Die wöchentliche CIO-Kolumne

Der nächste Gegner ist immer der schwerste

22.09.2003 von Heinrich Seeger
Die am häufigsten gestellte IT-Frage der letzten Jahre wandelt sich. Geht es um Outsourcing, heißt es nur noch selten "pro oder contra"; immer häufiger lautet die Frage, an welchen beziehungsweise an wie viele Dienstleister ein Outsourcing-Auftrag gehen soll. Selbst die ganz Großen geraten nämlich allzuleicht in Gefahr, sich zu verheben.

Das Feld ist grob abgesteckt. Einerlei, welchen Meinungsbekundunge nman folgt - ob zwei oder drei CIOs im Namen von IT-Strategie und Kosteneffizienz zusammen sind, ob IT-Anwender, -Anbieter, -Berater, Marktforscher und Organisationswissenschaftler nacheinander auf die Bühne und hernach gemeinsam zur Diskussion aufs Podium klettern, oder ob sich die Presse des Themas annimmt: Es herrscht Konsens darüber, dass IT-Leistungen, die ein Unternehmen nicht vom Wettbewerb unterscheiden, besser eingekauft werden sollten. Nur so, heißt es, lassen sich die Kräfte des Marktes ballen und alltägliche Aufgaben möglichst billig erledigen.

Zu den alltäglichsten Aufgabengebieten und deshalb zur Domäne der Outsourcer zählt der Desktop: Hardwarebeschaffung, Anwenderunterstützung zumindest auf dem ersten Support-Level,automatische Software-Distribution und Asset-Management. Das sind samt und sonders millionenfach erprobte Tasks, einfach zu erledigen und deshalb unkritisch. Das klassische Massengeschäft: je größer die Masse, desto geringer die Kosten pro Desktop. Ganz einfach.

Denkste. Die Kehrseite, schlaflose Nächte und längliche Diskussionen, erfährt gerade Daimler-Chrysler. Die IT-Mannschaft unter CIO Sue Unger ist im Begriff, das wohl größte Desktop-Outsourcing-Projekt aller Zeiten umzusetzen. Weltweit rund 150 000 PC-Arbeitsplätze sollen bei dem Autoriesen standardisiert, Betrieb und Verwaltung an HP übertragen werden. Aber seine schiere Größe - unter anderem gilt es, sämtliche Softwarepakete für den mannigfachen Bedarf des Multi-Technologiekonzerns zu konfektionieren - macht das Projekt offenbar zum Problem, selbst für den auch nicht kleinen Dienstleister. Konkret: Der Rollout eines Pilotprojekts in Deutschland hakt, weil der Auftragnehmer seit einigen Wochen die automatische Softwaredistribution nicht auf die Reihe bringt.

Dietrich Schreiner, Director für Global Integration, der das Projekt auf Daimler-Chrysler-Seite verantwortet, nutzte daher eine HP-Kundenveranstaltung für ein faszinierendes Lehrstück an diplomatischem Vendor-Management. Er machte klar, wie groß der Druck auf ihn ist ("Sue Unger ruft mich jede Woche an und fragt, wie es steht."), um im nächsten Satz ebenso deutlich wie höflich die versammelte HP-Services-Spitze mit ihrer Säumigkeit zu konfrontieren. Sogar ein Ultimatum brachte er in seinem charmant geschwäbelten Vortrag unter, indem er nämlich das Publikum informierte, dass die kommende (also diese, Red.) Woche entscheidend sei: Dann müsse es klappen, sonst drohe Sue Unger die Geduld zu verlieren. Man kann sich vorstellen, wie erleichtert die HP-Verantwortlichen waren, als Schreiner schloss, indem er eine goldene Brücke baute: "Ich gehe davon aus, dass wir das gemeinsam hinbekommen werden".

Aller Ehren wert ist, dass HP einen Kunden auf die Bühne bat, von dem bekannt ist, dass sein Projekt wackelt; respektabel auch, dass und wie Schreiner dieser Bitte nachkam. Es handelte sich um einen der spannendsten Vorträge auf einer Herstellerveranstaltung, die der Autor je hören durfte.

Dass Schreiners Schlussappell durchdringt, ist beiden beteiligten Unternehmen zu wünschen. Für HP hängt an dem Auftrag das Image einesGlobal Players im Servicegeschäft - als der sich das Unternehmen erst noch positionieren muss. Auch für Daimler-Chrysler geht es - neben kostengünstigem Desktop-Betrieb mit hohem Standardisierungsgrad undeiner durchgehenden Corporate Identity - ebenfalls um Image und Glaubwürdigkeit, und zwar von seiten der IT gegenüber den Mitarbeitern. Und für Sue Unger steht ihre Entscheidung für eine globale Standardisierung auf dem Prüfstand: Zwischen den Zeilen von Schreiners Vortrag war recht deutlich herauszuhören, dass es auch Stimmen für eine Aufteilung, zumindest in einen europäischen und einen amerikanischen Teilauftrag, gegeben hatte. Aber die populärste IT-Managerin auf dem Planeten hatte sich durchgesetzt.

Im Outsourcing scheint es wie im Sport zu sein: Vermeintlich einfache Aufgaben werden oft unterschätzt, und das Team gerät unter Druck. Nur wer gut ist, hält dem stand.