Die drei Phasen des Change-Management bei Emirates

Change-Projekte scheitern ohne Sicht von außen

30.04.2009 von Andrea König
Wer Wandel im Unternehmen will, braucht Demut. Change-Management ist keine One-Man-Show, wie das Beispiel des Emirates-CIO Patrick Naef belegt. Hilfe von außen ist wichtig - vielleicht sogar zwingend.

Nur schemenhaft zeichnen sich Hubert Webers Gesichtszüge unter der ausladenden Kapuze ab. In einem weißen Ganzkörperoverall stäubt der Berater ein Pulver auf eine Oberfläche. Abhängig vom Licht strahlt das Pulver erst blau, dann weiß und schließlich gelb. Beim Anblick des David-Copperfield-Verschnitts im Maleranzug wird Patrick Naef bleich um die Nase. "Wieso macht der sich da so lächerlich?", schießt es dem Emirates-CIO durch den Kopf. Die Fluglinie zahlt Weber einen dicken Scheck für das Change-Projekt Phoenix, und Naef wird die teure Zaubereinlage vor seinen Mitarbeitern rechtfertigen müssen.

Muss er dann aber doch nicht. Am Ende der Sitzung ist Webers Botschaft bei allen Beteiligten angekommen. Die anfängliche Debatte, wer die Farbe des Pulvers richtig gesehen habe, war so kontrovers wie sinnlos. Irgendwie hatten alle Betrachter recht. Übertragen auf die Geschäftswelt heißt das: Es gibt mehrere Perspektiven für einen Sachverhalt, und sie können alle gut und richtig sein.

"Externe stellen Dinge in Frage"

Um zu einer solchen Erkenntnis zu gelangen, braucht es keine monatelange Unterstützung durch Berater, könnte man meinen. "Doch", sagt Naef von Emirates Airlines: "Externe stellen Dinge in Frage, zu denen interne Mitarbeiter einfach nicht in der Lage sind." Als er 2006 nach Dubai gekommen war, lief vieles entgegen seinen Vorstellungen. Schnell fiel die Entscheidung für eine radikale Umorganisation der IT mithilfe von außen. Anders wäre es nicht gegangen, glaubt Naef: "Vor allem langjährigen Mitarbeitern fällt es sehr schwer zu akzeptieren, dass etwas, was man seit jeher so gemacht hat, nicht mehr ideal ist." In so einem Fall bräuchte man den Blickwinkel von außen.

Der kam beim Emirates-Projekt durch Hubert Weber und sein "Institute for Growth and Innovation", kurz IGI. Über mehrere Monate hinweg unterstützte IGI Emirates-Mitarbeiter dabei, die IT-Organisation umzukrempeln. Am Beispiel des Phoenix-Projekts sollen im Folgenden die einzelnen Etappen eines Change-Projekts aufgezeigt werden. Wie viel Zeit muss man dafür einplanen und was ist jeweils besonders zu beachten?

Patrick Naef, CIO der Emirates.

Als wir Weber in seinem Unternehmen in einem Münchner Vorort diese Fragen stellen und den aufgedröselten Zeitplan erbitten, breitet der Change-Experte Bergbilder auf dem Besprechungstisch aus. Spricht über den Mont Blanc, den ein Trainierter spontan und ohne Hilfe besteigen kann. Und über den Mount Everest, für den es akribischer Vorbereitung bedarf und den man Schritt für Schritt gemeinsam mit Helfern erklimmt. Viel zu häufig versuchen Unternehmen, diesen Weg "allein" zu gehen, und das, obwohl "zwei Drittel aller Change-Projekte scheitern", weiß Weber. Seine Berg-Allegorie soll verdeutlichen: Change-Projekt ist nicht gleich Change-Projekt. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber immerhin einen groben Fahrplan.

Phase 0 - die Projekt-Definition (dauert ein bis drei Wochen)

Phase 0 ist die Definitionsphase eines Change-Projekts. In dieser Zeit beschäftigen sich Unternehmer und externe Berater mit der Ist-Situation, stecken Ziele ab und loten aus, ob beispielsweise auch politische und kulturelle Aspekte eine Rolle beim Change-Projekt spielen. "An dieser Stelle stimmen wir Ziele, Scope, Vorgehen und Organisation des Projekts mit dem Management ab und holen deren Commitment und Alignment ein", sagt IGI-Chef Weber.

Hubert Weber, Institute for Growth and Innovation (IGI).

