Gesundheitskarte - Medica Media

Carta Incognita

26.11.2007 von Andreas Schmitz
Kosterniert sind sie alle: Die Ärzte, weil sie Angst um ihre Patienten haben. Die Krankenkassen, weil sie sich dem Vorwurf der zentralen Datenspeicherung stellen müssen. Die Projektleiter in den Testregionen, weil sie nur spärliche Resultate vorweisen können. Die Patienten, weil andauernd andere über ihre Gesundheitsdaten reden. Die Diskussion auf dem Medica Media-Podium zur Gesundheitskarte gibt kaum Anlass zur Hoffnung.
Andreas Schmitz, Redaktion CIO: "Der Patient ist der Chief über seine ureigene Informationen – der CIO seiner eigenen Krankengeschichte. Gerade deshalb müssen Fragen verständlich und überzeugend beantwortet werden."

Gleich zu Beginn spricht der Vorsitzende des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer in Berlin Franz-Joseph Bartmann offen aus, was alle denken und wissen: Die Gesundheitskarte steht für ein "kommunikatives Desaster auf allen Ebenen". So weit waren alle beieinander. Sei es die Vertreterin der Angestellten-Krankenkassen Doris Pfeiffer, der Datenschützer Thilo Weichert, Norbert Parland aus dem Bundesgesundheitsministerium oder Testregions-Projektleiter Jürgen Sembritzki.

Vermeintlich am nächsten an der Praxis sein sollte Jürgen Sembritzki, doch dann erzählt er, wie er die Anfrage eines Journalisten abgelehnt hätte, der einen kritischen Artikel über die Testregion Bochum/Essen schreiben wollte. Man müsse doch vielmehr über die Erfolge reden, fordert Sembritzki, der Ansatz sei schon so negativ gewesen. Und deshalb also redet der Projektleiter einer Testregion, die quasi im kommenden Jahr eine Art Prototyp für Deutschland darstellen könnte, nicht über Probleme. Weil es sie nicht geben darf, in der Öffentlichkeit, die sowieso alles schlecht redet. Und so verschweigt er sie auch diesmal. Behauptet entsprechend, dass es alles in allem gut laufe. "Das sind aber ganz und gar nicht unsere Erfahrungen", wendet der Sprecher der Testregion Flensburg Eckehard Meissner aus der Zuhörerschaft ein. Und eine Ärztin fordert Fakten. Wie viele Patienten haben die Karte? Wie viele Ärzte nutzen die Technik bereits? Funktioniert alles wie erwartet? Sembritzki gibt zu, dass er auf solche Fragen nicht vorbereitet gewesen sei.

"Bewegen uns in eine unsichere Zukunft"

Wenn es an Bedenken geht, zucken viele Verantwortliche im Umgang mit der Gesundheitskarte vor der Wahrheit zurück - und machen sie zur Carta Incognita. Eine große Unsicherheit löst die Speicherung der Patientendaten aus. "Bekommen Kassen indirekt eine Kontrolle über die Behandlungsmethoden der Ärzten - über gesetzliche Grenzen hinaus?", formuliert der Datenschutz-Beauftragte des Landes Schleswig-Holstein Thilo Weichert kursierende Bedenken. Indem Kassen bestimmen, welche Behandlungen sie zahlen und welche nicht. In Hinsicht auf die Selbstbestimmung und Transparenz könne sich Minister Wolfgang Schäuble aus dem Bundesinnenministerium eine Menge abgucken, meint Weichert. Und doch lautet das Urteil des Experten: "Wir bewegen uns in eine unsicherere Zukunft".

Und das auch noch auf dem sensiblen Feld der Daten zur eigenen Krankheitsgeschichte. Krankenkassen forsten ihre Data Warehouses auf, um künftig - wie die DAK - schon beim Anruf zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wunderbar, sagt die DAK, jetzt ist unser Kundenberater sofort auf dem Stand der Dinge. Um Himmels willen, schreien Patientenvertreter, da werden Daten zentral gespeichert und demnächst folgt der "europäische Zugriff auf Ihre Daten", befürchtet die Freie Ärzteschaft, die die Karte dann auch gleich Krankheitskarte umbenennt. Und schon steht der Vergleich mit den Maut-Stationen auf Deutschlands Autobahnen im Raum, die längst nicht mehr nur zur LKW-Kontrolle, sondern vielmehr als Überwachungsallzwecktechnologie eingesetzt wird.

Unklare Möglichkeiten eines Data Warehouse

Zu unklar sind dem Otto-Normal-Patient die Möglichkeiten eines Data-Warehouse, das ganz offenkundig eine neue Form der Transparenz über Patienten herstellt - und im Guten beispielsweise eine individuelle Betreuung von Patienten möglich macht. Parallel diskutiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung dann jedoch den Morbiditätsindex. Patienten würden dann je nach Diagnose unterschiedlichen Risikogruppen zugeordnet. Anhand der Ausgaben für diese Patientengruppen ließe sich der künftige Bedarf prognostizieren. Dazu bedarf es Daten, die eben nicht immer zum Nutzen des Patienten eingesetzt werden müssen.

Der Haken an allen Angstszenarien: Der Patient ist der Chief über seine ureigene Informationen - der CIO seiner eigenen Krankengeschichte. Gerade deshalb müssen Fragen verständlich und überzeugend beantwortet werden. Denn erst dann dürfte der Patient seine Daten in den immer effizienter werdenden Gesundheitskreislauf geben. Wie sagte doch Jürgen Sembritzki aus dem Zentrum für Telematik im Gesundheitzswesen so trefflich in seinem Schlusswort: "Wir müssen sachlich diskutieren und besser kommunizieren".

Na denn, gute Besserung!