CIO Fritz über Prozessgetriebenes Outsourcing

Die Outsourcing-Strategie von Tchibo

28.04.2009 von Holger Eriksdotter
Tchibo-Shops werben mit dem Slogan "Jede Woche eine neue Welt". Die IT bringt das unter erheblichen Druck, denn nicht nur das Warensortiment, auch die Prozesse ändern sich ständig - und der Dienstleister muss mitziehen.
Wolfgang Fritz, CIO von Tchibo: "Wir haben ein sehr tiefes Verständnis unserer Prozesslandschaft, wie es in dieser Klarheit wohl nicht in vielen Unternehmen vorliegt."

Seit gut vier Jahren betreibt der mittelständische Dienstleister Info AG aus Hamburg den größten Teil der Tchibo-IT. Dabei hat sich die Zusammenarbeit entscheidend verändert. Als Tchibo im Jahre 2004 den Outsourcer wechselte, stand anfänglich der Betrieb des Rechenzentrums und eines Großteils der Applikationslandschaft im Vordergrund. "Das haben wir kontinuierlich ausgebaut", sagt Tchibo-CIO Wolfgang Fritz. "Uns ging es vor allem um die Optimierung der Prozesssteuerung und um eine End-to-end-Sicht auf unsere vitalen Prozesse."

"Prozessgetriebenes Outsourcing" (PGO) nennen die beiden Partner das gemeinsam entwickelte Modell. Tchibo-CIO Fritz sieht darin vor allem folgende vier Vorteile:

Am Anfang der Partnerschaft standen die Identifikation und Dokumentation der vitalen Kernprozesse, um prozessabhängige Key Performance Indicators (KPIs) und SLAs zu definieren. Entscheidend ist dann nicht mehr, ob das SAP-System innerhalb von ein oder zwei Sekunden einen Auftrag verarbeitet, sondern ob etwa eine Bestellung im Webshop bis zur Auslieferung und Lagerabbuchung sämtliche betroffenen Systeme fehlerfrei durchläuft.

Bei Tchibo waren es 15 Kernprozesse, vorwiegend aus dem Supply-Chain-Management, die im ersten Schritt festgelegt wurden. Die Zusammenarbeit mit einem Outsourcer verlangt dabei eine so klare Definition und Priorisierung der Prozesse, wie sie bei inhouse-betriebener IT in dieser Konsequenz selten in Angriff genommen werde. "Wir haben durch die Analyse und Definition der vitalen und unternehmenskritischen Prozesse ein sehr tiefes Verständnis unserer Prozesslandschaft gewonnen, wie es in dieser Klarheit wohl nicht in vielen Unternehmen vorliegt", meint Fritz.

Business Operations Monitoring

Der fehlerfreie Ablauf eines gesamten Prozesses lässt sich nur applikationsübergreifend beurteilen. An die Stelle der Applikationsüberwachung tritt deshalb ein Monitoring des gesamten Prozesses. Dafür werden die Ergebnisse des Business Operations Monitoring (BOM) mit den definierten KPIs zu einem prozessbezogenen Status-Reporting verdichtet. Die am Prozess beteiligten Systeme sind über eine EAI-Middleware miteinander verbunden. Diese EAI-Schicht wird zusätzlich zu den klassischen Job-Management-Tools genutzt, um ein applikationsübergreifendes Business Operations Monitoring zu ermöglichen.

Allerdings war ein adäquates Business-Operations-Monitoring-Tool, das die Anforderungen erfüllte, am Markt nicht erhältlich. Deswegen entschieden sich die Partner zur Eigenentwicklung. Das von der Info AG entwickelt Monitoring-Tool "Info-Arena" (Motto: "Einblick. Ausblick. Durchblick") wurde eigens programmiert, um die Daten des Monitorings adäquat zu interpretieren. Dafür muss der Dienstleister auch inhaltliches Know-how bereitstellen. Die zentrale Instanz dafür ist die neu etablierte Rolle des Prozess-Managers.

Sowohl auf Seiten des Serviceanbieters als auch auf Seiten des Kunden wurden sogenannte Prozess-Manager als Verantwortliche für jeweils einen oder mehrere Geschäftsprozesse installiert. Während der Prozess-Manager bei der Info AG für die Schnittstelle zwischen seinen Managern für System- und Applikationsbetrieb verantwortlich ist, steht er in engem Austausch mit seinem Pendant bei Tchibo, der für die Kommunikation mit den Fachabteilungen sorgt.

