Probleme bei Integration

Cloud-Marktplätze im Vergleich

11.05.2015 von Karsten Leclerque
In Kürze soll die Deutsche Börse Cloud Exchange starten. Das Konzept lässt sich nur bedingt mit bekannten Cloud-Provider-Marktplätzen vergleichen. PAC-Analyst Karsten Leclerque erklärt die Unterschiede.
  • Die Deutsche Börse weitete das Marktplatzprinzip auf Infrastruktur-Cloud-Leistungen aus
  • Cloud-Marktplätze sind mit App-Stores vergleichbar, die Angebote reichen von Infrastruktur-naher Software bis zu Business Anwendungen
  • Den meisten Cloud-Marktplätzen fehlt die Integration der Leistungen
Karsten Leclerque ist Analyst bei PAC (Pierre Audoin Consultants).
Foto: PAC

Angesichts des angekündigten Starts der Deutschen Börse Cloud Exchange mehren sich die Fragen, wie sich das Konzept von den bekannten Cloud-Provider-Marktplätzen abhebt. Die Angebote sind tatsächlich nur eingeschränkt vergleichbar, denn verschiedene "Cloud Marktplatz"-Anbieter, darunter die Deutsche Telekom, Canopy, Amazon Web Services, Salesforce.com oder Microsoft, verfolgen recht unterschiedliche Ansätze.

Marktplatz für Infrastruktur-Cloud-Leistungen

Die Deutsche Börse Cloud Exchange weitet das Marktplatzprinzip, wie wir es beispielsweise aus den Finanz- oder Energiemärkten kennen, auf Infrastruktur-Cloud-Leistungen aus. Angebot und Nachfrage sollen über eine Plattform zusammengebracht werden. Die Cloud-Leistungen werden durch Deutsche Börse Cloud Exchange kategorisiert, verwaltet und überwacht. Provider vergleichbarer Leistungen treten also über die Plattform in direkten Wettbewerb, der Kunde profitiert von Transparenz und günstigen Preisen. Cloud-Anbieter können hierüber ihre Reichweite erhöhen und einen weiteren Vertriebskanal erschließen.

