Zwischen großem und kleinem Ansatz

EAM taugt auch für Mittelständler

08.07.2009 von Dirk  Bätjer
KMU fürchten beim Enterprise Architecture Management zu hohe Kosten. Dabei gibt es Möglichkeiten eines "kleinen" Architekturmanagements, das selbsttätig und mit einfachen Mitteln eingeführt werden kann. Office-Anwendungen reichen schon für einen Start aus, meint Berater Dirk Bätjer von Steria Mummert.
Dirk Bätjer ist Senior Consultant bei der Steria Mummert Consulting AG.

Die IT-Infrastrukturen in deutschen Unternehmen werden immer unübersichtlicher. Fusionen, neue Technologien oder der Aufbau alternativer Vertriebswege lassen den Komplexitätsgrad der Systeme stetig anwachsen. Insbesondere Konzerne setzen daher auf Enterprise Architecture Management (EAM), um den Überblick über ihre IT-Systeme zu behalten und diese an ihren betriebswirtschaftlichen Zielen auszurichten.

Marktforscher schätzen, dass etwa 90 Prozent der weltweit größten Unternehmen bereits EAM einsetzen. Mittelständische Firmen sind dagegen deutlich zurückhaltender. Obwohl sie vor denselben Problemen stehen, fürchten sie zu hohe Investitions- und Betreuungskosten. Dabei gibt es Möglichkeiten eines "kleinen" Architekturmanagements, das selbsttätig und mit einfachen Mitteln eingeführt werden kann.

Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen hat sich vor allem der mikroskopische Ansatz bewährt. Hierbei wird zunächst in einem abgegrenzten Funktionsbereich des Unternehmens ein funktionierendes EAM aufgebaut. Das kann auf der Basis einfachster Mittel erfolgen. Bereits gängige Office-Anwendungen reichen aus, um erste Bebauungspläne und Architekturübersichten in einem Fachbereich darzustellen. So können beispielsweise auf Basis einer Tabellenkalkulation die benötigten Daten, wie etwa die Nutzung einzelner Anwendungen pro Geschäftsprozess, gesammelt und um die entsprechenden Zusammenhänge ergänzt werden. Nach einer entsprechenden Schulung sind die verantwortlichen Mitarbeiter sogar in der Lage, die Pflege und Erfassung der Daten ohne Hilfe eines IT-Architekturexperten vorzunehmen.

Die Aussagekraft dieses mikroskopischen EAMs ist zunächst jedoch nur auf den erfassten Bereich bis hin zu seinen Schnittstellen beschränkt. Unternehmensweite Veränderungen lassen sich so nicht über die Grenzen des Einsatzbereiches hinweg beurteilen. Denn erst in späteren Schritten wird das EAM auf das gesamte Unternehmen übertragen, indem offen gebliebene Schnittstellen und Grenzen zu den anderen Fachbereichen in gleicher Weise erfasst und analysiert werden.

Alternatives Vorgehen

Dieses Vorgehen bildet eine wichtige Alternative zu standardisierten Marktlösungen (makroskopische Ansätze), bei denen zunächst die Rahmenparameter abgesteckt werden. Um ein effektives IT-Architekturmanagement aufzubauen werden hier erst einmal die Grundlagen geschaffen. Auf Basis gewünschter Fähigkeiten und Funktionen wird schließlich ein EAM-Softwarepaket ausgewählt, das die unternehmensspezifischen Anforderungen visualisieren kann. Erst danach erfolgt die Erfassung von Basisdaten, wie etwa Businessdomänen, Kernanwendungen oder Geschäftsprozessen.

Der Vergleich mit der Renovierung eines Hauses verdeutlicht den Unterschied zwischen beiden Methoden: Während im klassischen EAM-Ansatz ein Architekt alles plant und die gesamte Organisation des Bauprojektes vorweg genommen wird, werden beim mikroskopischen Ansatz erst einmal innerhalb des Hauses – von Raum zu Raum – alle Details und technischen Daten nachgesehen, bevor es an das umfassende Planungskonzept geht. Mittel- bis langfristig münden dabei sowohl der makro- also auch der mikroskopische Ansatz in einem identischen Ziel: Das Unternehmen erhält einen Überblick über die bestehende IT-Landschaft sowie den Verknüpfungen von Daten, Prozessen und Anwendungen. Zudem kann auf dieser Basis beurteilt und geplant werden, wie sich Veränderungen im System auswirken. Nur der Weg dahin unterscheidet sich.

