CIO-Umfrage zur Lizenzpolitik von Microsoft

"Das Fass ist übergelaufen"

08.07.2002 von Christoph Lixenfeld
Ende Juli läuft die Frist ab, innerhalb deren sich Unternehmen für oder gegen die neuen Lizenzangebote von Microsoft entscheiden sollen. Die Kernpunkte: mieten statt kaufen, automatischer Wechsel auf die aktuellen Versionen, Kosten abhängig von der Kundentreue. Und: Wer ablehnt, soll mehr zahlen. Doch die Mehrheit der CIOs sagt Nein.

Geärgert haben sich alle schon immer über Microsoft, doch mit seiner neuen Lizenzpolitik scheint der Software-Weltmarktführer den Bogen nun zu überspannen: Volume Licensing 6.0, ein Lizenzierungsmodell, dass einen Paradigmenwechsel bei der Abrechnung von Software bedeutet, droht zum Flop zu werden - und zur Steilvorlage für die Konkurrenz.

"Die Kunden haben uns mitgeteilt, dass sie nicht nur Flexibilität und Auswahlmöglichkeiten, sondern auch einen geringen Verwaltungsaufwand und einfache Prozesse wünschen", begründet Wolfgang Ebermann, Vertriebsleiter Mittelstand und Mitglied der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland, das Angebot.

Aus den Anwenderunternehmen kommen indes überwiegend kritische bis harsche Töne. "Tatsächlich geht es doch nicht um die Kunden, sondern darum, dass Microsoft den Umsatz besser planen kann", glaubt Thomas Portune von BIC Graphic in Liederbach. Ein anderer CIO, der nicht namentlich zitiert werden möchte, erklärt gar, es handele sich bei dieser Politik um "schlichte Erpressung".

Software Assurance heißt das Kernelement des Abrechungsmodells für Anwendungs-, Server- und Betriebs-Software. Dabei werden Bits und Bytes nicht mehr verkauft, sondern vermietet. Wer am Programm teilnimmt, erhält ein Rundum-Sorglos-Paket: Gegen fixe monatliche Zahlungen werden automatisch die aktuellen Software-Versionen auf die Rechner gespielt. "Es ist wie beim Kabelfernsehen", erklärt Meta-Group-Analyst Ashim Pal: "Ich weiß, was ich jeden Monat ausgeben werde."

Kunden zu fesseln passt ins Bild

So weit, so gut. Allerdings verbindet Microsoft mit dem Angebot auch eine handfeste Drohung - zumindest empfinden CIOs die angebotene Alternative als solche: Wer jetzt nicht teilnimmt, muss in Zukunft für Software-Updates erheblich tiefer in die Tasche greifen als bisher. "Erpressung!", rufen IT-Entscheider. Achim Grögeder, IT-Director bei EWT Elektronik und Nachrichtentechnik, ein Kabelnetzbetreiber mit 400 Desktop-Anwendern, urteilt: "Es passt ins Bild der Lizenzpolitik aus Redmond, dass man versucht, die Kunden stärker zu binden, ich würde fast schon sagen, zu fesseln. Microsoft will, dass die Kunden genau nach den Regel des Unternehmens spielen."

Bis zum 31. Juli haben Microsoft-Kunden Zeit, sich für - oder gegen - das neue Lizenzprogramm zu entscheiden. Bei der deutschen Niederlassung des Unternehmens ist man nach eigenem Bekunden bislang mit der Resonanz zufrieden: Rund die Hälfte der Großkunden, verlautet es aus Unterschleißheim bei München, hätte sich bereits für das neue Lizenzmodell in der einen oder der anderen Variante entschieden (siehe Grafik "Microsoft-Lizenzen - die Alternativen").

Eine Umfrage von CIO, an der 236 IT-Entscheider teilnahmen, ergibt ein für Microsoft eher unerfreuliches Bild: Die Kunden wollen dem Riesen aus Redmond die kalte Schulter zeigen; viele tun angesichts der vielen Wahlmöglichkeiten gar nichts. 59 Prozent der Befragten nutzen weiter ihre alte Software, auch wenn dadurch Updates teurer werden sollten. "Bei den neuen Office-Versionen sehen wir für uns keinen Mehrwert", so Portune. "Wir entscheiden, wann wir updaten."

