich jedoch nicht vergleichen. "Für den Öffentlichen Dienst kommt so etwas einer kleinen Revolution gleich", sagt Bernd Landgraf. Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie läute einen Paradigmenwechsel in den Ämtern ein.

Mit der Etablierung des einheitlichen Ansprechpartners - auch als Kümmerer-Prinzip bezeichnet - wird die Ämterrallye ersetzt, die der einzelne Antragsteller bisher durchlaufen musste. Bis dato war er allein dafür zuständig, die richtigen Behörden aufzusuchen, die richtigen Anträge einzureichen und schließlich auch sicher zu stellen, dass diese auch ausgefüllt werden.

Nun wird es einen Koordinator von Amts wegen geben, der dies alles zu erledigen hat, der den Kontakt mit den beteiligten Ämtern herstellt und dem Antragsteller beratend zur Seite steht. Dies organisatorisch vorzubereiten, bezeichnet Landgraf als die eigentliche Herausforderung des Projektes. Rund 1000 externe Beraterstunden zählt er, und viele Gespräche zwischen unterschiedlich Beteiligten.

Mauern zwischen Ämtern fallen

Nicht nur die Ämter der Stadt mit ihren einzelnen Abteilungen und Personalvertretungen sind in die Diskussion eingebunden, auch Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammer (IHK) oder die für Wirtschaftsförderung zuständige Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Bielefeld mbH (WEGE).

Abschließend geklärt sind noch nicht alle Fragen. Wo beispielsweise wird die Zuständigkeit für die Gewerbeanmeldung letztlich liegen? In den Behörden, in den Kammern oder bei WEGE? Das Land Nordrhein-Westfalen hat außerdem noch nicht beschlossen, ob die EU-Dienstleistungsrichtlinie überhaupt die Kommunen, also den Städten und Kreisen, aufgehängt wird. Man arbeite mit Hochdruck an dieser Frage, hieß es aus dem Düsseldorfer Wirtschaftsministerium.

Bis Ende 2009 werden die Antworten geliefert sein. Für die künftigen Antragsteller nur eine Formalie - für sie ist wichtig, dass sie sich in Zukunft nur noch an einen Ansprechpartner wenden. Damit werden wieder weitere Mauern und Schutzwälle verschwunden sein - diesmal die zwischen den Behörden und Ämtern.

Bielefeld / EU-Dienstleistungsrichtlinie

Branche

Öffentlicher Sektor

Zeitrahmen

bis Ende 2009

Produkte

SAP Netweaver, SAP CRM

Dienstleister

SAP

Umfang

Umstellung der Gewerbeanmeldung

Internet

www.bielefeld.de

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