Mobile Computing

Der PC ist immer schon da

04.04.2005 von Wolfgang Miedl
Intel-Forscher spielen das Hase-Igel-Spiel neu: Wo immer der Nutzer unterwegs arbeitet, die persönliche Benutzerumgebung auf Basis herkömmlicher Desktop-PCs ist bereits verfügbar.

Mobile Computing handelt bekanntlich von tragbaren Geräten wie Laptops, PDAs und Smartphones. Geht es jedoch nach Forschern von Intel Research in Pittsburgh und der Carnegie Mellon University, dann zählen künftig auch herkömmliche statische PCs zu den mobilen Endgeräten. Dafür haben die US-Wissenschaftler unter der Bezeichnung Intel Internet Suspend / Resume (ISR) eine Technik entwickelt, die Anwendern eine völlig ortsunabhängige Arbeitsweise an herkömmlichen Desktop-PCs ermöglichen soll.

Wer an vielen verschiedenen Orten mit dem PC arbeitet, muss bisher Kompromisse machen. Beispiel Laptop: Ein mobiler PC garantiert zwar im Büro, zu Hause oder im Hotel den ortsungebundenen Zugriff auf eine persönliche, stets identische Arbeitsumgebung, allerdings muss man dabei stets ein paar Kilo Hardware mit sich herumtragen. Alternativ bieten sich Fernzugriffslösungen an, die entweder Zugang zum E-Mail-Konto, zu persönlichen Datenordnern oder zu webbasierenden, kleinen Office-Lösungen bieten.

Als nahezu perfekt gelten in diesem Zusammenhang Thin Clients - aus User- wie aus IT-Sicht: Einerseits erleichtern sie dank zentral verwalteter Terminal-Server die Administration, andererseits merken viele User dabei nicht einmal, dass sie an einem Terminal anstelle eines echten Windows-PCs arbeiten. Allerdings sind sie abhängig von unterbrechungsfreien Netzen. Außerdem eignen sich Windows- oder Linux-Terminals nur bedingt für Grafik- und rechenintensive Anwendungen.

Doch nun soll der als verwaltungs- und Support-intensiv verschriene Desktop-PC alle bisherigen Kompromisslösungen in den Schatten stellen: "Mit ISR können wir die Vorteile der Rich-Client-Welt mit den Vorzügen der Thin-Clients kombinieren", erläutert Michael Kozouch bei Intel Research in Pittsburgh. Er leitet das Projekt zusammen mit Dave O’Hallaron, Professor an der Carnegie Mellon University. Die Benutzer arbeiten hierbei zwar auf Basis handelsüblicher PCs inklusive der gewohnten Windows-Umgebung.

Doch ISR löst die feste Bindung Hardware-Software auf: Der Desktop wird als Image am zentralen Server vorgehalten und kann an jedem Ort auf eine beliebi-ge Client-Maschine geladen werden. Wie beim Suspend / Resume-Mechanismus heutiger Laptops lässt sich dabei der aktuelle Betriebszustand bei Büroschluss am Server ablegen und in der folgenden Arbeitssitzung am Home-Office-PC wieder "aufwecken".

Dabei dient allen ISR-Clients als gemeinsame Basis die Technik virtueller Maschinen (VM) - in diesem Fall der Linux-Client von VMware. Darauf läuft Windows XP als Desktop-System. Grundsätzlich wäre damit das Modell eines mit dem User wandernden Betriebssystems bereits realisiert. Denn VMware kapselt die PC-Hardware und bildet einen standardisierten virtuellen "Software"-PC. Wird darauf Windows XP installiert, besitzt es eine VMware-spezifische Gerätetreiber-Konfiguration und ist so mit allen VMware-Instanzen auf jedem PC kompatibel. Doch das System hat Grenzen: Ein komplettes Windows-VMware-Image mit Betriebssystem, Applikationen und Produktivdaten ist zwischen mehreren GB und einigen Dutzend GB groß.

Kernproblem: zu große Datenmengen

Damit stößt man auf das Kernproblem, das die Forscher zu knacken hatten: Selbst innerhalb eines Firmennetzwerks mit 1-Gbit-LAN würde das Übertragen einer eingefrorenen Arbeitssitzung in Form eines VM-Images auf einen anderen PC unzumutbar lange dauern und die Netzinfrastruktur über die Maßen belasten. In Netzen mit 10-Mbit- oder DSL-Leitung wäre eine solche Lösung sogar schlichtweg unpraktikabel. Die Entwickler entwickelten daher einige Hilfsmechanismen, um den Transport des "VM State" - also des aktuellen Betriebszustandes - zu verschlanken.

