Was CEOs wirklich wissen wollen

Die sieben wichtigsten Fragen

29.06.2006 von Hubert Österle und Enrico Senger
Verschonen Sie Ihren Vorstand mit technischem Fachwissen oder Abteilungsinterna. Hier sind die sieben Fragen, die ihn wirklich interessieren. Wehe, wenn Sie keine Antwort darauf wissen.

1. Hilft uns die Informatik, unseren Kunden mehr zu bieten als die Wettbewerber?
2. Schafft die Informatik mehr Bequemlichkeit für unsere Kunden?
3. Welche neuen Kundensegmente oder Regionen können wir durch die Informatik erreichen?
4. Ist unsere Informatik bereit für nutzungsabhängige Preismodelle?
5. Wo kann die Informatik die Eintrittsbarriere gegenüber Wettbewerbern erhöhen?
6. Wo kann die Informatik Geschäftsprozesse verschlanken?
7. Wie können wir unsere Informatik billiger machen als die Konkurrenz – und gleichzeitig innovativ bleiben?

Professor Hubert Österle und Enrico Senger von der Universität St. Gallen haben die IT-Erwartungen von CEOs erforscht. Ihre Ergebnisse fußen auf einer Umfrage unter 3700 Vorständen sowie auf 26 Tiefeninterviews, die Österle zusammen mit SAP-Vorstand Henning Kagermann geführt hat.

In ihrem Buch „Geschäftsmodelle 2010 – Wie CEOs Unternehmen transformieren“ beschreiben Österle und Kagermann diese Resultate ausführlich. Auf unserer Website www.cio.de finden Sie eine Kurzfassung von Österle und Senger. Und vor Ihnen liegen die sieben entscheidenden Fragen eines CEO an seinen IT-Verantwortlichen. Sie bieten eine Checkliste für den CIO, wie nahe er am Geschäft ist, ob er die richtigen Themen priorisiert und die Leistungen seiner Informatik Business-gerecht kommuniziert.

1. Hilft uns die Informatik, unseren Kunden mehr zu bieten als die Wettbewerber?
Kunden erwarten Lösungen, nicht Produkte. Der Lösungsanbieter soll sie in ihrer Problemlösung, also in ihrem individuellen Kundenprozess, möglichst umfassend unterstützen. So können beispielsweise deutsche Maschinenbauer einer Studie von Mercer Management Consulting zufolge mit Services eine Umsatzrendite von zehn Prozent erzielen, mit dem Verkauf von Produkten hingegen nur 2,3 Prozent.

Für Endress+Hauser, einen Schweizer Spezialisten für Messgeräte und Automatisierungslösungen, bedeutet dies: „Wir müssen natürlich effiziente Messsysteme liefern. Aber mindestens so wichtig wie das Produkt ist das Lösungs-Know-how, das den Kunden für ihre Aufgabe den höchsten Nutzen bringt“, meint CEO Klaus Endress.



Endress+Hauser betreut eine Anlage während des gesamten Lebenszyklus über das Prozessportal W@M. In der Planungsphase ermittelt der Kunde die geeigneten Mess- und Steuergeräte selbst, indem er seine Anwendungsparameter im Portal eingibt. Ausgewählte Produkte bestellt er im eShop, ebenso wie Ersatzteile, Verbrauchsmaterialien und Dienstleistungen wie die Kalibrierung eines Messgeräts. Endress+Hauser verwaltet alle diese Daten in einem zentralen Bestand, dem „Common Equipment Record“. Der Kunde kann hier auch Wettbewerberprodukte verwalten und hat so einen Überblick über seine gesamte Anlage. Endress+Hauser verzeichnet in W@M jährlich 370 000 Downloads von technischen Dokumenten, 95 Prozent davon direkt durch Kunden.

2. Schafft die Informatik mehr Bequemlichkeit für unsere Kunden?
Geschäfts- wie Privatkunden bewerten Bequemlichkeit häufig höher als den Preis. Anbieter von Rundum-Sorglos-Paketen helfen den Kunden bei der Auswahl und der Koordination verschiedener Lieferanten.


