Mythos Vernetzung

Die 5 Hürden bei Praxisnetzen

17.11.2009 von Alexander Freimark
Die Verzahnung zwischen medizinischen Versorgungszentren, Kliniken und niedergelassenen Ärzten ist prinzipiell gewollt - mehr nicht. Ein Werkstattbericht.
Jörg Purucker, Uni Erlangen-Nürnberg: "Ohne konsequentes Management werden sich praxisnetze künftig nur schwer behaupten können."

"Die Netzidee lebt", überschrieb die "Ärztezeitung" Anfang Oktober einen Artikel über die vielfältigen Ansätze zur Verknüpfung niedergelassener Mediziner. Praxisnetze seien "gelebte Wirklichkeit", was so klingt, als bedürfe es einer schriftlichen Bestätigung für die Entwicklung. Ähnliche Befürchtungen mögen auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein bewogen haben, 2009 erstmals einen Innovationspreis für Praxisnetze auszuloben - neben der Ehrung der Gewinner ging es vorrangig um mehr Öffentlichkeit.

In der Tat spielt sich die Integration von medizinischen Versorgungszentren, Kliniken und niedergelassenen Ärzten in Deutschland auf den ersten Blick weitgehend unter Ausschluss der Zielgruppe ab. Als Patient muss man schon in einer vernetzten Region leben und zudem der richtigen Kasse angehören. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Beitragszahler ein traditioneller Leistungsempfänger, der wie immer zum normalen Hausarzt geht, wenn der Schuh drückt, aber einem Netzarzt nie begegnet.

Dabei wurden unter der ruhigen Oberfläche bislang 300 bis 400 Netze in Deutschland geknüpft, die sich dem Schlagwort der Integrierten Versorgung verpflichtet fühlen. Zu ihnen gehört auch Solimed, ein Praxisverbund aus Solingen, Innovationspreisträger der KV Nordrhein. Darin tauschen rund 75 Ärzte und drei Krankenhäuser Informationen über etwa 10.000 registrierte Patienten aus. Solimed ist jedoch stark auf Eigeninitiative der Ärzte angewiesen.

"Die Vernetzung der Ärzte läuft seit rund zehn Jahren", berichtet auch Henryk Steinbach, Netzmanager des UGOM (Unternehmen Gesundheit Oberpfalz Mitte), ebenfalls ein bundesweites Vorzeigenetz. Der Verbund hat die Professionalisierung vorangetrieben und verfügt über Management, Aufsichtsrat und Assistenzen nebst regelmäßiger Gesellschafterversammlung und Wertekodex. Steinbach spricht über UGOM von der "nächsten Generation" der Netze, weil die hohen Anforderungen es nicht mehr erlauben würden,die Arbeit "nebenher am Abend" zu erledigen.

Etwa 60 Prozent der niedergelassenen Ärzte in der Region Amberg-Sulzbach, Apotheken sowie eine Klinik sind im UGOM vernetzt - sie mussten eine Einlage leisten und sich zertifizieren lassen. Insgesamt 14.000 AOK-Kunden wurden in den Status des "Netzpatienten" erhoben. Künftig möchte sich UGOM auch für Mitglieder nichtärztlicher Fachgruppen öffnen und regional expandieren. Davon profitieren letztlich auch die Krankenhäuser.

Beim UGOM ist dies das Klinikum St. Marien in Amberg. IT-Leiter Dietmar Bräuer dazu: "Durch die digitale Kommunikation habe ich die Möglichkeit, den bürokratischen Aufwand in Papierform stark zu reduzieren." Dies wiederum komme letztlich dem Patienten entgegen, so der IT-Leiter. Das Dilemma: Wer den Weg der Vernetzung einmal eingeschlagen hat, muss zwangsläufig Schritt halten. Sonst läuft das Projekt Gefahr, einzuschlafen oder verdrängt zu werden. "Ohne konsequentes Management werden sich Praxisnetze nur schwer behaupten können", warnt Jörg Purucker.

Deutsche Praxisnetze auf ihre prozessorientierten Controlling-Systeme untersucht

Der Wirtschaftsinformatiker an der Universität Erlangen-Nürnberg hat 72 deutsche Praxisnetze auf ihre prozessorientierten Controlling-Systeme hin untersucht. "Nur etwa 20 Prozent der Netze verfügen ansatzweise über geeignete Controlling-Instrumente, um Verbesserungen hinsichtlich Qualität und Effizienz gegenüber den Kostenträgern auch nachweisen zu können", so Purucker.

Überdies hätten sich viele Netze derartige Verpflichtungen bis dato nicht auferlegt. Der Befund des Controllers: "Praxisnetze stehen unter starkem Existenzdruck, da sie mit anderen Institutionen um Verträge mit den Kostenträgern konkurrieren und nur selten belegbare Argumente vorweisen können", so Purucker.

UGOM-Netzmanager Steinbach ist sich daher sicher, dass in Amberg-Sulzbach und anderen Regionen mit der professionellen Vernetzung der richtige Weg eingeschlagen wurde: "Die Zahl der Einzelkämpfer schrumpft, die Zukunft gehört den Gemeinschaften."

Die fünf Hürden von Dr. med und Co.

1. AUFWAND Der Aufbau eines Praxisnetzes erfordert von den Ärzten einen hohen Arbeitseinsatz in der Startphase sowie die Bereitschaft, sich anderen Meinungen zu öffnen.

2. DATENSCHUTZ Einige Mediziner fürchten, die Kontrolle über Patientendaten zu verlieren. Zudem stellt der Datenschutz beim sektorübergreifenden Austausch hohe Anforderungen.

3. TRANSPERENZ Vernetzte Ärzte machen sich überprüfbar durch Kollegen - Fehler lassen sich nicht so leicht vertuschen.

4. TECHNIK Praxen ohne ISDN und Computer sind selten, die Schnittstellen für den Datenaustausch in der Praxis-Verwaltungs- Software lassen sich in der Regel "minimalinvasiv" implementieren. Die Kommunikation ist aber noch nicht vollständig standardisiert.

5. FINANZIERUNG Nach dem Auslaufen der Anschubfinanzierung sind Zuschüsse für das Netz vom Goodwill der Kassen abhängig. Alternative: Ärzte betreiben den Verbund aus eigener Kraft.

Dieser Artikel stammt aus der Verlegerbeilage Health-IT des CIO-Magazins.
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