Flexible Systeme schaffen Luft

Dauerthema Kostendruck

20.06.2007 von Reinhold Hölbling
Entgegen ihrem Ruf sind die CIOs in der Handelsbranche sehr wohl bereit, innovative Entwicklungen hinsichtlich ihrer Praktikabilität genau zu prüfen. Der organisatorische Nutzen im Verhältnis zu den Kosten wird dabei mehr denn je in den Fokus der Überlegungen gestellt.
"Dank der autorisierten Bestellung sinkt der Bedarf an Waren, die bevorratet werden müssen. Damit lässt sich wiederum das Sortiment erweitern," sagt Harald Gerking, Direktor SCM, Deutsche Woolworth GmbH.

Aldi hebt die Preise an. Dass der Discounter Mitte Mai dieses Jahres auf die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise reagierte, hat Signalwirkung. Aus Furcht vor zurückgehenden Käufen hatte der Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) die teils enormen Kostensteigerungen lange Zeit nicht an die Kunden weitergereicht. Bis zur Schmerzgrenze.

Die nun vor allem auf Seiten der Lieferanten begrüßte Preisanhebung des Mülheimer Discountriesen bei einer Reihe von Produkten verbessert allerdings kaum die Margen der Unternehmen, sondern bewahrt eine Reihe von Herstellern und Lieferanten allenfalls vor der Pleite. Für die Unternehmen bedeutet das jedoch: Der Kostendruck bleibt.

Eine Möglichkeit, Luft abzulassen, sehen immer mehr Unternehmen in dem effizienten Einsatz von IT. Vontechnologischen und prozessualen Anpassungen versprechen sich die Entscheider flexiblere Systemstrukturen und insbesondere nachhaltige Kostenreduzierungen. Entsprechend hoch sind die Ansprüche der CIOs in allen Handelsunternehmen - nicht nur im LEH. Mit innovativen IT-Systemen wollen sie eine integrierte Sicht auf die im Unternehmen anfallenden Daten erreichen und dabei helfen, diese zur Informationsgewinnung einzusetzen. Gleichzeitig müssen sie nahtlos ineinandergreifende Arbeits- und Geschäftsprozesse, sprich ein straffes Business-Process-Management, erlauben. Unterstützen soll dies auch eine Verbesserung des Einsatzes mobiler Anwendungen.

Handel: weniger Insolvenzen.

Rund 60 Prozent aller Unternehmen aus dem Bereich Handel mit mehr als 100 Mitarbeitern sehen denn auch einen akuten Anpassungsbedarf hinsichtlich der Effizienzverbesserung der eingesetzten IT-Systeme, so ein Ergebnis der 2006er-Soft-Trend-Studie vom Hamburger Beratungshaus Soft Select. Ein Web-Zugriff auf Anwendungen werde ebenfalls von über 60 Prozent der Unternehmen erwartet. Auch die Senkung der Folgekosten wurde von 73 Prozent der Befragten als sehr wichtig oder wichtig eingeschätzt.

Damit einher geht das Untersuchungsergebnis der Studie, dass eine reibungslose Integration von zusätzlichen Anwendungen zu 90 Prozent als sehr wichtig beziehungsweise wichtig eingestuft wird. Im Hinblick auf die Standardisierung, Modellierung und Optimierung von Prozessen sowie den Einsatz von Prozessautomationssystemen war die Nachfrage nach entsprechenden Instrumenten mit jeweils 84 Prozent und 74 Prozent ebenfalls sehr hoch.

Kürzel: Die Schnellen und die Langsamen.

Im Rahmen seiner Retail-IT-Studie 2006 befragte der Krefelder Marktanalyst MBmedien rund 370 Unternehmen (58 Prozent Fast Moving Consumer Goods, FMCG, 42 Prozent Slow Moving Consumer Goods, SMCG) und kam unter anderem zu folgendem Ergebnis: Auf das derzeit größte Investitionsinteresse stoßen Lösungen für die Prozessoptimierung. Ob Standardsysteme für ERP-Belange oder branchenspezifische Software für Einkauf, Vertrieb und Warenwirtschaft - letztlich müssen diese Produkte tiefgreifend "miteinander können". Und selbstverständlich ist ein modernes Kassensystem für solche Strategien einer der wichtigsten Integrationspartner und darf daher nicht singulär betrachtet werden.