Dass Microsoft die Preise für Volllizenzen jenseits des neuen Mietmodells merklich anheben will, stößt vielen bitter auf. Aber das ist längst nicht alles: 86 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass auch bei Teilnahme an Licensing 6.0 ihre Software-Kosten steigen werden. Berechnungen der Gartner Group stützten diese Vermutung. Danach erhöhen sich durch die Neuregelung die Kosten für die Nutzung von Office-Programmen (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Datenbank, Präsentationsprogramm, E-Mail) binnen vier Jahren um 68 bis 107 Prozent, je nach Vertragsvariante und Unternehmensgröße.

Höhere Preise verschweigen ist normale PR

Selbst im Umfeld von Microsoft wird die Glaubwürdigkeit des Spar-Arguments eher zurückhaltend eingeschätzt; auch die Vertriebspartner gehen von höheren Tarifen aus. Anders als von Microsoft gedacht, aber nachvollziehbar, versuchen sie genau mit diesem Argument, den Software-Verkauf zu beschleunigen: "Ab 1. Juli 2002 werden die Preise wieder angehoben. Sie müssen ab diesem Zeitpunkt eine Preiserhöhung von zirka fünf Prozent in Kauf nehmen", schrieb etwa der bayerische Microsoft-Vertriebspartner Cancom an seine Kunden. "Wir sind nicht diejenigen, die die Preise erhöht haben, sondern vollziehen nur deren Preisschritte nach", verteidigt Cancom-Sprecher Armin Blohmann die Maßnahme. Dass Microsoft diesen Aspekt der Lizenzumstellungen nach außen verschweigt, wundert ihn nicht. "Das ist normale PR. Niemand wird jubelnd verkünden, dass er die Preise erhöht."

Microsoft verspricht Betriebskostensenkung

Offenbar trifft diese Einschätzung auch auf Microsoft zu. Das Unternehmen verspricht seiner Kundschaft sogar finanzielle Vorteile. "In Verbindung mit einer Open Subscription License führt auch der deutlich geringere Aufwand für die Lizenzbestellungen und -verwaltung zur Senkung der Betriebskosten", heißt es in einer Veröffentlichung des Unternehmens.

Doch daran glauben die wenigsten IT-Entscheider. Von einem geringeren Aufwand in Sachen Lizenzen ist in den meisten Häusern zumindest derzeit nichts zu spüren. Beispiel Ford-Konzern: Dort müssen sich die IT-Chefs weltweit durch umfangreiche Bestandsaufnahmen quälen, bevor sie das Microsoft-Angebot überhaupt prüfen dürfen. Und Robert Stößer, CIO des Automobilzulieferers W.E.T. Automotive Systems, betont: "Die bestehenden Lizenzen auf die neuen Lizenzierungsmodelle zu transferieren ist sehr komplex. Um die richtige Entscheidung treffen zu können, müssen wir extra einen Mitarbeiter beschäftigen." Dieter Pfaff, Geschäftsführer der Informatik-Tochter des Bergbau- und Technologiekonzerns RAG, kritisiert, dass die ganze Lizenzgeschichte "Management-Attention auf einen nachrangigen Bereich" lenke. Er könne das Thema und seine Implikationen nach jeder Diskussion "genau noch eine halbe Stunde lang" nachvollziehen.

Eine gewisse Akzeptanz erfährt lediglich Upgrade Advantage, ein Tarifmodell, das den Wechsel zu Office XP innerhalb der nächsten zwei Jahre erlaubt. 22 Prozent der Befragten geben an, an diesem Programm teilnehmen zu wollen. Solche Verträge, in Verbindung mit separaten Unternehmensvereinbarungen (Enterprise Agreements), ermöglichen es Microsoft, das neue Lizenzmodell nach außen hin als Erfolg zu präsentieren (siehe das Interview mit Wolfgang Ebermann).

Allerdings scheinen viele CIOs nur deshalb die neuen Lizenzverträge unterschrieben zu haben, weil sie keine Alternative sehen. "Wir haben einen Wechsel zu Linux geprüft", sagt RAG-Manager Pfaff. "Aber die Migration ist eben doch etwas teurer als die erhöhten Lizenzgebühren. Ich habe das Gefühl, die Verantwortlichen bei Microsoft haben das vorher sehr genau durchgerechnet."