Fallstricke umschiffen

Der größte Nachteil des klassischen Vorgehens ist, dass es sehr kosten- und zeitintensiv ist. So vergeht bis sich die Vorteile des EAM zeigen viel Zeit. Denn bis zur vollständigen Integration und Verknüpfung der Detaildaten sind beim makroskopischen Vorgehen kaum verlässliche Aussagen möglich. Zudem verursacht dieser Ansatz häufig hohe Lizenz- und Beratungskosten. Zwei Gründe, aus denen viele Führungskräfte an einer kurzfristigen Rendite zweifeln und daher EAM-Projekte kritisch sehen. Denn insbesondere in Krisenzeiten wird jede Investition mehrfach überdacht und muss daher gut begründet sein.

Anders beim mikroskopischen Ansatz: Hier stehen relativ schnell auswertbare Daten zur Verfügung. Dadurch entstehen entscheidende Vorteile. In seinem abgegrenzten Unternehmensbereich kann das eingeführte Architecture Management seine Leistungsfähigkeit beweisen und die Frage nach dem Nutzwert unmittelbar beantworten.

Zwar ist auch im mikroskopischen Vorgehen ab einem gewissen Zeitpunkt ebenfalls der Einsatz einer EAM-Software unumgänglich. Denn mit der wachsenden Datenmenge entstehen Probleme, die Zusammenhänge innerhalb des IT-Systems und in Abhängigkeit zu den Geschäftsprozessen übergreifend und ohne wesentlichen Aufwand zu visualisieren. Allerdings wird die Software-Lösung mit den damit verbundenen Lizenzgebühren erst dann zur Pflicht, wenn sich die Einführung des EAM bereits in einzelnen Fachbereichen als wirtschaftlich und positiv durchgesetzt.

Vorteile nutzen

Darüber hinaus vermeidet das mikroskopische Vorgehen eine häufige Gefahrenquelle. Um schnellstmöglich die Praxistauglichkeit des EAM auf die Probe zu stellen, werden beim klassischen Vorgehen oftmals bereits auf Basis geringerer Datenmengen Aussagen getroffen. Mit einem hohen Risiko. Denn ist die Datenbasis zu dünn, kann beispielsweise die Planung des Austausches einer zentralen IT-Anwendung zu weit unterschätzten Migrationskosten führen.

Beispielsweise erfolgte bei der Untersuchung des Kreditbereiches eines regionalen Finanzinstitutes anfänglich die Aussage, 30 Anwendungen seien hier im Einsatz. Eine spätere Nachuntersuchung kam jedoch zu einem deutlich anderen Ergebnis: Die Anzahl der tatsächlich verwendeten Anwendungen überstieg den ursprünglichen Wert um das Dreifache.

In diesem Fall besteht also bei einer strategischen Entscheidung im Kreditbereich die Gefahr, dass die potenziellen Auswirkungen auf zwei Drittel aller Anwendungen nicht berücksichtigt werden. Diese Dunkelziffer wirkt sich somit stark auf den Aufwand, versteckte Kosten und Budgeterhöhungen im Rahmen einer Migration aus.

Klein anfangen

Das mikroskopische Vorgehen bietet dabei einem Unternehmen gerade auch in wirtschaftlich schwereren Zeiten einen guten Ansatz um kurzfristig Potentiale aufzuzeigen ohne die entsprechenden schwer vermittelbaren Anfangsinvestitionen eines umfassenden EAM zu tätigen. Allerdings kann der Ansatz nur dann von einem kontinuierlichen Erfolg gekrönt sein, wenn nach der Einführungsphase konsequent die "Keimzelle" auf weitere Bereiche erweitert und ausgebaut wird, sowie die notwendigen Managementprozesse fest in die IT-Governance des Unternehmens aufgenommen werden.

Dirk Bätjer ist Senior Consultant bei der Steria Mummert Consulting AG