Ein großes Ärgernis für den Händler und ein Anlass für den Kunden, die Konkurrenz aufzusuchen, ist zudem der Umstand, dass nahezu jedes zehnte Produkt des Artikelsortiments im Regal einer Händlerfiliale
fehlt. Selbst im Lebensmitteleinzelhandel beträgt die sogenannte Out-of-Stock-Rate immerhin noch sechs
Prozent. Diese Präsenzlücken mindern die ohnehin magere Rendite im Handel noch mehr. Der intelligente
Umgang mit Nachfragespitzen, Verfügbarkeit, Lagerhaltung und Anlieferung gilt derzeit als das probate Mittel, um bei Parfüms, Bohrmaschinen, Marzipankugeln oder Zahnbürsten die richtige Anzahl zur richtigen
Zeit am richtigen Ort vorzuhalten. Eine Reihe von Firmen haben mittlerweile gute Erfahrungen mit automatisierten Bestellverfahren gemacht.

Handel: IT-Investitionsbudget 2006 in Euro.

Die Deutsche Woolworth zum Beispiel hat sich 2003 entschlossen, ein spezielles Verfahren zur verbesserten automatischen Bestellung einzuführen. Dadurch verkleinerte das Unternehmen seine Präsenzlücken deutlich. Zudem führe die genutzte Software-Lösung dazu, dass pro Artikel insgesamt weniger Ware in der Filiale bevorratet werden müsse - so lasse sich auch das Sortiment erweitern.

Harald Gerking, Direktor Supply Chain Management von Deutsche Woolworth, sagt: "Mit der von uns eingesetzten Lösung haben wir den Bestellprozess für unsere dauerhaft verfügbaren Sortimentsteile zu 100 Prozent automatisiert und mittlerweile eine Quote von unter vier Prozent bei den nicht lieferbaren Artikeln erzielt. Das resultiert in einer Umsatzsteigerung im Verhältnis zum Bestand von über acht Prozent." Ausschlaggebende Kriterien, sich für die Lösung des Schweizer Anbieters SAF zu entscheiden, waren laut Gerking die Schnelligkeit der Datenberechnung, die vollständige Automatisierung und eine problemlose Einbettung in die bestehende Systemlandschaft.

Technische Raffinesse reicht nicht

Was die Entscheidungskriterien für die Wahl von IT-Lösungen beziehungsweise -anbietern betrifft, sind die
letzten Plätze schnell ausgemacht: Klingende Namen und technologische Raffinesse allein sind zu wenig.
Stattdessen ist Bodenständiges gefragt: "Stabilität und Produktpflege" rangiert in der MBmedien-Umfrage
an erster Stelle, gefolgt von den Kriterien "Service/Support", "Betriebskosten" und "Anschaffungskosten".
"Effektivität & Bedienbarkeit" weist schon einen gewissen Abstand auf. Damit wird deutlich, dass auch im preisbewussten Handel die reinen Kostenaspekte keineswegs die Auswahl dominieren.

IT-Projekt REWE: RFID.

Generell greifen die CIOs häufiger und tiefer als ehedem in die Tasche. "Der dramatisch gewachsene Wettbewerb - insbesondere zwischen den einzelnen Discountern - führt zu verstärkten Investitionen im IT-Bereich, insbesondere für Infrastruktur und Software im Rahmen von gezieltem PoS-Einsatz (Point of Sales)", sagt Stefan Lüschow, Geschäftsführer des Marktanalysten MBmedien aus Krefeld. Durch die starke Diversifizierung der Sortimente steige die damit verbundene Komplexität in der Abwicklung und Sortimentspflege, und die Anforderungen an Logistik und Personal erhöhten sich gerade bei den klassischen Discountern wie Aldi und Lidl.

IT-Projekt Woolworth: Moderne Infrastruktur.

In diesem Zusammenhang spielen die Kassensysteme - neben der vorhandenen Netzwerkinfrastruktur - in der aktuellen Retail-IT eine wesentliche Rolle. Sie haben heute nicht mehr nur die traditionelle Funktion des Kassierens zu erfüllen, sondern müssen als zentrale Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunden beispielsweise die gesamten Geschäftsvorgänge in der Filiale abbilden und beherrschen und dabei mit den anderen Systemen in der Prozesskette - wie der Warenwirtschaft - kommunizieren können.

IT-Projekt Lekkerland: Logistik.

