Kollaps des PC-Marktes

Der Abgesang auf Windows 8 ist verfrüht

02.05.2013 von Werner Kurzlechner
Gartner und IDC machten jüngst Windows 8 für den Zusammenbruch des weltweiten PC-Geschäftes verantwortlich. Analysten von Forrester, Experton und NPD Group vertreten hierzu eine andere Meinung. Meldungen über das Ende einer Ära seien verfrüht.
An Twain-Bonmot erinnert: Forrester-Analyst David Johnson.
Foto: Forrester Research

Manchmal hilft Literatur dabei, die Dinge einzuordnen. „Und es kam der Tag, da das Risiko, in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde, als zu blühen“, schrieb dereinst voller Poesie Anais Nin. Humorig hingegen konterte Mark Twain eine Falschmeldung über sein Ableben: „Der Bericht über meinen Tod war eine starke Übertreibung.“ Wer es jenseits literarischer Höhen zugespitzter mag, kommt mit einem Wort aus: „Müll!“

Mit diesen drei Zitaten kommentierten Analysten andere Analysten, nach dem diese ein Beben ausgelöst hatten. Unmittelbarer nacheinander legten Gartner und IDC kürzlich dramatische Zahlen über den größten Einbruch des weltweiten PC-Absatzes vor und machten Microsoft wegen der Einführung von Windows 8 dafür verantwortlich. Nicht einmal in den Entwicklungsländern sei noch mit einem starken Wachstum beim Absatz von Notebooks und Desktops zu rechnen, hieß es. Die Aktienmärkte reagierten mit Verlusten, medial entzündete sich ein heftiges Gewitter und seither grassiert die Rede vom „Tod des PC-Zeitalters“.

Als „Müll“ bezeichnet diese Interpretation Ted Schadler, Analyst von Forrester Research, im hauseigenen Blog. Wie Autos oder Schuhe werde es – trotz sinkender Absatzzahlen in Folge neuer Endgeräte-Typen – immer PCs geben. „In manchen Märkten wird es nicht mehr so sein, dass der PC so dominiert, wie es in den Industrienationen der Fall war“, so Schadler. „Aber nur wenige Leute werden ihren Computer ganz aufgeben.“

David K. Johnson, ebenfalls Analyst bei Forrester, greift in einem Gastbeitrag für Forbes Mark Twains Bonmot vom übertriebenen Tod auf. „Wenn ich das Kleingedruckte lese, ziehe ich einen anderen Schluss“, kommentiert Johnson die Meldungen von Gartner und IDC. Denn Tablets – auch solche mit abnehmbarer Tastatur – seien in den vorgelegten Zahlen zum PC-Absatz nicht enthalten.

„War das nicht eigentlich die Absicht von Microsoft: PC-Verkäufe in Richtung Tablets zu verlagern?“, fragt Johnson. „Könnte es sein, dass Microsofts Strategie aufzugehen beginnt und wir ein Anziehen bei Windows 8- und Windows RT-Tablets beobachten?“ Der Analyst will sich jedenfalls nicht vorschnell darauf versteifen, dass Windows 8 wirklich so sehr floppt, wie es den Anschein macht.

Axel Oppermann, Analyst der Experton Group: "Die Positionierung als Windows-Company hat keine Zukunft."
Foto: Experton Group AG

Auch wenn nur wenige Firmen sich momentan proaktiv für das neue Kachel-Betriebssystem entscheiden wollten, wünsche sich nach Forrester-Datenmaterial ein Fünftel der Mitarbeiter Windows 8 auf dem nächsten Tablet. „Nicht schlecht“, findet Johnson. Und gar nicht so weit entfernt von den 26 Prozent, die iOS den Vorzug geben.

Kannibalisierung auch bei Apple

Weil die Investitionsstrategie des Riesen aus Redmond vor allem auf Tablets ziele, seien Schlussfolgerungen auf Basis der beiden aufsehenerregenden Meldungen bedeutungslos, so Johnson – zumindest solange, bis sie um Tablet-Verkaufszahlen ergänzt würden. Im Übrigen gebe auch im Apple-Lager eine Kannibalisierung der Mac-Verkäufe durch iPads.