Für ABB Turbo Systems heißt das: Kunden kaufen Produkte wie Abgasturbolader für Schiffe, Kraftwerke oder Lokomotiven nur dann, wenn der Weltmarktführer ihnen Wartung und Reparaturen binnen 48 Stunden garantiert – unabhängig davon, welche der weltweit 82 Servicestationen der Kunde in Anspruch nimmt. Reeder können sich erst dann entspannt zurücklehnen, wenn ABB ihre Schiffe in Buenos Aires oder Manila genauso schnell versorgt wie in Hamburg. Voraussetzung dafür ist das Turboladerportal ATURB@WEB, über das Servicemitarbeiter Montage- und Betriebsanleitungen herunterladen, Ersatzteile bestellen oder die Wartungs-Historie abfragen. Besonders der Wartungsstand der einzelnen Turbolader ist wichtig, um geeignete Servicezeitpunkte zu ermitteln und aktiv auf Kunden zuzugehen. Um eine professionelle Turboladerwartung zu erfüllen, musste ABB Turbo Systems jedoch den Idealprozess weltweit standardisieren. CEO Daniel Arnet betont, dass dabei eine Einheitssoftware helfen kann: „Neue Abläufe lassen sich am einfachsten erzwingen, wenn der Einsatz einer Standardsoftware gar keine Alternative mehr zulässt.“

3. Welche neuen Kundensegmente oder Regionen können wir durch die Informatik erreichen?
Das Unternehmen nutzt seine Wachstumschancen, wenn es seine Zielkunden weltweit erreicht, also über seine angestammte Region, aber auch über angestammte Kundensegmente hinaus.

Foto:


Herbert Meyer, CFO von Heidelberger Druckmaschinen, betont: „Entwicklungskosten neuer Druckwerke können wir nur noch über einen globalen Absatzmarkt erwirtschaften.“ Das Unternehmen möchte deshalb weltweit der beste Partner seiner Kunden sein – sei es eine Druckerei in China, Brasilien oder Deutschland.

Im Service steht dem Kunden rund um die Uhr ein Ansprechpartner zur Verfügung. Dieser kann mit dem Kunden zusammen über ein Remote-Service-Tool das Problem lösen und dafür bei Bedarf online auch Spezialisten hinzuziehen. Noch einen Schritt weiter geht der ebenfalls angebotene „Proactive Service“. Die Maschine meldet auftretende Probleme über das Internet direkt an das Serviceteam von Heidelberger Druckmaschinen, das defekte Teile austauschen kann, bevor es zum Stillstand der Maschine kommt.

Der Schweizer Schokoladenfabrikant Lindt & Sprüngli belieferte traditionell den Großhandel. Das Unternehmen möchte aber auch den Endkunden erreichen und ihn ähnlich wie Blumenservices beim kurz entschlossenen Verschenken über Internet und Call-Center unterstützen. Die notwendige feingliedrige Logistik ist keine Kernkompetenz des Unternehmens, sondern wird von yellowworld bezogen.

Die Tochter der Schweizer Post tritt als Logistikvermittler auf und koordiniert ein Netzwerk von Spezialisten unter anderem für Kleinkommissionierung, weltweite Zustellung und Zahlungsabwicklung. Lindt & Sprüngli konnte so das neue Geschäftsfeld „Privatkunde“ schnell und kostengünstig erschließen.

4. Ist unsere Informatik bereit für nutzungsabhängige Preismodelle?
Die Preismodelle müssen den Wandel von der produkt- zur kundenzentrierten Sicht mitmachen, also vom Produkt- zum Lösungspreis kommen. Für den Kunden ist die Abrechnung auf Basis der genutzten Leistung wesentlich einsichtiger, da er für den geschaffenen und unmittelbar erkennbaren Mehrwert bezahlt.

Kaeser Kompressoren mit Sitz in Coburg bietet unter dem Namen „Sigma Air Utility“ ein Betreibermodell für Druckluft an. Nach der Untersuchung des individuellen Druckluftbedarfs offeriert das Unternehmen einen Betreibervertrag mit einer auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Infrastruktur und einem Basisvolumen an Druckluft zum Fixpreis sowie einem Preis pro Kubikmeter Zusatzverbrauch. „Unsere Kunden möchten Druckluft für die speziellen Einsatzgebiete in ihrem Unternehmen – und nicht Kompressoren“, erläutert CEO Thomas Kaeser.

Der Kfz-Versicherer Norwich Union ist in einer Marktuntersuchung zu dem Schluss gekommen, dass 90 Prozent der Kunden nutzungsbezogene Kfz-Versicherungsprämien wünschen. Das Unternehmen bietet mit „Pay as you drive“ als eines der ersten Unternehmen Versicherungsprämien in Abhängigkeit von Fahrkilometern, Tageszeiten und Straßentypen. Dazu wird in das Fahrzeug ein GPS-Sender eingebaut. Die Informationssysteme der Versicherung müssen die laufend eingehenden Bewegungsdaten in Fahrkilometer umrechnen und abhängig von Straßentyp und Tageszeit bepreisen, die anfallenden Prämienbestandteile dem richtigen Kunden zuordnen und beispielsweise bei Verkauf des Fahrzeuges
auf Knopfdruck die Versicherungsprämie ausweisen.


