Audi

Digitale Modelle beschleunigen Prozesse

31.05.2006 von Dorothea Friedrich
Seit Ende der 1990er-Jahre setzt Autobauer Audi auf Digital Mock-Up bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge und auf virtuelle Fabriken. Der digitale Prototyp ist für CIO Klaus Straub ein wesentliches Element der Innovationsstrategie.

Entsprechend der Audi-2015-Strategie will der Ingolstädter Autobauer seinen Fahrzeugverkauf von rund 830000 im vergangenen Jahr auf eine Million im Jahr 2008 steigern. „Das bedingt einen ständigen Innovationsprozess bei Standorten, Modellen und Derivaten“, erläutert Audi-CIO Klaus Straub. „Denn Umsatzsteigerung heißt, dass wir schneller, billiger und qualitativ besser werden müssen. Das geht nur durch Effizienz und Steigerung der Effektivität im Prozess.“ Auf die Audi-IT hat das konkrete Auswirkungen: IT im Prozess bedeutet für Straub, die technologischen Möglichkeiten, die etwa Service-orientierte Architekturen (SOA), Funketiketten (RFID) oder auch IT-Security eröffnen, sehr schnell in stabile Applikationen und Prozesse umzusetzen.

IT im Prozess heißt für Straub aber auch Umdenken: „IT-Organisationen müssen sich wandeln. Sie waren jahrelang auf die Kostenecke fixiert; jetzt muss der Fokus wieder auf Qualität, Zeit und Umsatz liegen“, ist er überzeugt. Diese Ziele erreicht der Autobauer, indem er seit Ende der 1990er-Jahre auf die virtuelle Absicherung seiner neuen Modelle setzt. Sie ist ein wesentlicher Faktor der Innovationsstrategie des Unternehmens – und bedeutet möglicherweise sogar das Aus für die Erlkönige, die getarnten neuen Modelle.

Für den Erlkönig hatten die Entwickler in der Vergangenheit physische Modelle in unterschiedlichen Varianten gesetzt. Damit kontrollierten sie beispielsweise die Geometrie, die Baubarkeit, aber auch die verschiedenen Funktionen eines Fahrzeugs. Inzwischen übernehmen Computersimulationen diese Aufgabe. Für Audi ist diese virtuelle Absicherung eine Innovation an sich, weil moderne IT zur virtuellen Abbildung von physischen Modellen am Computer eingesetzt wird. Sie ist aber gleichzeitig eine Konsequenz innovativen Handelns. Denn sie dient der Qualitätssicherung in der Entwicklung innovativer Fahrzeugprodukte.

Jeden fünften Euro gespart

Audi erhofft sich damit, ein Derivat bis zu zehn Prozent schneller zu entwickeln und 20 Prozent an Kosten zu sparen. Das ist gerade in Hinsicht auf die Langfrist-Pläne für 2015 sehr wichtig. Doch noch haben die Digital- Mock-Up (DMU)-Modelle die physischen nicht ganz ersetzt. Sie spielen jedoch eine wichtige Rolle bei deren Konstruktion. Ziel ist es, die Zahl physischer Modelle zu reduzieren.

Für die Audi-Entwickler war die Umstellung auf das DMU-Modell mit Umdenken und Lernen verbunden. Denn DMU hat, im Gegensatz zum physischen Modell, eine reduzierte Geometrie. CIO Straub sieht diese Entwicklung als evolutionären Prozess: „Man braucht Verständnis für Vertrauen in das digitale Modell.“ Die IT stelle dafür die Systeme bereit und ermögliche dem Modellbauer die Umsetzung. Dafür spielt Audi in der DMU-Software dreidimensionale Konstruktionsdaten aus den Quellsystemen zusammen und positioniert sie lagerichtig – so, wie die Einzelteile später im Fahrzeug angebracht sind. Typisches Beispiel für die Arbeit auf DMU-Basis sind Freigängigkeitsuntersuchungen. Hier testen Konstrukteure, ob Reifen und Felgen der Karosserie zu nahe kommen oder Fahrwerkskomponenten wie Bremse und Spurstange streifen.

Anders sieht es bei komplexeren Vorgängen aus, wie Strömungssimulationen. Hier verlieren Nicht-Spezialisten in einer zweidimensionalen Abbildung schnell den Überblick. Die Konstrukteure arbeiten deshalb mit dreidimensionalen DMU-Modellen. Ein Beispiel dafür sind Ergonomie-Untersuchungen im Fahrzeuginneren. Im DMU-Modell ist zu sehen, ob der Fahrer im realen Fahrzeug alle Bedienelemente erreichen kann, ob er alle Instrumente sehen kann oder wie Außen- und Spiegelsicht sind. Entwickler und Konstrukteure können bei dieser Betrachtungsweise frei und in Echtzeit Blickposition und Blickrichtung bestimmen oder auch Änderungen an der Fahrzeuggeometrie vornehmen.

Weil digitale Prototypen eines Fahrzeugs wesentlich früher zur Verfügung stehen als ihre physischen Vorgänger, kann auch die Produktionsplanung früher in den Prozess einsteigen als bislang. Zudem arbeiten die Entwickler und Planer standortunabhängig am beliebig zu vervielfältigenden digitalen Modell.

Digitale Modelle als Herausforderung

So wundert es nicht, dass Straub in der Entwicklung digitaler Prototypen derzeit „die größte Herausforderung auf allen Ebenen“ sieht. Die digitalen Prototypen sollen künftig nämlich nicht nur in der Fahrzeugentwicklung, sondern auch im Kundendienst eingesetzt werden. Das heißt, dass Bordliteratur, Reparaturtafeln und Bildtafeln für Ersatzteile künftig nicht erst erstellt werden, wenn neue Fahrzeugmodelle auf den Markt kommen, sondern schon vorher. Auch Kataloge für Betriebseinrichtungen und Spezialwerkzeuge sollen anhand digitaler Prototypen angefertigt werden. Eine weitere Konsequenz besteht für die Audi-IT in der Systemintegration der neuen Technik in die Prozesskette des Kundendienstes.

Prozess- und Auto-IT verschmelzen

Eine anderes wichtiges Thema ist für Straub „IT im Fahrzeug“. Die spiele bei der Entwicklung neuer Produkte eine immer bedeutendere Rolle, sagt er und fügt hinzu: „Auch die Konvergenz von IT im Prozess und IT im Fahrzeug wird größer.“ Die Integration von elektrischen und elektronischen Fahrzeugkomponenten sowie die Steuerung und Verwaltung von Fahrzeugsoftware sind deshalb Schwerpunkte beim Produkt-Daten-Management und Product-Lifecycle-Management von Audi. Damit soll eine integrierte Steuerung von mechanischen, elektrischen und elektronischen Fahrzeugkomponenten einschließlich der Fahrzeugsoftware über den gesamten Lebenszyklus erfolgen. Auch hierfür lieferte Digital Mock-Up die Basis.

Die digitalen Modelle haben wesentlichen Anteil an einer weiteren Innovation bei Audi: der digitalen Fabrik. Bereits vor dem Aufbau eines Produktionssystems oder eines Fabrikmoduls will die digitale Fabrik ein realistisches Abbild der künftigen Fabrik schaffen. Dazu gehören die Architektur, die Produktionssysteme und die Prozesse.Neben der geometrischen Darstellung können in der digitalen Fabrik logische und funktionelle Abhängigkeiten getestet werden. Der entscheidende Vorteil der digitalen Produktionshalle: Die wirkliche Fabrik wird erst gebaut, wenn Kennzahlen wie der Fertigungsdurchfluss und Fertigungszeiten vorher simuliert und optimal eingestellt worden sind.

Audi setzt auf die digitale Fabrik

Audi hat bereits in seinem Projekt „Digitale Fabrik“ Teilprojekte in den Gewerken Presswerk, Karosseriebau, Lack, Montage, im Werkzeugbau, in der Fabrikplanung und in der Logistik gestartet. „Ohne Softwareabsicherung keine Hardware“, lautet seine Maxime. Das heißt: Erst wenn eine Produktionsstätte am Rechner alle Simulations-, Planungs- und Integrationsschritte erfolgreich durchlaufen hat, erfolgt die Freigabe.

