Virtuelle Rollenspiele schulen Führungsqualitäten

Die Zocker von heute, die CEOs von morgen

02.07.2007 von Werner Kurzlechner
Wer ständig am Computer zockt, läuft womöglich Amok. Sagen so manche Politiker und Wissenschaftler. Oder er schult seine Fähigkeiten als Führungskraft von morgen. Sagt eine Studie von IBM und Lösungs-Anbieter Seriosity. Rollenspiele trainierten just die Eigenschaften, auf die es in der Wirtschaftswelt ankomme, so die These.

Mehr als kühne, aber nicht unplausible Thesen sind die wichtigsten Aussagen der Studie nicht. Einwände gegen ihren wissenschaftlichen Wert sind nicht nur berechtigt, sondern sogar angebracht.

Die Daten-Basis ist eher dünn (Spiel-Analyse über etwa 50 Stunden, 16 Tiefen-Interviews, 171 ausgefüllte Fragebögen von Online-Spielern). Seriosity hat sich darauf spezialisiert, Spiel-Prinzipien im Business zu vermarkten. Und die Stanford-Professoren, die die Forschungen durchführten, stehen zum Teil auf der Gehaltsliste von Seriosity.

Nichtsdestotrotz zeigen die Forscher spannende Analogien zwischen den Anforderungen in virtuellen Spielwelten und in globalen Unternehmen auf. Byron Reeves, Leiter der Studie und Kommunikations-Professor an der Stanford University, fasst die Quintessenz einprägsam zusammen: "Wenn Sie sehen möchten, wie Geschäftsführung in drei bis fünf Jahren aussehen könnte, schauen Sie hin, was in Online-Spielen passiert.“

Damit sind freilich keine stupiden Baller-Programme gemeint, sondern ganz spezifisch so genannte "massively multiplayer online role-playing games“, kurz MMORPGs. Also Online-Rollenspiele, an denen sich sehr viele Spieler beteiligen und in der virtuellen Welt zu Teams verbrüdern, um gemeinsam ihre Ziele zu erreichen. Die Zocker schlüpfen in Avatar-Identitäten, wie zum Beispiel auch in Second Life.

Schnelle Fakten über den Markt der Online-Rollenspiele.

Die MMORPGs spiegeln den Business-Kontext ungewöhnlich klar wider, findet Reeves: "Sie zeichnen eine mögliche Zukunft des Geschäftslebens vor - eine, die offen, virtuell und wissensgesteuert ist und aus einer flüchtigen Belegschaft von Volunteers besteht.“

Vergangene Erfolge garantieren kein ewiges Vertrauen

Nachwuchs-Manager Tom Cadwell beschreibt, wie es in den Spielwelten zugeht: "Man braucht stets ein Gespür für die Überlegungen der anderen, und man muss seine Entscheidungen stets aufs neue verkaufen.“ Vergangene Erfolge garantieren kein immerwährendes Wohlwollen - und das werde in der realen Wirtschaft auch immer stärker der Fall sein.

An diesem Punkt dockt die virtuelle Realität an die Business-Realität an, so wie das Management-Modell der MIT Sloan School of Management sie beschreibt. Dieses betrachtet die Karriere-Vorstellung vom stetigen Aufstieg in der Unternehmenshierarchie als überholt. Irgendwann werde so jeder in einen Posten befördert, für den er nicht kompetent sei - das Peter-Prinzip. Und überhaupt: Warum sollte jemand, der sich unter bestimmten Umständen als guter Chef erwiesen hat, das unter anderen Voraussetzungen genauso sein?

In Rollenspielen übernehmen die Einzelnen Führungspositionen auf Zeit - seien es zehn Minuten, seien es einige Monate. Und diese Form des zeitlich beschränkten Führens passt laut Studie ideal zu einer Ökonomie, die Aufgaben immer mehr in Projekten organisiere.

Zocker am Rechner nehmen außerdem beträchtliche Risiken auf sich - es geht ja nicht um echtes Geld oder um die Existenz von Menschen. Ein bisschen mehr Risiko-Neigung indes täte auch den Entscheidern in Firmen gut, meinen die Autoren der Studie. Denn zu ausgeprägte Risiko-Scheu verhindere allzu oft Innovationen.

Die Business-Welt der Zukunft skizziert die Studie als ein Netz kleiner Projekte, in denen Fehler keine dramatischen Folgen haben und Mitarbeiter sich auch mal in der Chef-Rolle ausprobieren dürfen. Denn die Fähigkeit zu führen, so die Annahme, lässt sich entwickeln. Und welches Potenzial in der eigenen Persönlichkeit steckt, erfahre so mancher zuerst beim Computerspielen.

Virtuoser Gebrauch von Instant Messaging und VoIP

Dafür, dass einige Zocker von heute irgendwann in der erlesenen Liste der "Fortune 500“ auftauchen könnten, spricht laut Studie noch vieles mehr: In den virtuellen Welten lernen die Spieler verschiedene Anreiz-Systeme kennen, üben sich nebenbei im virtuosen Gebrauch von Instant Messaging, Online Chats, Foren und Voice over IP (VoIP) und finden heraus, welches Kommunikations-Mittel sich für welchen Anlass eignet. Und sie bewältigen die Herausforderung, bei unvollständiger Informations-Lage Entscheidungen in Echtzeit zu fällen.

IBM und Seriosity stellen ihren Report "Virtual Worlds, Real Leaders: Online games put the future of business leaders on display“ kostenlos zum Herunterladen bereit.