5. Wo kann die Inform
atik die Eintrittsbarriere gegenüber Wettbewerbern erhöhen?
Geschäftsmodelle sind Wettbewerbsvorteile auf Zeit. Anders als Produkte sind sie nicht patentierbar und werden früher oder später von Wettbewerbern kopiert. Je zufriedener aber der Kunde mit den Unternehmensleistungen ist, desto weniger denkt er über einen Wechsel des Lieferanten nach.

Die Schweizer Creditreform liefert seit Jahren Bonitätsauskünfte für und über Kunden. Als in den achtziger Jahren ausländische Informationsdienste in den Schweizer Markt drängten, entschied sich CEO Willy Egeli, seinen Informationsbestand nicht an die größeren Konkurrenten zu verkaufen, sondern sein Unternehmen mit massiven Investitionen in Prozesse und IT in eine Online-Kreditauskunft zu transformieren. „Mit dem Vorsprung durch unsere Online-Datenbank ist es für Wettbewerber uninteressant geworden, auf den Schweizer Markt zu drängen“, erklärt Egeli. Creditreform konnte sich trotz höherer Preise erfolgreich behaupten.


Viele Unternehmen erhöhen die Eintrittsbarriere für die Konkurrenz auch dadurch, dass sie dem Kunden Komplexität in seinen Prozessen abnehmen. Der Degussa-Geschäftsbereich Röhm stellt Spezialkunststoffe her, beispielsweise für die Lackindustrie. Zusammen mit BASF Coatings entwickelte Röhm ein erweitertes Vendor Managed Inventory, das neben der Bewirtschaftung eines Konsignationslagers, der aktuellen und exakten Übernahme der Tankfüllungen beim Kunden via Telemetrie, der Übernahme von Vorhersagewerten, der Weitergabe von Qualitätsinformationen zu Chargen auch die elektronische Abrechnung der Lieferungen umfasst. Der frühzeitige Zugriff auf planungsrelevante Daten und Prozessvereinfachungen kompensierten den Mehraufwand für die Lagerbewirtschaftung. Die Partner errechneten ein gemeinsames Einsparvolumen von 500 000 Euro jährlich, wovon bisher 100 000 Euro pro Jahr allein an Bestellkosten eingespart werden konnten. Röhm sieht seinen Hauptnutzen in der stärkeren Verbindung mit dem Kunden und dessen Prozessen.

6. Wo kann die Informatik Geschäftsprozesse verschlanken?
Innovative Geschäftsmodelle bündeln Aufgaben und Teilprozesse und konzentrieren sie an einer Stelle, sei es im eigenen Unternehmen oder bei Partnern.

Schiesser, bis vor wenigen Jahren ein integriertes Unternehmen für hochwertige Wäsche (vom Design über die Produktion bis zur Distribution), konzentriert sich zunehmend auf seine Kernkompetenz, die Herstellung hochwertiger Kleidungsstücke, unter anderem auch für Marken wie Polo Ralph Lauren, Puma, Levi’s oder Mexx. Schiesser ist mit nur einem Entwicklungsprozess in der Lage, Textilien im Design unterschiedlicher Marken zu entwickeln. Jeder weitere Entwicklungsprozess würde zusätzliche Komplexität ins Unternehmen bringen. „Erhöhte Komplexität wirkt sich aber in der Regel negativ auf die Deckungsbeiträge aus“, mahnt CEO Winfried Daltrop. Der bisherige Entwicklungsprozess dauerte von der ersten Farbidee bis zur Lieferung in den Handel rund 14 Monate. Inzwischen hat Schiesser die Designprozesse komplett umgestellt und dadurch die Entwicklungszeit auf etwa sechs Monate verkürzen können. Für neue Produkte können die Entwickler auf eine umfangreiche Bibliothek von Standardschnitten zurückgreifen und diese kreativ kombinieren und verändern.


Das größte Potenzial für mehr Effizienz liegt dort, wo bisher am wenigsten gemacht worden ist – in der Vernetzung ganzer Value Chains. Die Universität St. Gallen bietet dazu im November eine Veranstaltung an, die sich genau diesem Thema widmet (siehe Seite 35). Dabei wird es unter anderem darum gehen, wie Unternehmen auch über ihre Grenzen hinweg die Lieferketten elektronisch abbilden und vereinfachen. Als Paradebeispiel gilt diesbezüglich die Automobilbranche, wobei folgendes Problem gerne unterschlagen wird: Kooperiert ein Unternehmen elektronisch mit einem anderen Unternehmen, ist es noch lange nicht netzwerkfähig.