Zunächst wird bei ISR das persönliche Client-Image in kleine Dateien zerlegt - das eröffnet Möglichkeiten einer selektiven Übertragung, die sich beispielsweise auf nur tatsächlich geänderte Daten im System-Image beschränkt. Da dennoch potenziell große Datenmengen für ein Resume vom Firmenserver auf den ISR-Client übertragen werden müssen, kommt zusätzlich ein mehrere Gigabyte großer lokalen Zwischenspeicher zum Einsatz. Ist die nächste Arbeitsstation eines Mitarbeiters bekannt, kann diese schon während der Fahrtzeit des Users automatisch mit Image-Bestandteilen bestückt werden (Cache-Warming - "Vorwärmen"). So kann der Benutzer bei Ankunft die Arbeitssitzung nach kurzer Cache-Ladezeit fortsetzen.

Allerdings verlassen sich die Wissenschaftler nicht nur auf solche Idealfälle, sondern haben auch an Worst-Case-Szenarien gedacht - wenn etwa ein Benutzer ohne Vorankündigung an einem entfernten ISR-PC seinen Desktop laden möchte. In solchen Fällen kommt die Look-aside-Caching-Techologie zum Einsatz. Die Grundidee des Verfahrens ähnelt denen moderner Speicher- und Backup-Systeme: Vergleicht man die Datenmuster unterschiedlichster PC-Installationen, stellt man fest, dass ein großer Teil der System- und Anwendungsdateien identisch sind. Look-asideCaching nutzt diesen Umstand und sucht nach solchen redundanten Daten zunächst in der Client-Umgebung wie auf USB-Sticks, externen Festplatten oder DVDs. Im Idealfall lässt sich so der Datentransfer zwischen dem Firmenserver und dem entfernten ISR-Client auf die dynamischen Daten des aktuellen Systemzustands reduzieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Anwender die Redundanzdaten mit sich führt.

Mittlerweile haben die Projektmitglieder in umfangreichen Tests bereits die Praxistauglichkeit von Internet Suspend / Resume in unterschiedlichen Benutzerszenarien getestet. Optimale Ergebnisse ermittelte man dabei unter anderem in der Arbeitsweise "Tragbarer Speicher / Look-aside Cache". Sowohl im langsamen 100-Kbit-Netz (ISDN) als auch im schnellen 100-Mbit-LAN betrug die Resume-Zeit eines ISR-Rechners zwölf Sekunden und lag damit im Bereich einer herkömmlichen Notebook-Aufwachphase.

Immer noch Leistungseinbußen

Noch ein wenig schneller waren die Zeiten, wenn der Standortwechsel angekündigt wird ("Fully Proactive" mit Cache) - hier lagen die Zeiten in allen Netzen bei etwa zehn Sekunden. Interessant sind im Vergleich dazu die Resume-Zeiten auf völlig blanken Clients mit leerem Cache: Im 100-Mbit-LAN dauerte die Wiederaufnahme einer Windows-Sitzung 40 Minuten, im 1-Mbit-Netz würde der Transfer des Resume-System-Images neun Stunden dauern.

Allerdings könnte sich als Hindernis im Alltagsbetrieb die zu übertragende Datenmenge erweisen. Selbst wenn alle Optimierungsansätze greifen, ist mit deutlich höheren Datenraten und Netzwerkbelastungen als bei heute üblichen Terminal-Server-Lösungen zu rechnen. Aber auch die Auswirkungen der eingesetzten Virtualisierungstechnik sind nicht zu vernachlässigen: Nach wie vor muss in VMware-Umgebungen abhängig von der Anwendung mit spürbaren Leistungseinbußen gerechnet werden. Eine Annäherung virtueller Maschinen an das Niveau nativer Hardware dürfte erst die von Intel in Aussicht gestellte Prozessorerweiterung "Vanderpool" bringen.

Derzeit arbeitet das Projektteam von Intel und der Carnegie Mellon University weiter an der Verfeinerung des Konzepts. Doch Michael Kozouch ist stolz auf das bereits Erreichte: "Der ortsungebundene Zugriff auf eine persönliche Arbeitsumgebung ist der Heilige Gral des Mobile Computing. Mit Internet Suspend / Resume sind wir diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen."