Handelsware CIO

Entlassen ohne Versagen

06.06.2006 von Andreas Schmitz
Der Rausschmiss ist kurz und respektlos. Gute Arbeit vergessen. Neuer Chef, neues Klima und – neuer CIO. Da wird nicht lange diskutiert.

Mehr als 15 Jahre war Günter T.* CIO eines Versicherungsunternehmens. Eines Tages steht sein neuer Chef in der Tür: „In zwei Wochen kommt Ihr Nachfolger“, sagte der, „arbeiten Sie ihn bitte ein, bevor Sie gehen.“ Klare Botschaft, ohne Vorankündigung. Kühl, geschäftsmäßig, abgebrüht. Der „Altgediente“ passte angeblich allein durch seine langjährige Zugehörigkeit im Unternehmen und sein Alter (Mitte 50) nicht zum „neuen Wind“ und ließ sich in einen Beratervertrag wegkomplimentieren.

Für Katja Hollaender-Herr ist der Wechsel des Vorgesetzten im Unternehmen das Paradebeispiel für eine der Hauptursachen für Sesselwechsel im IT-Ressort. „Die Rahmenbedingungen ändern sich strategisch, fachlich oder auch persönlich, und der CIO findet sich dort nicht wieder“, kommentiert die Headhunterin vom Personalberater Heidrick & Struggles.

Dass der CIO in diesem Fall gar nicht gefragt wurde, ob er den Kulturwechsel mitgehen möchte und wie der genau aussieht, darüber erfährt man nachher in der Personalmeldung nichts.

Mehr Suchende auf dem CIO-Markt

Gabriel Andrade, Spezialist für IT-Führungskräfte beim Personalberater Zehnder, fällt zudem seit etwa zwei Jahren eine deutlich erhöhte Zahl der Suchenden auf dem CIO-Markt auf. Auch seiner Ansicht nach liegt der Wechselwille unmittelbar mit der Unvereinbarkeit der Ziele von CIO und Unternehmen zusammen. „Will ein CIO mit Weitblick das Unternehmen prägen, trifft aber auf ein Unternehmen, in dem er seine unternehmerische Sicht gar nicht anbringen kann, geht er wieder“, bringt es Andrade auf den Punkt. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass „der CEO die Business-Denke einfordert, aber der CIO den Anforderungen nicht gewachsen ist“. Geschäftsorientiert und für Geschäftsprozesse zuständige CIOs sind nach seiner Einschätzung „ganz sicher in der Minderheit“. In die Zeit passt seines Erachtens ein CIO, der es schafft, seine Verantwortung über das ITRessort hinaus auch in Geschäftsbereichen „unterzubringen“, in denen ein hoher IT-Bezug da ist.Als Beispiele führt er das Transaktionsgeschäft an, das bei einer Frankfurter Großbank zum CIO-Ressort gehört, oder den CIO einer Münchener Bank, der auch für Beteiligungen verantwortlich ist.

Der Schluss liegt nahe, dass Unternehmen und CIOs es zehn Jahre nach Beginn der Diskussion um Business- Denke im IT-Ressort und unternehmerische Verantwortung immer noch nicht geschafft haben, ein Berufsbild und eine eindeutige Job-Beschreibung zu schaffen: So passierte es dem Geschäftsführer eines Beratungshauses, dass er Konzern-CIO eines MDAX-Unternehmens wurde, jedoch erst vor Ort feststellte, dass er in der Holding als „zahnloser Tiger“ unterwegs war, der sich darauf beschränken musste, den vier Tochterunternehmen globale Vorgaben vorzuschlagen. Die Töchter jedoch hatten die Oberhoheit über ihr IT-Personal und das Budget.

Versprechungen nicht eingehalten

Häufig liegen Wunschdenken der Geschäftsleitung und Realität am Ende weit auseinander. Es passiert nicht selten, dass die Versprechungen, die die Geschäftsführung einem CIO in Hinsicht auf Budgetverantwortung und Governance-Strukturen vor Beginn seiner Tätigkeit gemacht hatte, nicht eingehalten wurden. Derartigen Missverständnissen möchte Heidrick& Struggles-Principal Hollaender-Herr vorbeugen, indem sie einige Charakteristika des Unternehmens detailliert über eine Balanced Scorecard erfasst: „Wie wird die IT gesehen,wie das Alignment,wie die Strategie?“ sind einige der Fragen, auf deren Basis sich Heidrick & Struggles ein Bild vom Stellenwert der IT im Unternehmen macht. Personalberater und IT-Spezialist Andrade und ein Branchenexperte gehen ins Unternehmen, um in persönlichen Interviews einen Eindruck vom erwarteten „IT- und funktionalen Know-how“ des gesuchten CIOs zu bekommen. Auf dieser Basis entsteht ein Briefing für den potenziellen Kandidaten.

Um die Gefahr weiter zu verringern, dass selbst ein guter Kandidat im Unternehmen scheitert, bieten die Personalberater jetzt für das „Placement im Top- Bereich“ ein „On-Board-Coaching“ an. Ein neutraler Coach fungiert sozusagen als „Geburtshelfer“ für den Einstieg des CIOs ins Unternehmen. Er begleitet ihn bereits vor dem Einstieg, über die ersten 30 Tage bis zu ein Jahr lang. Das Ziel ist unter anderem, die Eigen- und die Fremdwahrnehmung aufeinander abzustimmen.„Realistische Selbsteinschätzung ist immer noch eine rare Fähigkeit“, meint Hollaender-Herr. Noch sind solche Coachings die Ausnahme, trotz steigender Tendenz.

Manager sollten ihre Defizite kennen

Mit falscher Einschätzung hatte auch der anvisierte Wechsel von Hans H.* zu tun. Der Geschäftsführer eines Beratungshauses bekam das Angebot, die Geschäfte eines IT-Dienstleisters zu übernehmen, und einigt sich mündlich. Als er unterschreiben will, stellt sich heraus, dass der Job in der Form nun doch durch kurzfristige Umstrukturierungen nicht mehr existiert. Allerdings hat er seinen alten Job bereits gekündigt. Sesselwechsel haben die unterschiedlichsten Ursachen. Ein immer wichtiger werdender Faktor ist neben IT- und Business- Know-how die Fähigkeit zur Veränderung, die hervorstechendste der nötigen persönlichen Führungseigenschaften eines zeitgemäßen Managers.

„Irgendwelche Defizite sind immer da, ein Manager sollte sie nur kennen und aktiv daran arbeiten, die Lücken zu füllen“, sagt Hollaender-Herr, sei es durch den Einsatz geeigneter Mitarbeiter oder durch Coaching. Andrade sieht fehlende „Veränderungskompetenz“ gar zweimal unter den Top 3 der Ursachen für Sesselwechsel – einmal im Hinblick auf Strukturen im Unternehmen, einmal auf persönlicher Ebene. „CIOs sollten in der Lage sein, sich selbst neu zu erfinden“, so Andrade, „dazu gehört, sich zwischendurch immer wieder in Frage zu stellen.“ Der Ex-CIO des Versicherers, dem der Wille zur Veränderung gleich abgesprochen wurde, ist inzwischen übrigens an einer Universität beschäftigt – und gibt seine Erfahrungen über den rauen Alltag von CIOs nun Studenten wieder – damit die wissen, was später einmal auf sie zukommt.
Andreas.Schmitz@cio.de
*Namen sind der Redaktion bekannt