Snowden

Die USA haben kein Interesse an der Aufarbeitung der NSA-Affäre

09.10.2015
Seine Verbitterung ist noch immer groß. Der US-Whistleblower Edward Snowden vermisst in den USA weiterhin eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NSA-Affäre. Deutschland könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, ist er überzeugt.

Die USA zeigen nach Einschätzung des früheren Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden weiterhin kein Interesse an einer gründlichen, auch gerichtlichen Aufarbeitung der NSA-Affäre. "Vielen in den USA ist es anscheinend egal, ob es gut oder schlecht war, was (der US-Geheimdienst) NSA da gemacht hat", sagte Snowden am Donnerstag vor rund 600 IT-Sicherheitsexperten in einem live aus Moskau übertragenen Vortrag in Nürnberg.

Zugleich rief der Whistleblower die versammelten Fachleute dazu auf, sich von dem Vorgehen der USA in der NSA-Affäre nicht einschüchtern zu lassen. Im Kampf um mehr Datensicherheit sei jeder einzelne Fachmann gefordert. Zugleich begrüßte der NSA-Enthüller das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Stopp der Übermittlung von Daten europäischer Nutzer in die USA.

Was seinen Fall angehe, halte er es für völlig falsch, "Menschen, die dem öffentlichen Interesse dienen, für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis zu bringen". "Ich denke, das sendet ein falsches Signal an Einzelne, die Öffentlichkeit und Politiker, die Zeuge von öffentlichen Missständen werden", sagte er. Er selbst wolle auf keinen Fall als Abschreckung für Menschen dienen, die versuchen, das Richtige zu tun, machte Snowden deutlich.

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Um die USA in Sachen NSA-Affäre wieder auf den "rechten Weg zu führen", sieht Snowden auch Deutschland als einen ihrer wichtigsten US-Verbündeten gefordert. Berlin sollte der US-Regierung behutsam deutlich machen, dass sie sich in der Affäre vielleicht ein bisschen verrannt hat, und Wege aufzeigen, wie die USA ohne allzu großen Gesichtsverlust eingesteht: "Vielleicht sind wir da wirklich etwas zu weit gegangen".

Snowden hatte 2013 streng geheime US-Dokumente öffentlich gemacht, die die Abhörskandale um die NSA ins Rollen brachten. Dafür droht dem US-Bürger in seiner Heimat eine lebenslange Haftstrafe; er wird wegen Geheimnisverrats per Haftbefehl gesucht. Seit 2013 lebt er im russischen Asyl. Snowden hatte zugleich mit seinen seit 2013 andauernden Enthüllungen zur Internet-Überwachung die Basis für die jüngste Entscheidung des EuGH gelegt. (dpa/tc)

Die Lehren aus der NSA-Affäre
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."