IT für Olympia 2004

Der ganz moderne Fünfkampf

05.07.2004 von Nicolas Keller
Besucher leiten, Journalisten verdrahten, Zugangsrechte für Sportler regeln, Zeiten und Bilder ins Internet stellen und für Sicherheit sorgen - das sind die olympischen Disziplinen, die die IT-Spezialisten in Athen gerade trainieren.

Testen, immer wieder testen. Obwohl die IT-Spezialisten in Athen bewährte Technik einsetzen, trainieren sie in den letzen Tagen vor den olympischen Spielen besonders hart. "Es gibt keine zweite Chance", sagt Aris Seitanides, Central Operation Manager beim Dienstleister Atos Origin. Ab 13. August muss alles klappen. Im Technology Operation Center (TOC) auf dem eigens errichteten High-Tech-Campus im Norden Athens tüfteln Unix-Freaks vor rund 120 Terminals an Programmen und geben letzte Befehle ein. Im TOC laufen digitale Informationen aus mehr als 60 Veranstaltungsorten zusammen. Hier werden die Daten gesammelt und überwacht.

Was aus dem TOC wieder rausgeht, flimmert über die Fernsehbildschirme auf dem gesamten Globus. Weltweit werden voraussichtlich vier Milliarden Menschen die 28. Olympischen Sommerspiele am Fernseher verfolgen. Aber auch das Internet wird von hier aus versorgt. Online gibt es Informationen über die Spiele, die Stadt, Ticketverkauf und Unterkünfte unter der offiziellen Website www.athens2004.com. Hosting und Maintaining des Webangebotes übernimmt der griechische Internet Provider OTEnet, der mit mindestens 14 Milliarden Besuchern rechnet.

Für die Gäste vor Ort hat Atos Origin das Kiosksystem "Info 2004" aufgebaut, ein abgeschlossenes Informationssystem mit über 50 000 Informationsseiten in drei Sprachen (Englisch, Französch und Griechisch). Ändern sich Rahmendaten, so reagiert man aus dem TOC heraus auf die neue Lage. "Hier ist die letzte Schaltstelle, um Fehler zu beheben oder etwas zu ändern", meint Aris Seitanides.

Der Manager ist stolz auf sein Team und erzählt gerne die Geschichte von der jungen Kollegin, die einen absichtlich gezogenen Stecker irgendwo im PC-Dschungel des Kontrollzentrums in wenigen Minuten lokalisierte. Eine solche Fehlerquelle zu finden ist bei einem IT-Equipment von 14 000 Teilen, darunter rund 10 500 Computer, 450 Server und ebenso viele Unix-Boxen, nicht ganz trivial. Die Hardwarekomponenten wurden von einem Konsortium aus vier griechischen IT-Anbietern geliefert, die sich eigens für dieses Projekt zusammengeschlossen haben. Zum Vergleich: Zu den letzten Olympischen Winterspielen in Salt Lake City vor zwei Jahren war das Equipment mit 5000 Computern und 150 Unix-Boxen lediglich halb so groß. Mächtig angewachsen ist auch die Zahl der in der griechischen Hauptstadt eingesetzten Fax- und Kopiergeräte - auf jeweils rund 2000 Stück.

Aber auch die Zahl der Akkreditierungen hat sich im Vergleich zu Salt Lake City drastisch erhöht. Erwartet werden mehr als 21 000 Medienvertreter, zu den Winterspielen 2002 waren 3000 Journalisten und Medienleute erschienen. Und auch die Zahl der IT-Manpower hat sich mehr als verdoppelt: von 1350 auf 3400 Mitarbeitern. Sie sollen in Athen für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Darunter hauptsächlich Angestellte von Atos Origin, aber auch zahlreiche Freiwillige. Der Eintritt in die digitale Informationswelt während des Mammut-Events erfolgt über 19 000 E-Mail-Accounts, die der Systemintegrator zur Verfügung stellt.

Von IBM zu Schlumberger Sema

Mit den Athener Spielen tritt Atos Origin erstmals als hauptverantwortlicher Game Operator auf. Bis zu den Spielen in Sydney vor vier Jahren hatte IBM diese Aufgabe noch inne. Doch Ende 1998 hatte Schlumberger Sema im Zuge von Neuverhandlungen mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Auftrag bekommen, der noch bis zu den Sommerspielen 2008 in Peking gilt. Der Startschuss für Schlumberger fiel 2002 in Salt Lake City, wo der IT-Dienstleister als Subunternehmer des damaligen Hauptpartners IBM Erfahrungen sammelte. Die Übernahme der IT-Sparte von Schlumberger Sema durch Atos Origin Anfang 2004 bescherte dem französischen Konzern den bis jetzt größten IT-Dienstleistungsvertrag für Sportveranstaltungen.