Im Fall von Emirates-CIO Patrick Naef war schnell klar, dass es sich um ein komplexes Projekt handelt. "Die ersten zwei Monate habe ich eigentlich nur zugehört und zugeschaut“, erklärt der Airline-CIO sein Vorgehen. "Nach vier Wochen wusste ich bereits, wo die Problemzonen liegen", sagt Naef. Er organisierte gemeinsam mit dem Change-Experten Hubert Weber erste Workshops für sein Management-Team und mobilisierte auf diese Art seine Mannschaft für die Veränderungen.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Phase waren das Einschwören des Teams und die Vorbereitung auf das entscheidende Gespräch mit dem Präsidenten. "So ein radikaler Wechsel ist bei Emirates nicht teil der Firmenkultur", beschreibt Naef die Problematik. Webers ideenreicher Beratungsstil half. Eine Szene aus Ridley Scotts Spielfilm "Gladiator" festigte das Team und ließ es zuversichtlich und geschlossen zum Präsidenten marschieren. Der Präsident war einverstanden. Die nächste Phase konnte beginnen.

Phase I - die Design-Phase (dauert sechs bis zwölf Wochen)

Nun muss es zügig vorangehen. "Denn wenn das Projekt nicht nach bereits drei Monaten erste sichtbare Erfolge aufweist, ist das Risiko groß, die Unterstützung der Mitarbeiter zu verlieren", weiß Weber. Und dann kann die Idee noch so gut sein, es wird nicht funktionieren. Der Faktor Mensch ist in allen Schritten essentiell. Davon sind nicht nur Weber und Naef überzeugt. Die beiden Autoren Klaus Doppler und Christoph Lauterburg veröffentlichten 2008 im Campus Verlag das Buch "Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten". Damit erschien bereits die zwölfte Auflage dieses Standardwerks über den Wandel. Der aktuelle Band vertieft das Thema Gruppendynamik und macht klar: Die Rolle des Menschen ist in jedem Prozess zentral.

Phase 1.1: Transparenz schaffen

Auch im IGI-Modell spielt der Mensch in jeder einzelnen Phase eine tragende Rolle. In der Transparenz-Phase werden relevante Einflussfaktoren auf das "SOLL" untersucht. "Das kann etwa durch Fragebögen, Interviews und/oder Workshops geschehen", sagt Weber. Bei Emirates bestand die Aufgabe des Change-Projekts unter anderem darin, "in drei Monaten alle Kernprozesse der IT-Organisation neu zu definieren und zu implementieren sowie Emirates Group IT strategisch neu auszurichten". Emirates-CIO Naef verschaffte sich in zahlreichen Gesprächen einen Überblick. Dann zog er 20 der besten Leute für drei Monate Vollzeit aus ihren Abteilungen ab und brachte sie in einem separaten Gebäude am anderen Ende des Flugplatzes unter. Dort sollten sie basierend auf der neuen Prozesslandschaft eine Organisationsstruktur entwickeln, die prozessorientiert ist. Wichtig war Naef, dass sich unter diesen 20 Mitarbeitern niemand aus den ersten drei Management-Stufen befand: "Die Belegschaft sollte über die neue Struktur entscheiden", so der CIO. Vor allem das mittlere Management wollte er nicht in das Projektteam aufnehmen: "Das sind Leute, die etwas zu verlieren haben und deshalb so ein Projekt blockieren."

Phase 1.2: Konzeption und Detaillierung (dauert fünf bis elf Wochen)

Change: 11 Tipps vom Berater - kommentiert vom CIO.

Das gemeinsame Arbeiten von 20 ausgewählten Emirates-Group-IT-Mitarbeitern, die sozusagen Emirates’ Group-IT-Abteilungen repräsentierten, zusammen mit sechs IGI-Beratern beziehungsweise IGI-Scouts in separaten Räumlichkeiten bezeichnet Change-Berater Weber als IGI-Labor®-Phase: "Diese Phase ist extrem durchgetaktet und durchgeplant. Alle Beteiligten haben einen festen Tagesablauf mit Themen, denen sie sich am jeweiligen Tag widmen. Flankiert wird diese Arbeit von zahlreichen Kommunikationsmaßnahmen, die sicherstellen, dass die gesamte Organisation in den Change-Prozess einbezogen ist, sowie von Abstimmungen mit dem Management, um dessen Alignment sicherzustellen."