CIOs und Consultants über Cloud-Marktplätze
Cloud-Marktplätze
Die Deutsche Börse hat im Mai 2015 einen herstellerneutralen Cloud-Marktplatz eröffnet. Der Business Marketplace der Deutschen Telekom ist bereits am Start. Wir haben CIOs und Consultants gefragt, wie sie die Chancen von Cloud-Marktplätzen in Deutschland einschätzen.
Andreas Miehle, CIO bei der Constantia Flexibles Group
Andreas Miehle, CIO bei der Constantia Flexibles Group aus Wien, sagt: "Ich nutze Cloud-Marktplätze und halte das für eine gute Idee, Firmen, Menschen und Ideen zusammen zu bringen. Das ganze Thema steckt noch in den Kinderschuhen und leidet - wie es bei neuen Technologien häufig der Fall ist - an der Verschlossenheit und mangelnder Vision potenzieller Marktteilnehmer." Trotzdem zeigt er sich optimistisch: "Diese Cloud-Marktplätze werden sich bestimmt durchsetzen. In anderer Definition gibt es ja bereits etablierte Lösungen in geschlosseneren Formen. Daher sehe ich hier keine grundsätzliche Neuerung, sondern viel mehr eine Prozessverbesserung dank neuer Technologien."
Constantia Flexibles Group
Über Bedenken in puncto hohem Integrationsaufwand, Datensicherheit oder zu geringem Bedarf sagt Miehle: "Diese Art von Gründen wird immer dann angeführt, wenn man neue Technologien verhindern will und diese Zeiten sollten eigentlich vorbei sein. Fakt ist jedoch, dass man in seiner Applikationslandschaft immer Altsysteme mit sich herumschleppt, die für neue Technologien ungeeignet sind. Wann die Wechselkosten mögliche Vorteile rechtfertigen, muss man natürlich vorab prüfen."
Rolls-Royce Power Systems
Dietmar von Zwehl ist CIO bei Rolls-Royce Power Systems. Er sagt: "Wir nutzen aktuell private Clouds und halten Ausschau (konservativ) nach public Clouds. Security ist ein zentraler Faktor."
Karsten Leclerque, PAC
Für Karsten Leclerque, Principal Consultant Outsourcing & Cloud bei PAC (Pierre Audoin Consultants), sind die verschiedenen Marktplätze kaum vergleichbar, weil sie sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Was sie eint, ist das Kundenversprechen der einfachen Nutzung von Lösungen ohne Vorabinvestition.
Aufwand für den Anwender
Nach Beobachtung von Leclerque verlangen Cloud-Marktplätze dem Anwender zumindest derzeit noch einiges ab. Das gilt etwa für die Integration. „Oft werden Insel-Lösungen nebeneinander angeboten, ohne dass Kompatibilität der Angebote untereinander gewährleistet ist“, sagt er. „Ebenso unterscheiden sich die Vertragsmodalitäten, etwa bezogen auf die Abrechnung der SaaS- und IaaS-Bestandteile, oder bezüglich der End-to-End-Verantwortung gegenüber dem Kunden.“
Daniel Just, Sopra Steria
Daniel Just, Outsourcing-Experte bei Sopra Steria Consulting, sagt: "Die Digitalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens benötigt immer flexiblere Infrastrukturleistungen. Getrieben durch disruptive Technologien sowie den Einzug des Internets in immer mehr Produkte, ist eine permanente digitale Innovation erforderlich. Um in diesem dynamischen Umfeld die Übersicht zu behalten und eine möglichst optimale Entscheidung für einen Partner zu treffen, werden Cloud-Marktplätze zunehmend wichtiger werden. Da standardisierte Infrastrukturleistungen bald als reine Commodity wahrgenommen werden, sollte eine solche Plattform für den Kunden einen Mehrwert zum Beispiel in Form von Applikations- bzw. Softwareleistungen bieten."
Voraussetzung für den Erfolg
Weiter sagt Daniel Just von Sopra Steria: "Dazu wird es von großer Bedeutung sein, dass ein nachhaltiger Marktplatzanbieter ein möglichst umfassendes und bedarfsorientiertes Angebot in der geforderten Menge, Zeit und größtmöglichen Nutzen vermitteln kann."
Integrationsprojekte ad absurdum geführt
Sopra Steria-Experte Daniel Just führt aus: "Der Vorteil der schnellen und barrierefreien Implementierung von IaaS, PaaS und auch SaaS Lösungen führt zu einer Vielzahl von Applikationen und Services die sich jeweils in einem Silo befinden und nicht oder nicht nahtlos miteinander kommunizieren können. Bei der Einführung von Cloud-Lösungen muss man sich also bewusst machen, dass eine Verlagerung von Applikationen in die Cloud einer Integration von Unternehmensapplikationen entgegenwirkt, d.h.: Die Integrationsprojekte, die in den letzten 15 Jahren durchgeführt wurden, um Informationssilos aufzubrechen, werden durch die Cloud-Lösung ad absurdum geführt."
Integration jedes Mal neu herstellen
Weiter erklärt Daniel Just von Sopra Steria: "Anwendungsfälle wie zum Beispiel der kurzfristige Zukauf von Rechnerleistung, etwa für eine zeitlich befristete Kampagne, lassen sich durch Cloud-Marktplätze sicher gut abdecken. Allerdings ist dafür die Integration zu den führenden, also datenenthaltenen Systemen jedes Mal neu herzustellen. Ein relativ hoher Aufwand, der angemessen zum Nutzen sein muss."
Matthias Kraus, IDC
