Back Office vs. Front Office

Die Cloud-Konfusion

21.03.2012 von Andy Mulholland
Zwei völlig verschiedene Sichtweisen werden bei Cloud zusammengeworfen: die Innensicht und Außensicht. Mit einem Perspektivwechsel lässt sich die Verwirrung auflösen, ist sich Capgemini-CTO Andy Mulholland in seiner Kolumne sicher.
Andy Mulholland ist Global Chief Technology Officer bei Capgemini.
Foto: Capgemini

Eine der Kernfragen in der IT-Industrie lautet: "Ist die Cloud nun eine Evolution oder eine Revolution?" Das klingt zwar unspektakulär, ist es aber nicht. Es ist eher der Ausdruck einer viel tiefergehenden Fragestellung, die Unternehmen überall auf der Welt umtreibt und die sich letztendlich in einer Cloud-Konfusion niederschlägt. Und genau das hält viele von Cloud-Lösungen und ihrem praktischen Nutzen fern.

Die Cloud-Konfusion rührt von einer Fehlannahme, die gleichermaßen unter Marktbeobachtern, Anbieterunternehmen wie auch IT-Experten herrscht. Sie werfen - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - zwei völlig verschiedene Sichtweisen auf die Cloud zusammen: nämlich die Innensicht und die Außensicht. Es ist genau diese Vermischung, die zusammen mit einer Dosis Marketing-Hype Unternehmen wie auch den öffentlichen Sektor irritiert. Es besteht Unsicherheit darüber wie man Cloud Services einsetzen sollte, und was sie für die Praxis bedeuten.

Innensicht versus Außensicht

Die Innensicht repräsentiert den Ansatz, den die Cloud-Technologie im Rahmen dessen spielt, was man als "Verbesserung der unternehmensinternen IT" bezeichnen kann, also das Back Office. Im Gegensatz dazu steht die Außensicht. Dabei geht es um die Rolle von Cloud-Architektur als "Befähiger" von Geschäften mit der Welt außerhalb der Unternehmensgrenzen, also dem Front Office.

Die Innensicht ist typischer Weise die Welt der IT-Manager, welche die Cloud als eine Weiterentwicklung bestehender Technologie innerhalb des Unternehmens sehen. Die Außensicht hingegen nimmt der Manager auf Geschäftsseite ein, der erkennt, dass die Cloud dem Unternehmen neue Möglichkeiten in Bezug auf Partner- und Kundenbeziehungen sowie Dienstleistungen inklusive Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten eröffnet. Diese Sicht verändert die geschäftlichen Rahmenbedingungen.

Aber gehen wir noch einmal zurück zum Back Office: Dort ist die Umgebung strukturiert und die vergangenen 20 Jahre haben IT-Manager hervorgebracht, die ERP-Systeme nutzen, um IT-Prozesse zu automatisieren und sicherzustellen, dass ihre IT-Infrastruktur auf maximale Effizienz getrimmt ist.

Völlig unterschiedliche Anforderungen

Stellen Sie sich dies einmal einem Front Office gegenüber vor, das als unstrukturierte, auf den Kunden und Partner bezogene, operative Umgebung rund um talentierte Menschen gebaut ist. Diese wollen Informationen in Echtzeit, um darauf aufbauend die richtigen Geschäftsentscheidungen zur richtigen Zeit treffen zu können.

Es ist klar, dass für beide Modelle - für die Innen- wie die Außensicht - die Anforderungen der Unternehmen völlig unterschiedlich sind; das Anwendungsgebiet ist es ebenso (Front Office oder Back Office) und natürlich gilt dies auch für die Technologie.

Gehen wir einmal davon aus, dass meine Interpretation von Cloud stimmt. Wie sollten also Organisationen das Thema Cloud angehen, um die beschriebene Cloud-Konfusion zu vermeiden? Was müssen sie tun, um den vollen Nutzen aus Cloud Services zu ziehen?

Einfach ausgedrückt geht es darum zu identifizieren, wie man beide Cloud-Perspektiven im jeweiligen Kontext einsetzen kann - und zwar indem man bewertet, wie die Ansätze zur Organisationsumgebung passen. Da in der Regel die Auswirkungen von Cloud weitreichend sind, bedarf es eines holistischen Blicks über alle Funktionen des Business hinweg und vielleicht auch über die anderer Partner, einschließlich der Kunden.