Das Projektteam wurde zur Ideenschmiede, alleinige Entscheidungsgewalt hatte es allerdings nicht. "Bei einer Entscheidung musste das Projektteam mir und dem Top-Management drei Varianten vorschlagen. Wir haben dann gemeinsam diskutiert und abgestimmt, welche die beste ist", sagt CIO Naef. Ein Veto-
Recht hatte nur er. In Anspruch genommen habe er es aber kein einziges Mal.

Auch die Aufgabenverteilung zwischen IGI und den Emirates-Mitarbeitern war klar definiert. "Die IGI hat uns die Methodik geliefert und die Moderatorenrolle übernommen. Die Inhalte kamen immer von unseren Leuten", so Naef.

Eines der Ergebnisse des Projektteams auf dem Weg zu einer neuen Organisationsstruktur: Sie entwarfen eine sogenannte Pizza-Chart, die die Firmenphilosophie im Unternehmen reflektieren soll. "Die Idee hinter
dieser Pizza-Organisation war, wegzukommen von der Silo-Kultur", sagt Naef. Alle Bereiche sind in dieser
Struktur miteinander vernetzt, jeder Teil der "Pizza" hängt mit den anderen Teilen zusammen. Für Emirates heißt das: Es gibt keine reine Verantwortung. Vielmehr ist jeder für alles verantwortlich. Diesem Prinzip wurde in der neuen Organisationsstruktur Rechnung getragen. "Die Kommunikation ist heute viel offener",
berichtet Naef.

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Von der Pizza-Philosophie ausgehend entwarf das Projektteam eine neue Organisationsstruktur. Ende November wurde sie präsentiert. In den ersten drei Monaten im Dezember fanden die Jobinterviews statt. Nach Weihnachten sollte jeder Mitarbeiter bereits auf seinem neuen Stuhl in der Organisation sitzen. "Ich wollte die Zeit der Unsicherheit der Leute über ihre neue Aufgabe und ihren künftigen Arbeitsplatz sehr kurz halten", erläutert Naef den straffen Zeitplan. Um Kostenreduzierung ging es nicht. "Es war klar, dass jeder, der bereit ist, die Veränderung mitzutragen, danach wieder einen Job haben wird", so Naef. Dass es der Wunschjob oder die gleiche Stufe sein wird, garantierte er allerdings niemandem.

Phase 1.3: Pilotierung (dauert zwei bis vier Wochen)

Das Bindeglied zwischen der Design-Phase und der dritten Projektphase ist die Pilotierung. "Hier identifizieren wir Piloten, mit denen wir die entwickelten Konzepte überprüfen. Gegebenenfalls wird dann nachgebessert bzw. das jeweilige Konzept verfeinert", sagt Weber. Bei Emirates zählten sogenannte Mini-CIOs in den einzelnen Geschäftsbereichen zur neuen Organisationsstruktur. Diese Neuerung wurde vor dem offiziellen Roll-out pilotiert.

Phase II - Implementierungs-Phase (dauert unterschiedlich lange; bei Emirates sechs Monate)

Eine Jahresendparty für alle Emirates-IT-Mitarbeiter besiegelte am 18. Dezember den Übergang in die dritte Phase. "Nach Weihnachten waren die Prozesse klar, und wir haben den neuen Managern die Verantwortung übergeben", so CIO Naef. Die Implementierungsphase ist diejenige Phase, in der die im Labor erarbeiteten Prozesse in der Praxis eingeführt werden.

Bei Emirates entschied man sich für eine Zweiteilung des Roll-outs. Jeweils acht Prozesse wurden in den beiden dreimonatigen Phasen eingeführt. Das Projektteam und die IGI definierten für diese Phase eine Regel: "In den ersten sechs Monaten wird nichts umgestoßen.“ Auch die kleinste Änderung wurde nicht gemacht. Der Gedanke dahinter: "Wir mussten der Organisation und den Prozessen eine Chance geben. Am Anfang kamen viele Probleme auf. Aber die lösten sich häufig wie von selbst, wenn die Leute die neue Struktur akzeptiert hatten", erinnert sich Naef.

Noch vor Ablauf der Implementierungsphase verabschiedete sich das IGI-Team aus Dubai. Der Wechsel war weitestgehend vollzogen, das mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern Erarbeitete bereits größtenteils an die gesamte Organisation weitergegeben. Dass er nach sieben Monaten aus dem Change-Projekt ausgestiegen ist, erklärt Weber folgendermaßen: "Ich bin der Lotse und nicht der Kapitän. Wenn wir sichergestellt haben, dass die Mannschaft das Schiff selbst steuern kann, gehen wir von Bord.“

Maßnahmen, die während Phase I und II parallel laufen müssen

Bevor er das Schiff verließ, unterstützte Weber das Emirates-Pojektteam bei einer Reihe von Aktivitäten, ohne die man bei einem Change-Projekt zum Scheitern verurteilt ist.

