Wenn Mails in Zukunft von Googelmail kommen

Exklusiv-Interview mit Siemens-CIO: "Radikaler denken"

27.04.2009 von Alexander Freimark
Viele künstliche Anforderungen an die IT ergeben sich aus unterschiedlichen Auffassungen von Business und IT. Das extensive Customizing müssen sich Unternehmen abgewöhnen. Dabei helfen SaaS-Lösungen ungemein. Norbert Kleinjohann über die Siemens-Strategie bei on demand und Software-as-a-Service.
"Es ist eine gravierende Verhaltensrevolution, dass vielleicht Siemens in einigen Jahren seine E-Mails über einen Dienstleister beziehen könnte“, Norbert Kleinjohann, CIO von Siemens.

Die IT steht erneut vor fundamentalen Veränderungen - Stichworte Cloud Computing und Software as-a-Service (SaaS). Wie begegnen Sie dem anstehenden Wandel?

Der wesentliche Punkt ist, dass sich der Markt ständig entwickelt und es auch immer wieder neues Potenzial gibt. Es geht hier aber nicht darum, etwas schlechtzureden, was andere vorher geleistet haben, weil sich die technischen Möglichkeiten vor Jahren einfach nicht geboten haben. Man muss lediglich erkennen, dass sich die Gewichte auf der Waage stets neu verteilen, und das ist grundsätzlich eine Chance. Der amerikanische Autor Nicholas Carr predigt seit Jahren, die IT werde zur Commodity.

Welche Konsequenzen hat das für Ihre IT-Organisation?

Die Büro-IT ist zweifellos auf dem Weg zur Commodity. In vielen Bereichen ist sie dort schon angekommen, etwa bei der Nutzung von Web-Mailern wie Googlemail oder Hotmail im Privaten oder Office-Suiten aus dem Netz. Es gibt nur noch geringfügige Evolutionsstufen in den Produkten. Doch es ist eine gravierende Verhaltensevolution in Unternehmen, sich vor Augen zu führen, dass vielleicht Siemens in einigen Jahren seine E-Mails über einen Dienstleister beziehen könnte. Der Trend setzt sich derzeit in der IT-Infrastruktur fort, etwa beim Speicher-on-Demand. Zwar ist das alles momentan im Enterprise-Bereich hauptsächlich Fiktion, doch ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Branche in diese Richtung bewegen wird.

Ihre neue CRM-Software beziehen Sie konzernweit ‚as-a-Service‘. Worin liegt der Charme des Bereitstellungsmodells für Siemens?

In Handlungsfeldern ohne Differenzierungspotenzial im Wettbewerb setzen wir verstärkt auf standardisierte Lösungen. Es geht hier nicht mehr um die Frage, sich selber eine konzernweit einheitliche Vorgehensweise zu erarbeiten, weil das viel zu aufwendig und zu teuer ist. Ziel ist es, zwischen künstlichen und geschäftlichen Anforderungen an eine Lösung zu unterscheiden. Viele "künstliche" Anforderungen ergeben sich aus einer Divergenz des Gesamtverständnisses von Business und IT. Bei jeder Anforderung muss letztlich der Zusammenhang herstellbar sein, ob wir dadurch mehr verkaufen oder geringere Kosten haben. Das extensive Customizing der vergangenen Jahre muss man sich abgewöhnen. Hier gilt es, radikaler zu denken. Dabei helfen derartige SaaS-Lösungen ungemein.

Was bedeutet der Sprung auf On-Demand-Software für den Konzern?

Wenn ich den gesamten Aufwand des Application-Managements stärker reduziere, verbessert sich die Kostenseite, und ich helfe dem Unternehmen enorm. Die freien Mittel lassen sich sinnvoller in Themenfeldern allokieren, in denen ich noch etwas bewirken kann. Bei Büro-IT zum Beispiel sind die Effekte sicher gering, aber man muss den Status halten und Kosten durch intelligentere Ansätze begrenzen. Wenn einer meint, dass er da noch einen großen Hebel nutzen und durch Software Aufwände halbieren kann, ist das Unsinn. Das Potenzial ist nicht mehr vorhanden, weshalb die Bereiche ja auch Commodity geworden sind.

Die Bereitschaft zu derart gravierenden Veränderungen lässt sich nicht von oben verordnen. Wie war die Reaktion bei Siemens?

Die Widerstände sind natürlich groß. Das ist weniger im Thema selbst begründet, jedoch treffen Sie immer auf ein gewisses Beharrungsvermögen. Wir reden hier schließlich von starken Veränderungen, und das auch noch kontinuierlich über einen längeren Zeitraum. Die meisten Menschen lieben Veränderungen, solange sie nicht bei ihnen stattfinden. Deswegen haben wir uns nicht nur Freunde gemacht. Wer "Everybody’s Darling" sein möchte, sollte nicht CIO eines DAX-Unternehmens werden.

Ohne Rückendeckung aus dem Vorstand wird der Wandel kaum gelingen …

Die Unterstützung von oben ist absolut notwendig und voll und ganz gegeben. Wir haben eine günstige Konstellation bei Siemens, denn ich berichte direkt an Heinrich Hiesinger, den CEO des größten Siemens-Sektors "Industry". Das schafft eine natürliche Nähe zum Business, und er vertritt den gleichen Standpunkt wie ich. Derzeit beschreiten wir die nächste Evolutionsstufe in einem unserer Management-Programme, dem "CIO Executive Program". Dies hat sich in der ersten Phase ausschließlich an den IT-Nachwuchs gerichtet, aber es müssen künftig beide Seiten eingebunden sein. Das Programm wird umgebaut und steht damit Business-und IT-Managern offen.