Harvard-Studie

Chefs haben weniger Stress als Mitarbeiter

02.10.2012 von Andrea König
Wissenschaftler widerlegen die Annahme, dass mit der Verantwortung auch der Stress zunimmt. Der Grund: Sie können ihre Arbeit selbstbestimmter kontrollieren.

Vorgesetzte kommen häufig als Erste ins Büro und gehen als Letzte. Sie müssen wichtige Themen koordinieren, unangenehme Entscheidungen treffen und dabei natürlich immer auch vorausdenken. Eigentlich würde es logisch erscheinen, dass eine höhere Hierarchiestufe im Unternehmen mehr Druck und damit mehr Stress mit sich bringt. Genau das haben Wissenschaftler jetzt widerlegt.

Chefs könnten weniger gestresst sein, weil sie in ihrer Position mehr Selbstbestimmung und Kontrolle haben.
Foto: MEV Verlag

"In der Fachliteratur zum Thema liest man immer wieder, dass mit der Hierarchieebene das Stressaufkommen von Angestellten steigt", sagt Management-Professorin Jennifer Lerner. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie eine Führungskräfte-Studie mit mehr als 200 Probanden durchgeführt, die das Gegenteil zeigt. Das überraschende Ergebnis: Leitende Angestellte waren weniger gestresst. Die Menge des Stresshormons Cortisol - gemessen anhand einer Speichelprobe - war bei ihnen geringer als bei Personen ohne Führungsverantwortung.

Nicht nur das Stressniveau der befragten Chefs aus Wirtschaft, Militär, Behörden und Nonprofit-Organisationen war niedriger. Eine Befragung zeigte, dass Unruhe und Unsicherheit bei den leitenden Angestellten seltener waren als bei Befragten ohne Personalverantwortung.

Auch Unterschiede zwischen unterschiedlichen Managementebenen

In einer zweiten Studie demonstrierten die Wissenschaftler, dass es vergleichbare Unterschiede auch zwischen Führungskräften aus unterschiedlichen Managementebenen gibt. Sie testeten die Stresslevel in einer Gruppe von 88 Führungskräften und erkannten auch bei diesem Experiment eine Rangfolge: Chefs mit mehr Führungsverantwortung (gemessen an der Anzahl der Mitarbeiter) wiesen ein niedrigeres Stressniveau auf als leitende Angestellte mit kleineren Teams.

