IT-Manager wetten

Bis 2023 wird’s nix mit Zero E-Mail

15.10.2012 von Martin Gnass
CIO Martin Gnass von Hapag-Lloyd bietet gleich drei Wetten für das Jahr 2023 an. Die Mail bleibt und gearbeitet wird weiter im Büro und nicht im Home Office.
Martin Gnass ist CIO der Hapag-Lloyd AG.
Foto: Joachim Wendler

"Ich wette, dass auch in zehn Jahren der überwiegende Anteil der geschäftlichen elektronischen Kommunikation per E-Mail erfolgen wird."

"Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt", sagt der Volksmund. Oft genug trifft dies auch für IT-Prognosen zu. Auch wenn die IT-Vorhersagen selbst ernannter Marktauguren oft genug falsch liegen, wage ich einen Blick in die "IT-Glaskugel 2023" für folgende Themenbereiche:

Zentralisierung von Informations-Services

Für weltweit agierende Unternehmen, deren Geschäftsprozessmodell einem hohen Grad an Standardisierung unterliegt, ist die zentrale Bereitstellung von IT-Infrastruktur- und Applikations-Services für die globale Organisation "aus der Netzsteckdose" per MPLS-Netz beziehungsweise Internet übliche Praxis. Darüber hinaus sind in vielen Unternehmen noch "lokale" Systeme und Datenhaltung auf File-Servern in den Büros beziehungsweise Niederlassungen anzutreffen. Diese Services werden künftig eine weitgehende Zentralisierung erfahren.

Der Consumer-Bereich ist in vielen Dingen Vorreiter. Tradierte Konzepte für lokale Datenspeicherung werden durch zentrale Data-Services abgelöst. Apples Cloud Service, Drop Box und weitere werden Nachahmer finden, die ein sicheres und - im Gegensatz zu Apple - ein produkt- respektive plattformneutrales Daten-Hosting ermöglichen.

Consumer werden künftig auf einfache Art und Weise mit beliebigen Endgeräten auf ihre Daten zugreifen und sicher(er) als heute archivieren können. Im privaten Bereich wird in zehn Jahren (hoffentlich) kein Anwender mehr "Hand-am-Arm"-Daten per USB-Stick von A nach B kopieren und sich um das Backup seiner privaten PC- und Notebook-Festplatten kümmern müssen.

Weitere Wetten finden Sie im CIO-Jahrbuch 2013. Die CIO-Redaktion stellt das Buch am 22. November anlässlich der Gala zum CIO des Jahres 2012 vor.
Foto: cio.de

Im Unternehmen wird künftig die "Enterprise Cloud" abteilungsspezifische fachliche Anwendungen und Daten als zentralen Service bereitstellen. Standortspezifische Datenhaltung auf File-Servern, Laufwerkverzeichnisse und so weiter werden durch diese zentralen Data-Services abgelöst sein.

Die Zentralisierung der Informations-Services hat neben den bekannten technischen und kommerziellen Vorteilen auch positive Effekte für die Agilität von Unternehmen: Organisatorische Veränderungen werden schneller unterstützt und IT-seitig abgebildet, da Netzzugang und Endgeräte als Zugangsvoraussetzung schnell bereitgestellt werden. Beispiele: Post Merger Integration, das Bündeln von Tätigkeiten in "Shared Services"-Teams, Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen. Auch Business-Continuity-Konzepte können IT-seitig durch die "Enterprise Cloud" besser unterstützt werden.

Fazit: In zehn Jahren wird lokale Daten- und Applikationshaltung weitgehend Geschichte sein. Der bereits in den 90er-Jahren beworbene "IT-Service aus der Steckdose" ist endlich Wirklichkeit geworden.

Veränderung von Arbeitsformen und Arbeitswelten

Moderne ITK-Konzepte und breitbandige Internetverbindungen ermöglichen seit etlichen Jahren die Flexibilisierung der Arbeitswelten und das weitgehend ortsunabhängige Arbeiten. Der Adaptionsgrad "virtualisierter Arbeitswelten" ist jedoch firmen- und branchenabhängig sehr unterschiedlich.