Atos Origin hat einen Großteil der Fachleute von Schlumberger übernommen, die in Salt Lake City das Netzwerk aufgestellt hatten. Kein Wunder also, dass in Athen eher Bewährtes zum Einsatz kommt. Eine Vielzahl der Rechner von 2002 werde nicht zuletzt aus Kostengründen in Athen wieder genutzt, sagt Seitanides. Und auch beim Betriebssystem ist der Olympia-Ausrüster bei dem geblieben, was vor zwei Jahren im Rennen war: Windows 2000. "Wir haben von Anfang an damit gearbeitet", sagt der IT-Mann, und auf diese Erfahrungen vertraue man nun auch in Athen. Ein Wechsel hätte keinen Sinn gemacht, denn der Aufbau der gesamten IT-Infrastruktur begann schon im November 2002 - also zu einem zu frühen Zeitpunkt für XP. Olympiaden zwingen nicht nur Athleten zu langjährigem Aufbau-Training: Schon jetzt seien die ersten Techniker in Turin im Einsatz, wo in zwei Jahren die nächsten Winterspiele stattfinden werden. In Peking sei ebenfalls bereits ein kleines Team vor Ort, so Seitanides.

Atos Origin ist verantwortlich für die Integration Services, für das operative Management sowie für die gesamte Software-Implementierung. Das beinhaltet auch die Anbindung des Olympischen Dorfes sowie den Aufbau des Media-Center und von zwei Storage-Center mit einer Speicherkapazität von insgesamt 2,5 Terabyte, für die hauptsächlich Sun-Maschinen (Modell 3960 Store Edge) eingesetzt werden. Dazu werden zwei voneinander unabhängige Netzwerke geknüpft, erklärt Seitanides, ein so genanntes Admin-Network und ein Games-Network. Im Admin-Network werden etwa die Schnittstellen zum Internet integriert sein sowie E-Mail-Dienste angeboten. Das Games-Network wiederum ist ein geschlossenes System; es habe aus Sicherheitsgründen keinen Kontakt zur Außenwelt, erläutert Yan Noblot, Security-Manager von Atos Origin.

Verzicht auf Biometrie aus Kostengründen

Der Ausrüster übernahm aus Salt Lake City also nicht nur einen Großteil der stresserprobten Hardware, sondern auch Software, wie etwa das "Game Management System" (GMS), das neben dem neu errichteten "Info Diffusion System" (IDS) als Admin-Network ebenfalls auf der Application-Ebene angesiedelt ist. Mittels GMS werden Akkreditierung, Eintrittskarten (insgesamt 5,3 Millionen Tickets) und Qualifikation der Athleten sowie Ankünfte, Abfahrten und Unterbringung aller Beteiligten erfasst, kontrolliert und koordiniert. Bei der Ausstattung der ID-Pässe setzen die Verantwortlichen auf Barcodes, wie sie bereits in Salt Lake City auf den Ausweisen standen. Die Entwicklung und der Einsatz von Chipkarten in Kombination mit biometrischen Merkmalen wäre zu teuer gewesen, sagt ein Mitarbeiter.

600 000 Info-Seiten pro Tag

Über IDS (Info Diffusion System) wird das Internet mit allen relevanten Daten gefüttert. Passwort-Logins erlauben Berichterstattern aus aller Welt, sich in das eigens aufgebaute "Commentator Information System" (CIS) innerhalb des IDS einzuklinken. Als eigenständiges Intranet läuft unter IDS ab 13. August ferner "Info 2004". "Das ist unser eigenes geschlossenes Internet mit insgesamt 4000 Informations-Terminals für alle Besucher", erklärt Seitanides. Solche Info-Kioske werden bis zur Eröffnung an den Wettkampfstätten direkt und in der Stadt verteilt aufgestellt. Für Internet und "Info 2004" sollen täglich bis zu 600 000 Informationsseiten zur Verfügung gestellt werden.

Die Sicherheit der unterschiedlichen Netze genieße höchste Priorität, fügt Security-Manager Yan Noblot hinzu. Fast 250 000 Teststunden haben die Systeme hinter sich. Dazu wurde gleich zu Beginn des Projektes Ende 2002 ein eigenes Integration Test Lab aufgebaut, das auf Erfahrungen von Schlumberger während der letzten Winterolympiade basiert. Atos Origin entwickelte zusätzlich eigene Kriterien, unter denen das Gesamtsystem inklusive Sicherheitsanforderungen bestehen musste. Nicht nur die getrennt laufenden Systeme an sich sollen einen Domino-Effekt verhindern, sondern mittels unterschiedlicher Alarm- und Filtersysteme soll ein Angriff von außen unmöglich werden. "Hier kommt keiner rein", meint Noblot.

Aber auch die Datenverfügbarkeit soll mit größter Sicherheit während der Spiele gewährleistet sein. Dazu wurde mit EMC- und Sun-Technologie die entsprechende Storage-Kapazität aufgebaut. Die Daten sind in einem zweiten Data-Center physisch außerhalb der Stadt an einem geheimen, erdbebensicheren Ort untergebracht und mit nahezu Echtzeit gespiegelt. "Wir kennen unsere Datenströme ganz genau und monitoren alles", erkärt der Security-Manager. In über 5000 Testfällen wurden die Systeme auf ihre Verwundbarkeit hin überprüft. Heraus kamen knapp 10 000 Defekte, die möglicherweise Folgen für das gesamte System hätten haben können. "Wir wissen auch, wie wir mit 200 000 Alarmmeldungen auf einmal umgehen müssen", sagt Noblot, für den die olympische Rekordjagd schon lange vor dem 13. August begonnen hat.