‘Bring Your Own Device’ - die immer häufiger anzutreffende Vorliebe von Mitarbeitern, mit ihren privaten Tablet-PCs oder Smartphones geschäftliche Arbeiten zu erledigen, ist ein gutes Beispiel. Dieser unumkehrbare Trend revolutioniert langsam aber sicher die Unternehmen. Und das geschieht - vielleicht mit Ausnahme der E-Mail - nicht über die üblichen Applikationen. Stattdessen bewegen sich die Mitarbeiter in externen Communities, sie nutzen das Web als Quelle für Echtzeitinformationen und beziehen die Services aus dem App-Store.

Die neue Außensicht stört erst einmal

Das steht im Kontrast zu dem was bislang für die IT-Innensicht stand: Monolithische Enterprise Applications, denen ein Client-Server-Modell zugrunde liegt, um ihre traditionelle, zentralisierte Verarbeitungsumgebung zu unterstützen. Kein Wunder, dass Sicherheits- und Governance-Risiken abschreckend wirken, wenn die konventionelle, bisher intern fokussierte IT-Sicherheit nun auf die neue Außensicht angewandt wird.

So oder so: Wenn sich eine Organisation entschließt, die Außensicht einzunehmen, können Sicherheit und Governance viel effektiver als bisher organisiert werden. Die betroffenen Nutzer und Geräte lassen sich außerhalb der sicheren IT-Umgebung ansiedeln. Von dort aus greifen sie auf die Cloud zu, um die Services "on demand" zu beziehen. Jederzeit können Applikationen wie ein Rechtschreibprogramm oder Tabellen als On-demand-Service aus der Wolke bezogen werden. Und sogar notwendige Elemente aus dem Enterprise Resource Planning können auf ähnlichem Weg zur Verfügung gestellt werden.

Die Außensicht erfordert eine komplett andere Denkweise hinsichtlich der Anforderungen, Art und Weise der Bereitstellung sowie der Anwendung. Aber ist das verwunderlich? Schließlich handelt es sich um eine komplett neue Generation von Technologie, die in einer völlig neuen Geschäftsumgebung angewandt wird.

Kommunikation ist ein weiteres gutes Beispiel: Die neue, unstrukturierte Welt der Front Offices bedeutet einen unausweichlichen Schritt von der E-Mail hin zu sozialen Netzwerken. In vieler Hinsicht sind diese Netzwerke zukünftig das immer stärkere Bindeglied für die gesamte neue Umgebung in der wir uns bewegen. Ihr Beitrag besteht darin, Verbindungen zwischen Menschen und Ereignissen in unterschiedlichsten Ausprägungen und, im Vergleich zur Innensicht, viel unstrukturierter zu schaffen.

Daraus lassen sich dann völlig neue, gemeinsame Antworten auf Marktchancen identifizieren und organisieren. Im Gegensatz dazu werden soziale Netzwerke in einer strukturierten Back-Office-Umgebung überhaupt nicht gebraucht, da die Mitarbeiter komplett darauf fokussiert sind, die Organisation am Laufen zu halten.

Innen- und Außensicht haben verschieden zeitliche Abfolgen

Es ist natürlich klar, dass alle Planungen rund um die äußeren und übergreifenden Auswirkungen von Cloud-Lösungen nicht automatisch zu massiven Veränderungen führen müssen. Und die Einführung von Cloud-Lösungen muss auch nicht auf einen Schlag passieren. Es ist eher so, dass die Innen- und Außensicht sowohl unterschiedliche Wertbeiträge als auch zeitliche Abfolgen haben.

Wenn man sich das große Bild vor Augen hält bevor man die oben geschilderten neue Methoden und Ansätze anwendet, lässt sich die bestehende Unsicherheit, die Cloud-Konfusion, im Unternehmen ausräumen und die damit verbundenen Chancen aus geschäftlicher Sicht leichter nachvollziehen.

Zu guter Letzt möchte ich noch einmal zur anfänglichen Diskussion um Evolution oder Revolution zurückkommen. Es ist klar, dass die Cloud-Strategie weit mehr ist als nur eine technische Strategie. Es geht um die gesamte Transformation von Unternehmen und Organisationen.

Das schließt auch die Mitarbeiter, Kunden und Partner mit ein: sowohl die, die in neuen Rollen die geschäftlichen Ansätze revolutionieren als auch die, die in ihren bisherigen Funktionen eine Evolution der operativen Effizienz starten. All das verlangt nach neuen Entwicklungstechnologien und Methoden, die auf die neuen Geschäftserwartungen passen, zugleich aber auch bestehende Applikationen effizienter machen.

Andy Mulholland ist Global Chief Technology Officer bei Capgemini.