Funktechnologie in Sport und Industrie

Das Eckige gehört ins Runde

06.06.2006
Ein Chip im Fußball soll Schiedsrichtern in Zukunft ihre Entscheidungen erleichtern. Auch außerhalb des Sports lassen sich für das von der Karlsbader Cairos Technologies AG entwickelte System interessante Anwendungen finden.

Der Ball knallt gegen die Latte, prallt zu Boden und springt wieder ins Spielfeld. War er nun drin oder nicht? Diese oft alles entscheidende Frage vermag das menschliche Auge nicht immer zweifelsfrei zu beantworten. Der Luxus einer Wiederholung in Zeitlupe ist dem Unparteiischen während des Spiels nicht gegönnt. Er entscheidet nach besten Wissen und Gewissen – und kann sich dabei leicht täuschen.

Ein Chip im Ball, einige Antennen rund um das Spielfeld, ein Computer sowie ein Empfänger am Handgelenk des Schiedsrichters sollen künftig Fehlentscheidungen verhindern. Für das System mit dem wuchtigen Projektnamen „3D-Echtzeitlokalisierungssystem im Bereich Sport (Chip-im-Ball) und Industrie“ heimste Cairos Technologies 2005 den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie Start-ups ein.

Bei Treffern piepst die Armbanduhr

Das Prinzip: Im Chip verbirgt sich ein Minisender, nicht größer als eine Zehn-Cent-Münze und keine zwölf Gramm schwer. Er funkt bis zu 2000 Mal pro Sekunde Signale an die Antennen am Spielfeldrand. Diese leiten die Daten an einen zentralen Rechner weiter. Auf den Zentimeter genau berechnet der Computer in einem Bruchteil von Sekunden die Position des Balls. Der Clou dabei: Die Positionsbestimmung ist selbst dann genau, wenn das runde Leder mit 140 Kilometern pro Stunde fliegt – ein Tempo, das selbst Spitzenfußballer selten erreichen. Landet der Ball hinter der Torlinie, hört der Schiedsrichter dies unmittelbar an seiner piepsenden Armbanduhr.

Für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft reichte es dennoch nicht. „Die Ergebnisse waren nicht schlecht, aber auch nicht voll überzeugend“, gab Sepp Blatter, Chef des Weltfußballverbands, im vergangenen Jahr zu Protokoll. In einem ersten Härtetest während der Weltmeisterschaft der Jugendlichen unter 17 Jahren kam die neue Technik zum Einsatz. Zwar zeigte das System alle Tore korrekt an, doch mitunter piepste es auch,wenn der Ball am Tor vorbeiflog. Auch wenn die Fehler identifiziert wurden – zu viele Spieler um den Ball verhinderten ein sauberes Funksignal –, wurde der Einsatz in Deutschland vorsichtshalber abgeblasen.

Für Cairos dürfte die Entscheidung leicht zu verkraften sein.Die Aufmerksamkeit, die das System in den vergangenen Monaten genießen durfte, hat sich längst auch auf Bereiche außerhalb des Spielfeldes verlagert. Cairos arbeitet mit Hochdruck an Lösungen für die Industrie. Funktechniken werden in den nächsten Jahren immer wichtiger für Logistik oder Sicherheit. Der Vorteil der Cairos-Chips liegt in der Fähigkeit, bewegliche Objekte nicht nur orten, sondern auch steuern zu können.

Erste Firmen proben bereits den Einsatz. Eine Hafengesellschaft nutzt beispielsweise die Technik, um Frachter vollautomatisch zu entladen. Statt eines Kranführers, der bislang die Schaufel steuerte,meldet nun ein Cairos- Sender die Positionsdaten an das Entladesystem.


Probeläufe in der Industrie

In einem anderen Fall nutzt ein Logistikdienstleister das System, um den Zustand der Waren zu dokumentieren. Lageristen scannen die Warencodes ein, und ein im Scanner eingebauter Cairos-Chip sendet seine Signale an Kameras. So lassen sich die Produkte per Videoaufzeichnung zusätzlich erfassen. Auch ein Autohersteller wurde aufmerksam: Er testet die automatische Steuerung, indem er neue Fahrzeugmodelle fahrerlos durch das Testgelände lenken lässt.

Weitere Einsatzmöglichkeiten können Hochsicherheitsbereiche wie Laboratorien, Gefängnisse, Regierungsgebäude oder Flughäfen sein. Betritt jemand ohne Sender eine Zone, für die er keine Berechtigung hat, löst dies einen Alarm aus. Gleichzeitig lässt sich feststellen, wo sich die Person befindet.

Auch im Sport sind die Möglichkeiten rund um die Technik noch längst nicht ausgeschöpft. Erweitert um Druck- beziehungsweise Beschleunigungssensoren ließe sich der Chip in die Schienbeinschoner der Fußballer einsetzen. Er könnte die Daten über Laufwege, Schussund Sprungkraft oder die Schnelligkeit der Spieler liefern. Dieses Material könnte Cairos über die Tochter IMP, Betreiberin der offiziellen Bundesligadatenbank, an Fernsehsender verkaufen.
Riem.Sarsam@cio.de