Ein Paradebeispiel sind die Unternehmen der IT-Dienstleistungs-/Beratungsbranche, die seit Jahren flexible Modelle zur Arbeitszeit- und Arbeitsplatzsouveränität eingeführt haben (Home-Office- und Shared-Office-Konzepte). In anderen Branchen und Unternehmen ist dies jedoch noch die Ausnahme beziehungsweise auf einzelne Mitarbeiter beschränkt.

Eine repräsentative Umfrage des Branchenverbandes Bitkom 2010 ergab, dass zehn Prozent der Berufstätigen in Deutschland ganz oder teilweise von zu Hause arbeiten. Der Office 21 Forecast des Fraunhofer-Instituts für 2024 besagt, dass für 94 Prozent der Befragten eine hohe Flexibilität bei der Wahl des täglichen Arbeitsortes die Regel sein wird. Wie geht der Trend nun weiter? Ist in zehn Jahren das klassische Firmenbüro überflüssig geworden und damit der IT-Arbeitsplatz im Büro ein Auslaufmodell und durch BYOD abgelöst?

BYOD löst den klassischen Arbeitsplatz nicht ab

Meine Prognose: So wird es - zumindest flächendeckend - nicht sein. Unbestritten werden demografischer Wandel, gesteigerte Work-Life-Balance-Erwartungen qualifizierter Mitarbeiter in den entwickelten Gesellschaften sowie Verkehrsinfrastrukturprobleme die Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen vorantreiben. Gleichwohl laufen Veränderungsprozesse hinsichtlich der Organisation von Arbeit nach unterschiedlichen Maßstäben - und in Deutschland und Europa tendenziell eher langsam - ab. Die Flexibilisierung der Arbeit durch Mobilitätskonzepte wird zudem in Teilen von Management- und Mitbestimmungsgremien zurückhaltend behandelt. Auch bei Mitarbeitern ist die Euphorie unterschiedlich groß. Die bekannten Gründe: Angst vor Steuerungs- und Kontrollverlust, Verlust des Identifikations-beziehungsweise Zugehörigkeitsgefühls zum Unternehmen, Angst vor dem Verlust sozialer Kontakte.

Meine Erwartung: Arbeitszeit- und Arbeitsplatzsouveränität werden in den nächsten Jahren moderat zunehmen und "virtuelle Belegschaften" in der Minderheit bleiben. Dies hat auch für die IT Konsequenzen: Der klassische Büroarbeitsplatz ist in zehn Jahren noch nicht passé. Die Unternehmens-IT wird auch künftig IT-Arbeitsplätze anbieten, die den Prinzipien der Standardisierung, Kosteneffizienz und Zuverlässigkeit unterliegen. Dies wird nicht mehr der PC/Desktop sein, sondern Techniken wie Thin Client, VDI-basierte Konzeptmodelle oder Ähnliches.

Mobilität wird für bestimmte Mitarbeitergruppen weiter zunehmen, BYOD für mobile "Smart Worker" Einzug halten. Unabhängig davon werden Teile des Managements, Mitbestimmungsgremien und Mitarbeiter nach wie vor erwarten, dass das Unternehmen mobile Arbeitsgeräte zur Verfügung stellt.

Bekanntlich entwickeln sich die Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit rasant weiter. Digitale Medien ("Social Media") finden zunehmende Verbreitung im privaten und beruflichen Umfeld. Daraus ergeben sich für die Unternehmen viele Chancen und Risiken. Der Grad der Adaption wird auch hier - in Abhängigkeit von Branche und Unternehmenskultur - unterschiedlich bleiben.

"Zero E-Mail" nicht in den nächsten zehn Jahren

Eine bekannte IT-Beratungsfirma ist früh auf das Thema aufgesprungen und hat bereits vor einem Jahr auf der CeBIT öffentlichkeitswirksam die "Zero E-Mail" für die Zeit nach 2015 proklamiert. Meine Prognose lautet: So wird es nicht sein. "Erprobte" Technologien haben eine längere Lebensdauer als oftmals angenommen; dies gilt auch in der ITK-Branche. Selbst die seit Langem totgesagte Faxtechnik ist (leider) immer noch im Arbeitsalltag existent.

Deshalb bin ich sicher: Auch 2023 hat die E-Mail noch einen hohen Stellenwert in der digitalen Kommunikation. Der überwiegende Anteil der geschäftlichen elektronischen Kommunikation wird noch per E-Mail erfolgen.

Ich freue mich auf Ihre Gegenwette!

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