Damit ist Straub einen weiteren Schritt in Richtung seines Ziels gegangen, die Innovation entlang der gesamten Prozesskette von der Simulation über den Bau bis hin zum Kunden voranzutreiben.^

Dafür sind bei Audi die digitale Fabrik und DMU eng verzahnt. Die DMU-Fahrzeugdaten liefern bereits in der Konzeptphase für ein neues Modell die Grunddaten für die digitale Fabrik. Die Gründe dafür liegen in ständig mehr werdenden Modellvarianten, aber auch in den immer komplexer werdenden Entwicklungsumfängen und gleichzeitig kürzeren Entwicklungszeiten. Ein neues Modell soll möglichst schnell und gleich zu Beginn mit hohen Stückzahlen unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen am Markt eingeführt werden.

Für den Audi-CIO ist klar, dass diese und andere Innovationen nicht Sache eines Gremiums sein können, das neben bereits institutionalisierten Zirkeln herarbeitet. Das würde auch der Unternehmensphilosophie von Audi nicht gerecht, sagt er. „Parallele Gremien widersprechen den Herausforderungen von Kosten, Zeit, Qualität und Umsatz. Deshalb müssen Innovationsverantwortliche auch operativ Verantwortliche sein.“ Nach seinen Vorstellungen müssten die bereits vorhandenen Gremien wie beispielsweise das IT-Forum im Produktionsbereich noch stärker in den Innovationsprozess eingebunden werden. „Es dürfen keine Parallelwelten entstehen“, fordert er. „Innovationsdenken muss selbstverständlicher Bestandteil der täglichen Arbeit werden.“

Freiräume für Innovationen nötig

Ein solcher Ansatz habe auch auf die Arbeit des CIOs, nicht nur bei Audi Auswirkungen, ist Straub überzeugt. Er müsse im Alltagsgeschäft andere Prioritäten setzen: „Ein CIO darf nicht mehr zu 100 Prozent mit operativen Tätigkeiten ausgelastet sein, sondern muss sich Freiräume schaffen“, sagt er. Die Grundvoraussetzung dafür sieht er erfüllt, wenn PCs, Applikationen und Rechenzentren stabil laufen.

Dann verbringe der CIO nicht mehr den Tag damit, sich mit IT-Service-Themen auseinander zu setzen. Und wie hat sich der Audi-CIO diese Freiräume geschaffen? „Durch die Einführung von ITIL-Prozessen, standardisierten IT-Architekturen und einem professionellen IT-Projektmanagement.“ So würden die „Feuerwehraktionen“ signifikant reduziert. Dass selbst beim optimalen Zusammenspiel von IT und Fachbereichen nicht alle Innovationen erfolgreich sein können, weiß auch Straub.

Der Mitherausgeber des Buchs „Innovationen durch IT“, Lothar Dietrich, schätzt, dass von 1200 innovativen Ansätzen rund 500 über ein erstes Stadium nicht hinauskommen. Von den verbliebenen 700 werden nach Durchlaufen der verschiedenen Denk- und Testphasen nur zehn zu marktreifen Produkten.

Straub steht zu den daraus resultierenden Konsequenzen: „Innovation bedeutet, Emotionen zu haben. Ein Umsetzungsrisiko ist immer dabei.Wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich auch ein Scheitern akzeptieren. Aber ich muss im Nachhinein einen Lesson-Learned-Prozess aufsetzen. So kann man herausfinden, welche die Gründe des Scheiterns waren: die Generierung oder die Umsetzung, die nicht konsequent genug war.“ Für ihn sind deshalb gerade in der IT eine offene Diskussionskultur und der Verzicht auf Sanktionsmechanismen entscheidend: „Der positive Umgang mit Fehlern ist wichtig, sofern er nur einmal passiert.

Das ist keine einfache Aufgabe. Denn der CIO muss die Frage beantworten, ob das Scheitern in der Technologie oder in der Gruppe begründet ist. Ein Gefühl dafür zu bekommen, wo die wirklichen Ursachen liegen, ist schwer. Daran muss man arbeiten.“