Jon Mein, Research Director bei Gartner, ist davon überzeugt, dass dies zutrifft. "Microsoft ist nicht blöd", konstatiert er bündig. Aus seiner Sicht musste der Software-Riese den jetzt vollzogenen Schritt zwingend gehen, um langfristig die Umsätze zu sichern. Die Nutzungsdauer der Programme werde nämlich unter den alten Vertragsbedingungen länger und sei zudem immer unberechenbarer. Genau davon wollten die Windows-Erfinder nicht mehr abhängig sein. "Das schwankende Geschäft mit dem Lizenzverkauf soll durch einen zwar nicht unbedingt höheren, aber konstanten Umsatzstrom stabilisiert werden", interpretiert Mein die Microsoft-Strategie.

Software-Versionswechsel nicht mitmachen

Die IT-Entscheider dagegen waren bisher ganz glücklich darüber, dass Software-Pakete nicht wie ein Kabel-TV-Anschluss abgerechnet wurden, sondern wie Büromöbel. Viele Firmen haben einen oder mehrere Versionswechsel einfach nicht mitgemacht, arbeiten heute noch mit vor Jahren erworbenen und inzwischen abgeschriebenen Software-Paketen wie Windows 98 oder Word 6.0 und ersetzen ihre Programme nur alle vier bis fünf Jahre. "Viele Unternehmen leben doch von der Differenz zwischen der Abschreibungs- und der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Produkts", so Fiege-Manager Andreas Resch. Das Resultat, wie es sich in der CIO-Umfrage niederschlägt: Nur etwas mehr als elf Prozent der befragten IT-Executives wollen am Software-Assurance-Programm teilnehmen.

Dass Microsoft mit seinem Vorgehen viele Kunden überfordert, ist dem Konzern mittlerweile selbst klar. Um möglichst viele Unternehmen von der neuen Lizenzpolitik zu überzeugen, hat man bereits weit reichende Zugeständnisse gemacht. Wer sich für bestimmte Verträge qualifizieren will, braucht statt 500 PC-Plätzen nur 250. Die im Mai 2001 verkündete 5-monatige Entscheidungsfrist für die Umstellung auf das neue System wurde bereits zweimal auf insgesamt 15 Monate verlängert. "Unsere Annahme, dass die Unternehmen bis Oktober 2001 fit sind, war einfach falsch", räumt Microsoft-Lizenzexperte Ebermann ein. "Den Fehler haben wir korrigiert. Unglücklich war, dass wir das nicht gleich bedacht haben."

Möglicherweise hat der mächtige Marktführer auch einige andere Entscheidungskriterien der Kunden nicht richtig bedacht, etwa, dass noch nicht alle Konkurrenten in Sachen Bürolösungen vom Markt verschwunden sind. Zwar sagen die meisten CIOs im Augenblick noch, eine Abkehr von Microsoft sei "nicht entscheidbar"; einer sprach gar davon, dies würde ihn seinen Job kosten. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass die "Gemeinschaft der Abhängigen" - wie Axa-Colonia-Einkaufschef Ulrich Hörster die Microsoft-Kunden nennt - gegen den Dealer aufbegehrt, statt angesichts der schwer kalkulierbaren Migrationskosten weiter nur die Faust in der Tasche zu ballen. "Es ist unser Ziel, in einem gewissen Zeitrahmen Microsoft von den Arbeitsplätzen wegzubringen", sagt EWT-CIO Grögeder. Modulare WebServices, die auf dem Datenformat XML basieren, haben seiner Ansicht nach das Potenzial, die Software-Leistungen der Redmonder auf Dauer zu ersetzen. Allerdings hat Microsoft das ebenfalls bereits erkannt: Mit ".net" führt der Konzern inzwischen selbst die größte dieser Web-Services-Initiativen an.

Das ruppige Vorgehen an der Lizenzfront bewirkt auch, dass sich immer mehr CIOs für Open-Source-Lösungen interessieren - und für einen fast schon totgesagten Office-Konkurrenten. Gartner-Analyst Mein geht davon aus, dass Star Office von Sun Microsystems bis Ende 2004 etwa zehn Prozent Marktanteil erobert haben wird, wenn Microsoft seine Geschäftspolitik nicht deutlich ändert.

Logistikdienstleister Fiege wagt an gut einem Dutzend von 160 Standorten in Europa bereits einen Probelauf mit Star Office. Man wolle das zwei Monate prüfen, so CIO Resch, und auch bei Schwierigkeiten nicht gleich aufgeben.

"Wir möchten einfach wissen: Sind wir eigentlich wirklich so abhängig von Microsoft?", erklärt Resch die Expedition ins Reich der Rebellen. "Und ich sage: Wir sind es nicht! Das Fass ist einfach übergelaufen."