Neun Tipps gegen Stress
Treiben Sie Sport ...
... und ziehen Sie Yoga und weitere Meditationsübungen in Betracht. Diese Übungen sind die besten Mittel gegen Stress und tragen dazu bei, Stressgefühle abzubauen. Ganz abgesehen vom gesundheitlichen Nutzen dienen die Trainings auch dazu, den Stress besser zu managen.
Lernen Sie gut zu atmen
Obwohl wir natürlich seit unserer Geburt atmen, wissen die meisten von uns nicht, wie man richtig atmet. Viele atmen in einer oberflächlichen Art und Weise - besonders in stressbetonten oder unruhigen Zeiten. Tiefes Atmen durch den Bauch kann zur inneren Ruhe beitragen. Und es hilft, in unbequemen und angespannten Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren.
Bringen Sie ihre Mitarbeiter an einen Tisch, um über jetzige schwere Zeiten zu sprechen
Wer sich die Zeit nimmt um darüber zu sprechen, wie die vielen Veränderungen und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz die einzelnen Mitarbeiter bewegen, kann die Arbeitsmoral heben. Es ist ein Fehler zu glauben, Menschen seien nicht verängstigt und besorgt und der Arbeitsplatz sei davon nicht betroffen.
Fordern Sie zu positiven, lösungs-orientierten Antworten auf
Die Zeiten sind angespannt und schwierige Veränderungen in Organisationen sind die Regel. Daher sind Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Offenheit so wichtig. Heute ist es mehr als je zuvor entscheidend, eine positive Einstellung in der Belegschaft auszulösen. Stellen Sie Fragen, die zu Lösungen ermuntern wie "Was läuft heute gut, was sind unsere Stärken, wie möchten wir, dass dieses Unternehmen aussieht?"
Seien Sie mit den Gedanken und mit dem Herzen bei der Sache.
Leute arbeiten intensiver für das, woran sie glauben und was sie zur Schaffung beigetragen haben. Das ist ein entscheidender Punkt, der während einer tiefgreifenden Umgestaltung am Arbeitsplatz geprüft werden muss. Was das mögliche Ausmaß des Arbeitsplatz-Wandels betrifft, sollten Mitarbeiter frühzeitig in die Entwicklung einbezogen werden.
Lernen Sie Ihre eigenen Gefühle zu erkennen
Bücher, Gruppen, Familie und enge Freunde sowie Trainer können wichtige Quellen sein, um sich den eigenen Gefühlen bewusster zu werden. Auch kann man dadurch leichter lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen, um sich über sein Verhalten im Klaren zu werden. Besonders sollte man darauf achten, wie man andere Menschen anspricht.
Geben Sie als Führungskraft ein gutes Beispiel
Was man tut oder lässt, hat direkten Einfluss darauf, was Mitarbeiter glauben, was akzeptabel ist. Seien Sie ein überzeugendes Beispiel dafür, dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben von Bedeutung ist. Essen Sie mit anderen zu Mittag und motivieren Sie Kollegen dazu mitzukommen. Auch Spaß und Lachen am Arbeitsplatz sind erwünscht, da dies Stress reduzierende Faktoren sind.
Nehmen Sie sich Zeit für gute Nachrichten
Wer sich immer nur auf das Negative konzentriert, tut weder seiner Gesundheit noch seiner Denkweise einen Gefallen. Und seien wir ehrlich: Der Anteil an positiven und erbaulichen Geschichten in den Nachrichten fällt eindeutig spärlich aus. Es ist extrem wichtig, sich so gut wie möglich von jeglichem Trübsal abzukapseln und wieder mit Leuten Kontakt aufnehmen bzw. Dinge zu tun, die Spaß machen.
Halten Sie sich von überflüssigen Dingen frei
Konzentrieren Sie sich auf den Kern Ihrer Arbeit. Jetzt ist Zeit, mit den Mitarbeitern Prioritäten zu setzen und sich darüber Gedanken zu machen, welche Projekte einen perfekten Lösungsansatz erfordern. Nicht jedes Projekt kann an oberster Stelle stehen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten sind Brainstorming-Sitzungen wichtiger denn je.

Dass Chefs weniger Stress als ihre Angestellten haben, begründen Professorin Jennifer Lerner und ihre Kollegen mit dem Gefühl von Kontrolle. Führungskräfte können ihr Leben und den Beruf selbstbestimmter kontrollieren als Mitarbeiter ohne leitende Funktion. Das erklärt nach Meinung der Wissenschaftler, weshalb mit der Führungsverantwortung der Stresslevel und das Gefühl von Unruhe und Unsicherheit abnehmen.

Begründung: Führungskräfte sind selbstbestimmter

Doch die Forscher gestehen ein, dass auch der Umkehrschluss möglich ist: "Natürlich kann es auch sein, dass Angestellte in Führungspositionen aufsteigen, weil sie sich besser als andere gegen den Stress abschirmen können, den der größere Verantwortungsbereich mit sich bringt", sagt Professorin Lerner.

Welchen Einfluss die Sicherheit des Jobs auf das Stressniveau haben kann, wurde in der Studie nicht berücksichtigt. In zukünftigen Forschungsarbeiten wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob und wie sich neben der Selbstbestimmtheit und Kontrolle andere Faktoren auf das Stressniveau auswirken. Als Beispiel nennen sie sozialen Rückhalt.

Die Forschungsergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences unter dem Titel Leadership is associated with lower levels of stress erschienen.