Experton-Analyst Axel Oppermann schließt seine Analyse der IDC- und Gartner-Meldungen mit dem Nin-Zitat. Er hält es für Populismus, Windows 8 als Bremse für den PC-Markt zu bezeichnen. Der Rückgang der Absatzzahlen von PCs habe nur bedingt etwas mit der tatsächlichen oder wahrgenommenen Leistungsfähigkeit von Windows 8 zu tun. Auch Oppermann geht davon aus, dass in Teilen die PC-Nachfrage von jener nach anderen Geräten aufgefressen wird.

„Bezogen auf Deutschland kann prognostiziert werden, dass im Markt für Konsumenten die Nachfrage extrem stark fallen wird“, meint der Experton-Analyst über den PC-Markt. „Bezogen auf Anwenderunternehmen ist davon auszugehen, dass sich das Volumen mittelfristig auf einen niedrigeren Wert einpendeln wird, aber dennoch Relevanz beibehält.“ Dies hänge auch damit zusammen, dass viele Unternehmen in Deutschland nur schwerlich neue Client-Strategien oder Office-Produktivitätsszenarien etablierten.

Oppermann nimmt neben dem PC-Markt auch Microsoft-Strategie unter die Lupe und kommt zu einem äußerst durchwachsenen Ergebnis. Es sei nicht gelungen, sich mit Windows 8 als relevanter Anbieter in der Ära von Smartphones und Tablets zu positionieren. „Die Positionierung als Windows-Company hat keine Zukunft“, so der Analyst. Die Bekanntheit der Marke und die damit verbundenen Attribute seien gegenwärtig mehr Fluch als Segen.

„Eine Trennung von der Marke Windows wird mit Sicherheit unausweichlich werden“, vermutet Oppermann. Für keine gute Idee hält er die Namenswahl „Blue“ für die neue Windows 8-Version, da sie die Nutzer an leidige Bluescreens erinnere. Problematisch aus Kundenperspektive seien die Legacy-Anforderungen und Verflechtungen in den Lizenzmodellen. Es sei derzeit auch schwer auf den Punkt zu bringen, wofür Microsoft stehe.

Machtspiel mit Herstellern

Die Firmenpolitik hat laut Oppermann aber auch wegen der von Microsoft auf den Markt gebrachten Surface-Geräte negativ auf den PC-Markt durchgeschlagen. Und zwar deshalb, weil man es sich mit den Geräte-Herstellern verscherzt habe. Durch den richtigen Schritt, sich stärker im Hardware-Geschäft zu positionieren und auch insgesamt stärker von der Wertschöpfung rings um die eigene Plattform zu profitieren, habe Microsoft die OEM-Partner vergrätzt. „Diese haben sich revanchiert und zum Marktstart von Windows 8 mit attraktiven Geräten gegeizt“, so Oppermann. „Ein reines Machtspiel.“ Innovative Geräte seien Mangelware, die Preise lägen jenseits von Gut und Böse.

Auch auf langfristige Geschäftsbeziehungen mit Anwenderunternehmen schlage der schwache Absatz von Windows 8 durch. „Wird diesen nämlich klar, dass sie durch die Anpassung der Client-Strategie die Liaison mit Microsoft lösen können, werden es sich sicherlich viele Entscheider überlegen.“

In jedem Fall sind sich Experton und Forrester also einig darüber, dass man Microsoft nicht die Schuld für den Rückgang der Computer-Verkäufe zuschanzen kann. Diese Meinung teilen auch andere Analysten – zum Beispiel Stephen Baker vom amerikanischen Beratungshaus NPD Group.

Die sinkenden PC-Absätze hätten nicht an der Einführung von Windows 8 gelegen, sondern an den zu hohen Preisen. „Die Leuten wollen billige Touch-Geräte“, sagte Baker unserer amerikanischen Schwesterpublikation CIO.com. „Und da sind Windows 8-Geräte momentan nicht konkurrenzfähig.“