Abgesehen von der täglichen Abstimmung - die beiden Prozess-Manager von Tchibo und der Info AG stehen in regelmäßigem telefonischen Kontakt, tagsüber und notfalls auch nachts - ist der Prozess-Manager der Info AG zudem in der Lage, die inhaltliche Qualität der einzelnen Prozessschritte zu erkennen und zu bewerten. Während die Verantwortlichen für den reinen Infrastruktur- und Applikationsbetrieb lediglich die technische Verfügbarkeit der Systeme beurteilen können, hat der Prozess-Manager profunde Kenntnisse der inhaltlichen Zusammenhänge der einzelnen Prozessschritte von Tchibo.

Weil das Kooperationsmodell zu einem guten Teil auf der gemeinsamen Prozessverantwortung von Tchibo und Info AG basiert, spielt eine zeitnahe und an die konkreten Erfordernisse angepasste Kommunikation eine zentrale Rolle. Deshalb wurde eine ausgeklügelte Gremienstruktur entwickelt, die von der Kommunikation zwischen den Prozess-Managern zur Abwicklung des täglichen Betriebs über Abstimmungs- und Steuerungsgremien bis zum Innovationszirkel Masterplan eine schnelle Innovation beziehungsweise Anpassung der IT-Systeme an die Geschäftsanforderungen sicherstellt.

Steter Kontakt zu den Key Usern

Dabei sind die Kommunikationswege so ausgelegt, dass Neuerungen und Veränderungen sowohl vom Management (Innovationszirkel Masterplan) und von den IT- und Prozessverantwortlichen als auch vom End-User des Kunden (Key-User-Gespräche) initiiert werden können. Insofern bildet das Gremiengerüst die Gesamtheit der Prozessbeteiligten ab und ist ein zentrales Instrument für das Alignment von Geschäftsanforderung und IT-Strategie.

Ein fixer Vertrag mit festgelegten Dienstleistungen wird den sich ständig ändernden Anforderungen eines agilen Unternehmens nicht gerecht werden. Um der permanenten Anpassung und Innovation der IT-Prozesse und Dienstleistungen auch auf der finanziellen Seite Rechnung zu tragen, wurde ein flexibles Vertrags-Management etabliert, das die jeweils neuesten IT-Entwicklungen in Form von Vereinbarungen umsetzt.

"Traditionelle Outsourcing-Modelle, die allein auf die Senkung der IT-Kosten zielen, reichen vielen Unternehmen nicht mehr aus", sagt Stefan Freyer, Vorstand der Info AG. Angesichts immer kürzerer Innovationszyklen komme der Innovations- und Anpassungsfähigkeit der IT eine immer wichtigere Rolle zu. "Innovative Unternehmen müssen ihre IT von der Unterstützungsfunktion zur Basis neuer Geschäftsmodelle und -prozesse weiterentwickeln, sie vom Kostenfaktor zum Business-Enabler transformieren." Für Outsourcer ergebe sich daraus die Notwendigkeit, sich über reine Kosteneinsparungen hinaus ihren Kunden mit neuen Vertragsangeboten als Innovationspartner anzudienen.

"PGO ist kein fertiges Korsett"

Das zusammen mit Tchibo entwickelte prozessgetriebene Outsourcing hält er für übertragbar auf andere Outsourcing-Partnerschaften. Dabei lägen die Vorteile des Modells nicht in den einzelnen organisatorischen, personellen oder technischen Komponenten: "Erst die Kombination der bereits erprobten Bausteine ist es, die das prozessgetriebene Outsourcing zu einer Schablone für Innovationspartnerschaften macht", sagt Vorstand Freyer. PGO sei aber kein fertiges Korsett, in das sich die Anforderungen des Kunden zwängen ließen. "Es handelt sich um ein Maßnahmenpaket, das sich flexibel an die jeweiligen Geschäftsprozesse und Anforderungen eines Kunden anpassen lässt", ist sich Freyer sicher.

Um das Modell auf andere Partnerschaften zu übertragen, müssten aber sowohl Auftraggeber als auch Dienstleister bereit sein, neue Wege zu gehen. Das Schlüsselwort heißt hierbei "Vertrauen". "Der Kunde muss bereit sein, einen Teil seiner Prozessverantwortung in die Hände des Dienstleisters zu legen und sein Unternehmen organisatorisch und personell auf die Kooperation umzustellen", resümiert der Vorstand
der Info AG.

Zwischen Tchibo und der Info AG scheint es zu klappen. Tchibo-CIO Fritz jedenfalls zieht eine insgesamt positive Bilanz. "Das neu etablierte Outsourcing-Modell hat dazu geführt, den Wechsel von der IT-affinen auf die Geschäftsprozesssicht zu erreichen. Es erhöht die Stabilität und Qualität der IT und schafft die Basis für ein erheblich verbessertes IT-Business-Alignment."