Erstens: Umsetzung von Sofortmaßnahmen

Ohne Sofortmaßnahmen hätte Patrick Naef seinen Vorgesetzten und Kunden schwerlich erklären können, warum er mit einem 20-köpfigen Team abseits des täglichen Geschäfts an neuen Ideen feilt. "Natürlich haben wir nicht dagesessen und gewartet, bis das Projekt Resultate liefert. Offensichtliche Dinge ist man sofort parallel angegangen", sagt Naef. Dass es auf vielen Systemen keine Redundanz gab, wurde parallel zum Phoenix-Projekt verbessert. Mit dem Change-Projekt kamen dann auch die richtigen Prozesse hinzu.

Zweitens: Kommunikation und Mobilisierung

Auf eines weisen Weber und Naef in den Gesprächen über Change immer wieder hin: Kommunikation entscheidet. Fühlt sich auch nur einer, der informiert werden müsste, unterinformiert, drohen Stimmung und Projektunterstützung zu kippen. Deshalb gehörten 20 Prozent der Zeit bei Phoenix der Kommunikation. Einen Tag pro Woche verließ das Projektteam das Labor, ging zurück in die Abteilungen und informierte die Kollegen über den Stand der Dinge. Zudem fand alle 14 Tage eine Vernissage statt, bei der der gesamten
Belegschaft Resultate präsentiert wurden und Fragen beantwortet wurden. Auch CIO Naef kommunizierte in dieser Zeit sehr viel: Er involvierte Manager und sprach mit Vertretern aus Querschnittsbereichen wie HR und Finanzen.

Drittens: Leadership Development

Eine weitere Maßnahme bei Change-Projekten ist das Leadership Development. "Ein Change-Projekt heißt: Veränderung für jeden. Auch Mitarbeiter und Führungskräfte müssen sich wandeln, wenn man die Situation ändert", beschreibt Weber diesen Schritt. Aus Management-Sicht ist es nicht damit getan, ein Projektteam losrennen zu lassen und Ergebnisse abzuwarten, sondern das Management muss die neuen Verhaltensweisen vorleben. Leadership Development ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Es stellt sicher, dass Top-Manager die Angst vor der Veränderung verlieren. Denn erst wenn diese Ebene Sicherheit ausstrahle, komme das auch unten bei der Belegschaft an, sagt Weber.

Phase III - Optimierungsphase (fortlaufend)

Es kam an. Die Erfolge von Phoenix sprechen für sich. "Wir haben jetzt saubere Prozesse und klare Zuständigkeiten", resümiert Naef. Vor allem an den Ausfällen lasse sich das verdeutlichen. Im ersten Quartal 2006 hatte die Emirates-IT jeden Monat mit rund 100 Ausfällen zu kämpfen, die negative Auswirkungen auf das Geschäft hatten. Heute sind es etwa fünf bis sieben Ausfälle. "Ich finde diese Zahl immer noch zu hoch", sagt Naef. Für das Frühjahr plant er den nächsten Workshop.

Die Planung genauer Resultate eines Change-Projekts lehnt auch Naef ab. "Plant nicht!", gibt er künftigen
Projektteams mit auf den Weg, wie er es auch seinen Mitarbeitern bezüglich ihrer Karriereplanung empfiehlt. Nur wer nicht starr auf ein Planziel fokussiert sei, könne auch links und rechts Alternativen entdecken. "Kompatibel mit Fachliteratur ist das nicht, aber es ist mein Credo", sagt der CIO.

Hubert Weber denkt ähnlich: "Es geht weniger darum, eine Checkliste abzuarbeiten, sondern darum, mit welcher inneren Haltung man eine Change-Initiative angeht." So ging es Patrick Naef nicht darum, sich in Dubai zum Helden zu stilisieren, sondern mit seinem Team gute Arbeit zu machen und die Kernprozesse seiner IT-Organisation neu zu definieren. Change-Berater Weber weiß: "Change-Projekte packt man nicht an, damit man danach der Held im Unternehmen ist. Das ist die falsche Einstellung. Richtig ist es, sich zurückzunehmen und mit Demut der Sache zu dienen."