Peter Kraus, Prokurist und CIO der ZF Friedrichshafen AG, berichtet als einer der größten Automobilzulieferer der Welt aus eigener Erfahrung: Für jeden Hersteller sei es von zentraler Bedeutung, dass die Zulieferer seine eigenen unternehmensspezifischen Prozesse in Entwicklung, Logistik und Wartung einhalten. Für einen Lieferanten wie ZF Friedrichshafen, der mehrere Hersteller bedient und eng mit diesen zusammenarbeitet, führe dies jedoch system- und prozessseitig zu jeweils individuellen Implementierungen. Kraus gibt zu bedenken, dass mit zunehmender Tiefe der Kooperationen die Komplexität immer größer werde. Im gleichen Atemzug sagt er aber auch: „M:N-fähige Prozesse und Systeme können in Zukunft dazu beitragen, die Netzwerkfähigkeit zu erhöhen, gleichzeitig den Komplexitätsgrad zu verringern und die Wertschöpfung innerhalb der Lieferkette zu vergrößern.”

Peter Kraus, CIO, ZF Friedrichshafen: „M:N-fähige Prozesse und Systeme können in Zukunft dazu beitragen, die Netzwerkfähigkeit zu erhöhen.“
Foto: ZF Friedrichshafen AG

7. Wie können wir unsere Informatik billiger machen als die Konkurrenz – und gleichzeitig innovativ bleiben?
Die Informatik hat in den letzten Jahren dort gespart, wo Kosten am einfachsten zu senken waren, also zum Beispiel bei Projekten. Als Konsequenz sind heute etwa 75 bis 80 Prozent der Informatikbudgets Betriebskosten. Aber nur Innovationen schaffen Wettbewerbsvorteile.

Degussa-Vorstand Alfred Oberholz meint dazu: „Unser Ziel ist es, die Betriebskosten der Informatik zu senken und mehr Geld für Innovation ausgeben zu können.“ Als Chief Development Officer ist Oberholz neben Forschung & Entwicklung auch für die Informatik zuständig. Dort hat er begonnen, stark standardisierte Informatikleistungen extern zu beziehen. So stellt AT & T für den Konzern weltweit die Netzwerkinfrastruktur bereit, für die Standorte in Nordamerika zusätzlich auch die Telefoninfrastruktur. Als nächste Schritte plant das Unternehmen das Outsourcing des PC- und Laptop-Betriebes sowie der Rechenzentren.

Die Infineon Technologies AG hat unter ihrem alten CIO Karl Pomschar branchenübergreifend elf Top-Unternehmen für ein Benchmarking gewinnen können. Ziel war es nicht, die beste Informatikorganisation der Teilnehmer zu küren, sondern für einzelne Leistungspakete jeweils den besten Ansatz zu finden. „Unsere größte Hürde waren die unterschiedlichen Definitionen von IT-Leistungen. Für einige Unternehmen gehörte zum Desktop nur der PC, für andere auch die Software und Wartung, wieder andere rechneten auch die Netzwerkinfrastruktur hinzu“, sagt Pomschar, der seit Mai CIO des Infineon-Ablegers Qimonda ist. Aus der Summe der so ermittelten „Best-of“-Leistungspakete leiteten Pomschar und sein Team die Verbesserungs-Chancen für Infineon ab. Allein die Umsetzung der schnell zum Erfolg führenden Maßnahmen ergab Einsparungen von 50 Millionen Euro binnen eines Jahres.


Fazit: Der CIO muss zurück ins Geschäft
„Unsere Informatikabteilung konzentrierte sich über mehrere Wochen auf die Neuordnung der vergebenen IP-Adressen. Welchen Nutzen – von ein wenig Übersichtlichkeit abgesehen – dies für das Geschäft letztendlich bringen sollte, konnte mir aber keiner sagen.“ Diese Aussage eines Interviewpartners ist ein besonders drastisches Beispiel zum Selbstzweck-Image der Informatik. Wenn eine Geschäftsleitung sagt, „Unsere Informatik versteht zu wenig vom Geschäft“, meint sie damit häufig, die Informatik weiß nicht, womit verkauft wird. Ein wirklich Business-orientierter CIO versteht, was die Kunden seiner Kunden wollen, und nicht nur, was seine unternehmensinternen Kunden vordergründig beschäftigt, also beispielsweise die Verrechnung von Informatikleistungen.

Der erfolgreiche CIO ist erster Berater des Geschäfts bei der Geschäftsmodellinnovation. Er zeigt die Potenziale der IT auf, er liefert Lösungen, die die erworbenen Wettbewerbsvorteile sichern, und er betreibt die bestehenden Geschäftslösungen so effizient, dass genug Raum für Innovation bleibt.