Die Folge von Komplexität und Cloud

Der traditionelle Systemadministrator stirbt aus

31.03.2010 von Thomas Pelkmann und Bernard Golden
Mit wachsender Komplexität und dem Wunsch nach Skalierbarkeit in der Cloud wird der Systemadministrator alter Prägung verschwinden. Spezialisten sind statt Allrounder gefragt, die Autoindustrie macht es vor.

Die besten Systemadministratoren verfügen über die Fähigkeiten eines Schweizer Armeemessers: ausgerüstet mit jeder noch so speziellen Fähigkeit, um die komplexe Mixtur von Hardware, Speicher, Betriebssystemen, Middleware und Applikationen auf dem neusten Stand und am laufen zu halten. In vielerlei Hinsicht, meint Bernard Golden von unserer US-Schwesterpublikation CIO.com, gleichen Systemadministratoren Automechanikern mit ihren Fähigkeiten, Probleme zu erkennen und zu beheben.

Allerdings stieg die Komplexität in den Data Centern in den vergangenen Jahren dramatisch. Komplexe Systeme wurden in funktionale Komponenten aufgesplittet, die sich in zentralisierten, aber voneinander getrennten Umgebungen wiederfinden.

So sind zum Beispiel einzelne Speichereinheiten in zentrale Systeme wie NAS oder SAN migriert worden. Das führte unvermeidlich dazu, dass sich die Administratoren zunehmend auf solche Systeme spezialisiert haben. Jedes Unternehmen, dass eine spezielle Speichergruppe sein eigen nennt, schafft damit auch neue Verantwortlichkeiten für die Sysadmins.

Diese Spezialisierung gibt es auch in anderen Branchen, wie ein Blick in die Automobilindustrie zeigt: In modernen Fahrzeugen, zitiert Bernard Golden einschlägige Fachpublikationen, gibt es eine dramatische Zunahme von Code. Zudem wächst die Zahl von elektronisch gesteuerten Teilen.

Autos von heute haben rund 100 Millionen Zeilen Code intus, der für die Steuerung von 70 bis 100 Electronic Control Units (ECU) für Licht, Motormanagement oder Bremskraftverstärker verwendet werden. Bald schon wird diese Zahl auf 200 bis 300 Millionen steigen, sagen Analysten von Frost & Sullivan voraus.

Die Komplexität des Systems ‚Auto’ nimmt also stetig zu. Die Aussage: ‚Im Auto läuft viel mit IT’ müsste korrekt heißen: ‚IT bringt das Auto zum Laufen’. Und es ist offensichtlich, dass diese Komplexität ein großes Potenzial für Fehler und unerwünschte Interaktionen zwischen den ECUs birgt.

Die Komplexität des Systems ‚Auto’ nimmt also stetig zu. Die Aussage: ‚Im Auto läuft viel mit IT’ müsste korrekt heißen: ‚IT bringt das Auto zum Laufen’. Und es ist offensichtlich, dass diese Komplexität ein großes Potenzial für Fehler und unerwünschte Interaktionen zwischen den ECUs birgt.

Die Automobilindustrie ist an einem Punkt angelangt, an dem das Reparieren von Autos viel komplexer geworden ist, als der Austausch von Teilen. Für die Qualifikation von Mechanikern heißt das: Fern-Diagnosen und Teileaustausch führen dazu, dass sie für Reparaturarbeiten überflüssig werden. Schon bald fahren Autofahrer mit ihren defekten Fahrzeugen in eine Werkstatt, wo das Auto an das Netzwerk des Teilezulieferers angeschlossen wird. Der prüft das System und lädt nötige Software-Updates einfach direkt ins Auto.

Komplexität überfordert Handwerker

Die Komplexität moderner Autos überfordert also traditionelle Handwerker. Ist ein Problem zu schwierig, reißen sie das Teil einfach raus und ersetzen es durch ein neues. In Zukunft werden Techniker von irgendwo sitzenden Spezialisten angewiesen, was zu tun ist. Das Berufsbild heutiger Mechaniker wird sich ändern: Es wird ein paar hoch spezialisierte Experten geben, die von außen operieren, und viele minderqualifizierte Schrauber vor Ort. Für Mechaniker, die ihr Handwerk einigermaßen gut beherrschen, ist in diesem System dann kein Platz mehr.

Was hat das mit Cloud Computing und Admins zu tun? In der Administration komplexer Rechnersysteme macht sich dieselbe Dynamik breit wie in der Automobilindustrie. Hier Fehler und Probleme sauber zu diagnostizieren und zu beheben, wird immer schwieriger. Auch hier benötigen IT-Spezialisten dafür besondere Fähigkeiten.

Es ist daher nicht schwer sich auszumalen, dass der traditionelle Systemadministrator der letzte seiner Art sein wird. Künftig werden stattdessen spezielle Fähigkeiten zentralisiert vorgehalten; bei großen Unternehmen in einem Remote-NOC (Network Operations Center), in SMBs bei Dienstleistern oder auf Plattformen mit Managed Services. Vor Ort, so die Vorhersage des Autors, wird keiner mehr selber Hand an die Software legen. Hier kümmert man sich allenfalls noch um den Ein- oder Ersatz physisch vorhandener Gerätschaften.

Zugegeben: Es ist ein dunkles Szenario, das Bernard Golden hier erschreibt. Aber unwahrscheinlich ist es deshalb noch lange nicht. Wer die Diskussionen um Cloud Computing und die Komplexität von Anwendungen verfolgt, sieht auch, dass die Zahl und die Komplexität von Anwendungen in die Höhe schießt.

Mit diesem Problem hatte bisher nicht nur die Automobilindustrie zu tun. Früher sorgten in den Fabriken Hunderte von Arbeitern mit ihrer Hände Arbeit dafür, dass die Maschinen nicht still standen. Heute gehen wenige Weißkragen mit elektronischen Mess- und Steuerinstrumenten durch die Werkshallen, um die Produktionsmittel instand zu halten. Die wenigen Übriggebliebenen sind Menschen mit hoch spezialisierten Fähigkeiten.

Admins arbeiten wie Ärzte

Die Admins von morgen werden keine Allrounder sein, die alles wissen. Ihre Tätigkeit wird denen von Ärzten ähneln: Einer macht die Anamnese, ein zweiter sorgt für die Diagnose, ein dritter für die Behandlung. Bernard Golden zweifelt nicht daran, dass das so kommen wird. Aber daran, dass es genug Leute geben wird, die das können: Die Computerisierung der Gesellschaft und des Geschäftslebens ist so allumfassend, dass die ganze Welt nicht in der Lage ist, genug Techniktalente zu examinieren, um das zu bewältigen.

Bernard Golden ist CEO der Beraterfirma HyperStratus und auf Virtualisierung und Cloud Computing spezialisiert. Wer mit Golden über das Thema diskutieren möchte, kann ihm auf Twitter folgen: @bernardgolden.