Neues Preissystem bei der Deutschen Bahn

Big Bang in Lummerland

02.12.2002 von Johannes Klostermeier
Die Deutsche Bahn wird Mitte Dezember das ehrgeizigste IT-Projekt ihrer Geschichte abschließen. Mit dem "Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr", kurz PEP, wird das alte Tarifsystem von 1835 abgelöst. Ab sofort machen die Kunden die Preise selbst, so der Werbeslogan der Bahn.

Ab 15. Dezember müssen Bahnkunden in Deutschland umdenken. Denn dann schafft die Bahn das seit 167 Jahren geltende Prinzip der festen Kilometerpreise ab. Die Kernpunkte der Preisreform: Wer früh bucht, fährt günstiger, Spontanfahrer zahlen den vollen Preis. Jede der 20 Millionen Fernverkehrsverbindungen kostet in Zukunft eine andere, nach komplizierten Regeln festgelegte Summe. Damit will die Bahn die Nachfrage auf stark befahrenen Strecken steuern. Das Preis- und Erlösmanagement (PEP) orientiert sich am System der Fluggesellschaften. Dort wird seit jeher per Yield-Management der Ertrag durch Preisdifferenzierung maximiert.

Für die IT-Experten der Bahn ist die Umstellung eine gewaltige Aufgabe, deren Lösung sie bereits mehrmals verschieben mussten. Denn heute werden nur einige tausend Sitzplätze mit Verfügbarkeitsabfrage im Zentralcomputer reserviert; ab Mitte Dezember muss die Bahn jede Verbindung einzeln einbuchen, in Echtzeit mit den zur Verfügung stehenden Kontingenten vergleichen und an die 20000 angeschlossenen Endgeräte liefern. Ticketerstellung und Fahrplan existierten bislang unabhängig voneinander; bei der neuen Preisstruktur mit "Zugbindung" sind beide untrennbar miteinander und mit dem neuen Erlösmanagement verknüpft.

Christoph Franz und Hans-Gustav Koch verantworten das neue Preissystem. Der Vorstand Personenverkehr und der Bereichsvorstand Marketing/Vertrieb müssen sicherstellen, dass die IT-Systeme zum Start einwandfrei laufen. Der Druck ist groß, eine Panne kann sich das Staatsunternehmen nicht erlauben. "Die größte Herausforderung wird sein, unsere Mitarbeiter fit für die neue Software zu machen", sagt Franz, der 1994 von der Lufthansa zur Bahn wechselte. Dass der Vorverkauf am 1. November begonnen wurde, ist kein Zufall: Am Feiertag Allerheiligen herrscht weniger Andrang. "Die Systeme können langsam hochgefahren werden", so Wolfgang Schambach vom Reisebüro-Bahn-Beirat. Mitte Dezember, wenn PEP seine Feuerprobe bestehen muss, ist die Last ebenfalls relativ gering, weil es in dieser Zeit nur noch wenige Geschäftsreisende gibt.

Zugauslastung bestimmt Fahrpreise

Die IT-Umsetzung hat eine Projektgruppe der Bahn-Tocher DB Systems, hervorgegangen aus TLC (Transport-, Informatik- und Logistik-Consulting) und DB Informatik-Dienste (IDG) mithilfe von Beratern von T-Systems geleistet. 500 Mitarbeiter waren in der Spitze mit der Neuentwicklung beschäftigt: 150 kamen vom Fachbereich Personenverkehr, 200 von DB Systems; der Rest stammte von T-Systems sowie aus kleineren Firmen. "Die Kosten belaufen sich auf rund 200 Millionen Euro inklusive Marketing- und Werbeausgaben", verrät DB-Systems-Projektleiter Christian Kalus. Mindestens drei Prozent oder 100 Millionen Euro im Jahr wolle das Unternehmen durch die Umstellung mehr einnehmen, erklärt Koch.

Die Bahn knüpft bei der Realisierung des komplexen Systems, das den Fahrpreis von der Zugauslastung abhängig macht, an die betagte, in der Ursprungsversion 1988 in Betrieb genommene Vertriebssystemplattform Kurs 90 an. "Verglichen mit anderen Reservierungssystemen ist Kurs 90 eigentlich noch ein Teenie", meint Kalus, der zugleich von "einer Produktionsstabilität von mehr als 99 Prozent" schwärmt.

Dennoch bestätigt er: "Es gab zu Anfang Überlegungen, ob wir das neue Preissystem zu einer Teilablösung von Kurs 90 verwenden sollten." Der knappe Zeitrahmen von 20 Monaten hat den IT-Fachleuten aber offenbar keine andere Wahl gelassen, als das alte System fortzuführen. Das könnte zum Problem werden, wenn der Vorstand eines Tages beschließen sollte, die antiquierte Bahn-Datenverarbeitung auszumustern und durch ein zeitgemäßes System zu ersetzen. Denn dann müsste vieles schon wieder neu programmiert und angepaßt werden.

Big Bang für die IT war der 1. November. "Wir haben den kompletten Host und alle Endgeräte auf einmal umgestellt. In jedem Software-Projektmanagement-Handbuch steht, das man das lassen sollte. Aber wir konnten in den verschiedenen Vertriebskanälen ja nicht mit dem alten und neuen Preissystem nebeneinander arbeiten."

Der Fahrgastverband "Pro Bahn" hält die neue Preisstruktur für nicht ausreichend getestet: "Weit weniger Reisende als prognostiziert nutzen den Buchungsweg Surf & Rail im Internet, mit dem die Deutsche Bahn im Vorgriff auf PEP mit analogen Tarifbedingungen die Akzeptanz von Zugangsbeschränkungen getestet hat." Nach zunächst einigen hundert Nutzern täglich seien es zuletzt zirka 1000 gewesen, die bei deutlicher Ermäßigung bereit waren, sieben Tage im Voraus zu buchen. Fazit der Experten: Zu PEP-Bedingungen sei also ein Kartenkontingent von weniger als zwei Fernverkehrszügen abgesetzt worden.

Beim Reisebürodachverband DRV hingegen herrscht Optimismus. "Wir laufen nicht auf eine Katastrophe zu", meint Vizepräsident Hans Doldi. Allerdings sei es sicher nicht einfach, "einem alten Mütterchen" das neue System klar zu machen, räumt Kollege Schambach ein. Auf 36 mögliche Preise kam er bei einer Beispielrechnung für eine Fahrt von Worms nach München. Dagegen steht die Werbung der Bahn, die den Tarifdschungel lichten will: "Nur Lummerland hat einfachere Preise", heißt es dort.

Die neue Reiseauskunft der Bahn ab 15.12.
planundspar.bahn.de

Übersicht über die neuen Preise
www.bahn.de/pv/uebersicht/die_bahn_neue_preise.shtml

Das "Pep-Lexikon" von Wolfgang Schambach
www.schambach.de/peplex.htm

Fahrgastverband Pro Bahn zur Preisreform
www.probahn-nrw.de/projekte_pep.htm