Idealerweise sollten diese Systeme nicht nur Warenbestand, Abfertigung oder Zahlung beherrschen, sondern auch integrierter Bestandteil vom professionellen "Dienst am Kunden" sein und mit Ergebnissen und Vorgängen sowie Erkenntnissen aus einem übergreifenden Kundenservice kombiniert werden können. Wenn Kunden Produkte reklamieren oder umtauschen, sollten derartige Vorgänge ebenso wie Absatzzahlen und Bestandsinformationen zentral gesammelt und ausgewertet werden.

Funktechnik für mehr Flexibilität

Helfen kann hier auch eine stabile drahtlose Datenkommunikation etwa zwischen mobilen Kassen, Kunden-Handhelds sowie Erfassungsgeräten einerseits und den Server-Systemen im Back-Office andererseits. Die technologische Entwicklung in diesem Bereich ermöglicht der Handelsbranche eine - ehedem für undenkbar gehaltene - Flexibilität, Beweglichkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und Kundenbetreuungsqualität.

Portable und kompakte Kassen beziehungsweise Self Checkouts lassen sich rasch in umsatzträchtigen Verkaufszonen zu Stoßzeiten und bei befristeten Sonderaktionen positionieren, spezielle Stock
Portables können zeit- und kostensparend im Lagerverwaltungsbereich eingesetzt werden, mobile "Persönliche Einkaufsberater" und Kiosk-Systeme verschaffen den Verbrauchern ein ganz neues Shopping-Erlebnis. Die mittlerweile ausgereifte, sichere und weitreichend standardisierte Funk-LAN-Technologie macht solche Visionen immer realistischer.

Die ausgeprägte Mobilität und Unabhängigkeit von Funk-LAN-gestützten Kassenplätzen rechnet sich vor
allem dort, wo hohe Flexibilität sowohl in der Fläche als auch zeitlich gesehen gefragt ist: etwa in Gartenzentren, bei befristeten Verkaufskampagnen und Sonderaktionen, bei Umbaumaßnahmen, der Verlegung und Neuorganisation von Verkaufsflächen oder Abteilungen sowie zu Stoßzeiten während des Tagesgeschäfts.

Hier sorgen mobile Kassen für die Verkürzung der Wartezeit von Kunden (Queue Busting) und ersparen gleichzeitig die aufwändige Investition in herkömmliche Systeme, die gegebenenfalls lediglich für einen begrenzten Zeitraum am aktuellen "Brennpunkt-Ort" benötigt würden.

"Allgemein betrachtet gehören Funk-LAN-Lösungen zum Maßnahmenkatalog für mobile und flexiblere Kassensysteme, direkten und mobilen Wareneingang, raschere und exaktere Lagerverwaltung, kürzere Lagerverweilzyklen und verbesserte Bedarfsplanung", sagt Stefan Lüschow, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens MBmedien.

Dazu ein entsprechendes Ergebnis der MBmedien-Retail-IT-Studie: 56 Prozent der Befragten sehen in ihrem Unternehmen einen deutlich wachsenden Bedarf an Wireless Local Area Networking.

Supply Chain ist kein Fremdwort

Moderne IT kann Handelsunternehmen heute helfen, Prozesse zu optimieren, zu ergänzen oder abzulösen.
Diese Prozessoptimierung und das Redesign können und müssen aber übergreifend geschehen, intern sowie extern. Der Begriff der Supply Chain ist auch im Handel kein Fremdwort mehr, ja sogar die konservativsten Handelsunternehmen haben erkannt, dass ein großes Potenzial in der Logistik - hinsichtlich Waren und Informationen - und im Supply Chain Management (SCM) liegt.

Handel: Geplanter Einsatz verschiedener Technologien.

Die Basis für ein funktionierendes Supply Chain Management ist die übergreifende und lückenlose Erhebung, Vorhaltung und Verarbeitung von digitalen Daten und die Abbildung aller Prozesse. Laut MBmedien-Retail-IT-Studie betreiben 5,5 Prozent der Unternehmen aus dem FMCG-Bereich Supply Chain Management (SCM), und 36,5 Prozent planen derzeit ihre SCM-Strategie. Die Grafik oben gibt einen Überblick über die Antworten auf die Frage, welche Technologien im Sinne von SCM mittelfristig in den Handelsunternehmen zum Einsatz kommen werden.