Microsoft-Projekt Silica

Der Speicher im Glas

23.10.2023 von Martin Bayer
Forschern in Microsofts Research Labs ist es gelungen, Terabytes an Daten in dünnen Glasplättchen zu speichern und so regelrechte Archivsysteme für die Nutzung via Cloud aufzubauen.
Der erste Superman - statt vielen Rollen empfindlichen Filmbands nur ein kleines dünnes Glasplättchen als Speichermedium. So startete vor vier Jahren Microsofts Project Silica.
Foto: Microsoft

1,75 Millionen Songs oder 3.500 Filme, gespeichert in einer Glasplatte von der Größe eines Bierdeckels: Microsoft meldet Fortschritte in seinem Projekt "Silica". Vor vier Jahren hatte der Softwarekonzern erstmals anlässlich der Entwicklerkonferenz Ignite Anfang November 2019 über seine Bemühungen berichtet, Daten in Glas zu speichern.

In Kooperation mit dem Filmstudio Warner Bros. hatte Microsoft im Rahmen von "Project Silica" einen besonderen Speicher für Filmdaten entwickelt. In einer 75 mal 75 Millimeter großen und zwei Millimeter dicken Glasscheibe wurde mithilfe von Laseroptik und künstlicher Intelligenz der erste Superman-Film aus dem Jahr 1978 gespeichert. Die Daten wurden dabei in Schichten aus dreidimensionalen Gittern und Deformationen im Nanoformat codiert. Machine-Learning-Algorithmen können sie wieder auslesen, indem sie Bilder und Muster decodieren, die erzeugt werden, wenn polarisiertes Licht durch das Glas scheint.

In den vergangenen Jahren blieb es ruhig um das Projekt. Nun scheint die Technik wohl auch dank neuer KI-Funktionen einen Sprung nach vorne getan zu haben. "Glas bietet Cloud-Speicher, der effizient, nachhaltig und kompakt ist. Es verbessert die Haltbarkeit und reduziert den Platzbedarf", erläutert Ant Rowstron, Ingenieur bei Microsoft Research.

Magnetspeicher - immer wieder neu kopieren

Der Forscher verweist auf die Nachteile klassischer Speichertechniken. "Magnetische Technologie hat eine begrenzte Lebensdauer", sagt Rowstron. Die Inhalte müssten immer wieder auf neue Datenträger kopiert werden. "Ein Festplattenlaufwerk hält vielleicht fünf Jahre, ein Band zehn Jahre - wenn man mutig ist." Diese Praktiken seien wenig nachhaltig. Rowstron verweist zudem auf einen hohen Verbrauch an Energie und Ressourcen.

Daten in Quarzglas zu speichern, könne eine Alternative für herkömmliche Band- oder Festplattenarchive sein, so der Microsoft-Forscher. Der größte Vorteil liege in der Haltbarkeit des Mediums. Daten könnten bis zu 10.000 Jahre unverändert in den Glasschichten gespeichert werden. Insgesamt sei das Material auch widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse wie beispielsweise elektromagnetische Störungen durch Sonnenstürme.

Das neu entwickelte System funktioniere darüber hinaus besonders energieeffizient. Lediglich das Schreiben und Lesen der Daten benötige Strom. Die Ablage im Glas und einem entsprechenden Archivsystem erfordere keinerlei Energieaufwand. Dazu komme, dass sich die einmal in den Glasschichten kodierte Information im Nachhinein nicht mehr verändern lasse. "Diese Technologie ermöglicht es uns, Daten in der Gewissheit zu schreiben, dass sie unverändert und sicher bleiben", sagt Richard Black, Forschungsleiter für das Projekt Silica.

Robotiksystem für Glasscheiben

Das Silica-Team hat die Technik in den vergangenen Jahren immer weiter verfeinert. Zunächst sei der Laser-basierte Schreibvorgang ineffzient gewesen, hieß es. Jetzt habe die Technik eine Stufe erreicht, mit der man mehrere Terabyte an Daten in einer dünnen Glasscheibe sichern könne. Darüber hinaus haben die Forscher ein Robotik-System für Glasarchive entwickelt. Dabei sei sichergestellt, dass einmal beschriebene Scheiben, die in einer Bibliothek abgelegt seien, nicht mehr zurück zum Laser-Writer transportiert würden, erklärt Black.

Der Forschungsleiter betont darüber hinaus den Platzvorteil gegenüber klassischen Speichermedien. Gerade angesichts der rasant wachsenden Datenmengen gerade in der Cloud sei dies ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Silica könne enorme Mengen an Daten in einer sehr kompakten Form speichern, sagt Black und spricht von einem neuen Paradigma in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit.

Superman - unlöschbar im Glasspeicher

Noch ist Silica von einem breiten Einsatz als Cloud-Archivspeicher weit entfernt. Es werde noch drei bis vier Entwicklungsschritte dauen, bis die Technik kommerzielle einsatzbereit sei, räumen die Forscher ein. Allerdings gibt es bereits erste vielversprechende Pilotprojekte. Das nach eigenen Angaben auf Nachhaltigkeit fokussierte Venture-Unternehmen Elire baut gemeinsam mit den Microsoft-Forschern einen globalen Musik-Tresor. Im norwegischen Svalbard soll ein Musikarchiv entstehen, in dem möglichst alle von Menschhand komponierten Werke zusammengetragen und abgespeichert werden - vom Minnegesang eines Walther von der Vogelweide über volkstümliches Liedgut rund um den Globus bis zum neuesten Numer-1-Hit von Taylor Swift.

Für die Zukunft plant Elire, diese Musiksammlung kontinuierlich zu erweitern. Weltweit sollen zugängliche Standorte eingerichtet und die Öffentlichkeit eingeladen werden, mit diesem umfangreichen und ständig wachsenden Archiv zu interagieren. Der unverwüstliche Glasspeicher sei dafür genau das richtige Medium.

Die Silica-Glasscheiben hätten allen Zerstörungsversuchen widerstanden, sagt Satya Nadella, CEO von Microsoft.
Foto: Microsoft

Vor vier Jahren hatte Microsoft-Chef Satya Nadella von einer Tragödie gesprochen, ginge der erste Superman-Film verloren, weil die alten Filmrollen für eine weitere Aufbewahrung zu empfindlich seien. "Wir haben Silica wirklich in die Mangel genommen", berichtete Nadella. "Wir haben es gekocht. Wir haben es gebacken. Wir haben es geschüttelt. Wir haben versucht, es zu zerkratzen." All das habe Superman nicht zerstören können. (ba)