Laut Matthias Kraus, Research Analyst bei IDC, sind Cloud-Marktplätze insbesondere für Mittelständler interessant: "Mit der zunehmenden Nutzung unterschiedlicher Cloud-Services adressieren Cloud-Marktplätze den Bedarf der Anwenderunternehmen: Transparenz, einen Vertragspartner und eine zentrale Management-Plattform für unterschiedliche Cloud-Services. Cloud-Marktplätze sind insbesondere für mittelständische Kunden interessant, denn ihnen fehlt es oftmals an Ressourcen, Tools und Erfahrung. Insgesamt befinden sich die Marketplaces aber noch in einer frühen Phase."
Anwender eingelocked
Weiter sagt Matthias Kraus von IDC: "Bei herstellergebunden Markplätzen befürchten die Anwender einen Vendor Lock-In. Der technische Integrationsaufwand stellt die größte Herausforderung dar. Die Cloud-Marketplaces müssen hier erst noch den Beweis antreten, wie sich die herstellerunabhängige Verknüpfung mit der On Premise-Umgebung der Anwenderunternehmen, aber vor allem der schnelle Wechsel zwischen verschiedenen Cloud Services in der Praxis effizient realisieren und managen lässt."
Matthias Wendl, Capgemini
Matthias Wendl ist Senior Consultant, CIO Advisory Services bei Capgemini Consulting. Seine Einschätzung: "Für sogenannte Commodity-Dienstleistungen wie Infrastruktur-Services (IaaS), dazu zählen Storage oder CPU/Rechenpower, sehe ich da durchaus einen Markt. Die großen Vorteile hierbei sind eine kurzfristige Skalierbarkeit und die on-demand Abrechnung (pay-per-use). Anwendungsfälle sind zum Beispiel zusätzliche Test-Server, oder zusätzliche Rechenleistung für einen Webshop zu Spitzenzeiten. Ein weiterer Anwendungsfall sind abgrenzbare Software as a Service Angebote (SaaS) wie z.B. Kommunikationslösungen oder Projektmanagement Software, die nicht aufwändig integriert werden müssen."
Die Standort-Frage
Über die Knackpunkte sagt Wendl: „Für alle Fälle, in denen der Service mit der vorhandenen Anwendungslandschaft interagiert, ist immer ein gewisser Planungs-, Auswahl- und Integrationsaufwand zu berücksichtigen. In Punkto Datensicherheit sind andere Punkte wichtig, wie bestehende Zertifizierungen, der Standort und die Größe des Cloudanbieters sowie seiner Rechenzentren und vor allem die Art der Datenübermittlung.“
Holger Röder, A.T. Kearney
Holger Röder, Partner bei A.T. Kearney, sagt über Cloud-Marktplätze: "Der Cloud-Providermarkt ist sehr intransparent und proprietär, also stellenweise wenig effizient. Auf der anderen Seite wird „Infrastructure as a Service“ (IaaS) erst langsam in Zentraleuropa etabliert, gewinnt aber zunehmend an Größe."
Frage der Definition
Holger Röder von A.T. Kearney nennt jedoch Schwierigkeiten: "Die Integration und Sicherheit von Clouds lassen sich durch geeignete Konzepte in den Griff bekommen. Es stellt sich jedoch die Frage – da es bei der Börse um strukturierte Produkte geht – welcher Anteil des Cloud-Marktes strukturierbar ist (Definition eindeutiger Produkte beziehungsweise Services) und damit handelbar. Gefühlt ist das nur die Spitze des Eisberges, da vieles was unter Cloud (insbesondere der sogenannten „private Cloud“) läuft, sehr unternehmensspezifisch und „Neuverpacktes“ ist. Interessant ist, dass sich Service-Marktplätze rund um typische Cloud-Rechenzentren (zum Beispiel eShelter und Interxion in Frankfurt) sehr gut entwickeln und damit den CIOs viel mehr Flexibilität für die Gestaltung ihres Operating Models geben – insbesondere Zugang zu knappen Know-how-Ressourcen rund um Digitalisierung."
Sebastian Paas, KPMG
Sebastian Paas, Partner CIO Advisory Service bei KPMG, erklärt: „Der Handel mit IaaS-Leistungen wird sicherlich zunehmen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass gerade kleine und mitteständische sowie Unternehmen, die ein hohes Unternehmenswachstum erwarten, interessant ist. Oft sogar Bestandteil deren Wachstumsstrategie. Auf der anderen Seite sind die Anbieter von IaaS-Leistungen häufig hochmoderne Rechenzentren, die es auszulasten gilt."
Peter Wirnsperger, Deloitte
Peter Wirnsperger, Partner Cyber Risk Services bei Deloitte, sagt: "Cloud-Marktplätze werden auf jeden Fall eine wichtige Option darstellen, wo effizient und kostengünstig Ressourcen gesucht und kurzfristig eingesetzt werden sollen. Der Bedarf an schnell verfügbaren und einfach nutzbaren Infrastrukturservices ist groß und wird noch weiter ansteigen, was auch das Wachstum der bestehenden Cloud-Player zeigt."
Detaillierte Bewertung
Peter Wirnsperger von Deloitte schränkt jedoch ein: "Sicherlich sind die Lösungen nicht für alle Bereiche anwendbar. Aber überall, wo Geschwindigkeit, Speichermenge und Verfügbarkeit in der Breite eine Rolle spielen, sind sie eine gute Alternative. Bei kritischen Informationen und komplexen Anwendungen muss man im Detail bewerten, ob und wie die Services nutzbar sein können. Aus Kostengesichtspunkten lohnt es sich auf jeden Fall die Ansätze im Detail zu bewerten."

Cloud-Marktplätze gleichen App Stores

Das ist zwar auch ein wichtiges Ziel anderer Cloud-Marktplätze, allerdings steht bei diesen nicht der Wettbewerbsgedanke im Vordergrund. Da die bestehenden Cloud-Marktplätze in der Regel durch einen IaaS- oder SaaS-Anbieter betrieben werden soll vielmehr die Attraktivität des eigenen Cloud-Angebots durch das Einbinden von Drittlösungen gesteigert werden. Cloud-Marktplätze sind also eher mit den App Stores vergleichbar, die vor allem im Consumer-Geschäft längst Normalität sind. Im Einzelnen reichen die Angebote dabei von Infrastruktur-naher Software, Security und Tools bis hin zu Business Applikationen.

Provider-eigene Marktplätze

Reinen IaaS-Providern hilft ein starkes Partner-Ökosystem, sich innerhalb eines Commodity-Marktes vom Wettbewerb zu differenzieren. SaaS-Anbieter erweitern über die Partner-Angebote vor allem die Funktionalität der eigenen Lösung.

Im Falle von Salesforce.com z.B. liegt der Fokus auf Partnerlösungen, die eng mit den eigenen SaaS-Lösungen verzahnt sind. Nicht selten handelt es sich um Add-on-Anwendungen, die den bestehenden Datenbestand nutzen, wodurch sich zwar ein höheres Maß an Integration, aber auch ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis ergibt.

Softwarehersteller als wichtige IaaS-Kundengruppe

Partner, insbesondere ISVs, nutzen die Marktplätze der Provider aber nicht nur als Vertriebskanal, sondern oft auch als Entwicklungs- und Betriebsplattform (Stichwort Platform as a Service, PaaS).

Praktisch alle ISVs haben erkannt, dass sie ihre Lösungen auch im SaaS-Modell zur Verfügung stellen müssen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Errichtung und der Betrieb eigener Infrastrukturen gehört in der Regel nicht zum Kerngeschäft, insofern liegt es nahe, direkt bestehende IaaS-/PaaS-Angebote zu nutzen.

Gerade IaaS-Provider sehen Softwarehersteller demzufolge als eigene wichtige Kundengruppe an. Start-ups wählen sowieso häufig direkt diese Variante, um ihr Business schnell und ohne große Vorabinvestition zu starten. Diese profitieren gleichzeitig vom "guten Namen" der Cloud-Betreiber.

Diesen enorm wachsenden Workload auf die eigene Plattform zu bringen, ist natürlich äußerst interessant für Cloud-Betreiber.

Kunden enger binden

Und ISVs nicht nur die eigenen Infrastrukturen zu vermieten, sondern deren Lösungen zusätzlich über einen Marktplatz den Endkunden zu präsentieren, oder, je nach Marktplatzmodell, auch zu verkaufen, ist zusätzlich attraktiv. Das Angebot dient nicht zuletzt dazu, Bestandskunden, die auf der Suche nach einer Cloud-Lösung für bestimmte Anwendungsbereiche sind, eine Lösung "im eigenen Haus" anbieten zu können und sie so an enger sich zu binden.

Beispiele für diese Strategie liefern Firmen wie die Deutsche Telekom oder Amazon Web Services, die neben Firmenkunden auch den Massenmarkt mit einer Vielzahl von Angeboten ansprechen. Aber auch Anbieter wie Canopy oder T-Systems gehen diesen Weg im Großkundengeschäft, wenngleich mit einer selektiveren Auswahl an Lösungen.

Transparenz und Wettbewerb

Der Endkunde profitiert grundsätzlich von der Vorleistung von Cloud-Betreiber und ISVs, die technologische Fragestellungen, Lizenzthematik, usw. bereits im Vorfeld geklärt haben, und sich die gehostete Lösung quasi zertifiziert als "ready-to-use und sicher" direkt nutzen lässt.

Im Falle der Deutschen Börse sollen Kunden zusätzlich von Transparenz und Wettbewerb vergleichbarer Infrastrukturangebote profitieren.

Das stärkste Ökosystem setzt sich durch

Allen Marktplätzen gemein ist, dass sie dem Kunden ohne Vorabinvestition die Nutzung von Lösungen auf einfache Weise ermöglichen sollen. Was den meisten Cloud-Marktplätzen hierzu allerdings oftmals fehlt ist die Integration der angebotenen Leistungen. Oft werden Insel-Lösungen nebeneinander angeboten, ohne dass eine Kompatibilität der Angebote untereinander gewährleistet ist. Ebenso unterscheiden sich die Vertragsmodalitäten, etwa bezogen auf die Abrechnung der SaaS- und IaaS-Bestandteile, oder bezüglich der End-to-End-Verantwortung gegenüber dem Kunden.

Derzeit beziehen sich die Erfolgsmeldungen der Marktplatzbetreiber vor allem auf die Anzahl Partner und erhältlicher Lösungen, und weniger auf die Anzahl oder Nutzung durch Endkunden. Es ist aber davon auszugehen, dass sich sowohl die Kombination aus Entwicklung, Betrieb und Vertrieb über etablierte Cloud-Ökosysteme weiter etablieren wird, als auch der transparente und herstellerneutrale Handel mit Commodity-IaaS-Leistungen.