Das vernetzte Auto

Fahrspaß allein war gestern

14.12.2011 von Hartmut Lüerßen
Die rasante Entwicklung ums vernetzte Auto zeigt, wie mit IT Geschäftsmodelle neu definiert werden können, sagt Hartmut Lüerßen, Partner von Lünendonk, in seiner Kolumne.

So viele Themen gleichzeitig haben die Automobilindustrie wohl noch nie bewegt: Stagnation in Europa. Die Absatzmärkte der Zukunft liegen in Asien. Emissionsreduzierung, Leichtbau und Infotainment prägen die Fahrzeugentwicklung und Kooperationen. Das Rennen um die Antriebstechnologien der Zukunft ist in vollem Gange.

Hartmut Lüerßen ist Partner bei Lünendonk in Kaufbeuren.
Foto: Lünendonk GmbH

Und es ist noch nicht entschieden. Nach Auffassung vieler Experten dürfte es jedoch auf verschiedene Mobilitätsprofile hinauslaufen, zum Beispiel Elektroautos für Städte (Stichwort Megacity Vehicles) oder Hybrid-Modelle für Menschen, die auch längere Distanzen fahren wollen.

Gleichzeitig verändert sich das Statusdenken der Generation Y, der jungen Berufstätigen, oft Akademiker, die aktuell zu gewinnende Zielgruppe mit wachsender Kaufkraft: Es zählt weniger das "dicke Auto" als vielmehr andere Lifestyle-Objekte, gerne auch Smartphones oder Tablet PCs der bevorzugten Hersteller. Diesem Trend folgend versucht auch die Automobilindustrie, die Mobilität neu zu erfinden und ihr traditionelles Geschäftsmodell zu erweitern.

Im Mittelpunkt steht das vernetzte Auto. Die IT der Automobilhersteller (OEMs) steht dabei im Spannungsfeld zwischen Kostenreduzierung für die internen Prozesse und echtem Mehrwert durch Business-Innovation. Dabei weichen die Grenzen zwischen der klassischen Prozess-IT und der Produkt-IT, die sich um die Fahrzeugentwicklung und das Engineering kümmert, spürbar auf.

Ansätze, in welche Richtung sich neue Geschäftsmodelle für individuelle Mobilität der Zukunft entwickeln könnten, zeigen beispielsweise Car-Sharing-Projekte wie Flinkster (Deutsche Bahn), Car2go (Mercedes und Europcar) oder Drive now (BMW und Sixt). Momentan unterscheiden sich diese Angebote noch stark hinsichtlich Abholung (Service-Station versus öffentlicher Parkplatz im Geschäftsgebiet) und Abrechnungsmodell (Minutenpreise inklusive Kraftstoff versus Stundenpreise plus kilometerabhängige Verbrauchspauschalen etc.).

Car2go mit Daimler und Drive now mit BMW

Das verwundert angesichts des Pilotcharakters nicht und erinnert sehr an die Tarifvielfalt im Mobilfunk. Das Interesse der 18-35-Jährigen an diesen Pilotprojekten ist groß. In Ulm hatten sich nach einem Jahr Nutzung etwa ein Drittel der Menschen dieser Zielgruppe für Car2go registriert. In München begrüßte Drive now im November 2011 das 10.000 Mitglied.

Da die Benutzer zukünftig jedoch zumindest Angebote für deutschlandweite Mobilität einfordern dürften, ist zu erwarten, dass übergreifende Service-Angebote entstehen. Auch Mobilitätspackages, die beispielsweise aufbauend auf einem Fahrzeugleasing auch vergünstigte Car-Sharing-Einheiten (Flatrate, Kilometerpauschalen oder Zeitpauschalen) enthalten, sind denkbar.

Dass neben dem Kerngeschäftsmodell auch andere hochinteressante Bewegungsdaten für Mobilitätskonzepte und Marketingservices gewonnen werden können, liegt auf der Hand.

Mehr Sicherheit

Neben den Komfort- und Mobilitätsservices vor oder nach dem eigentlichen Fahren sorgt das vernetzte Fahrzeug auch für mehr Sicherheit - vorausgesetzt, dass sich der Fahrer nicht durch Multitasking am Smartphone selber ablenkt. Moderne Autos lösen Notrufe aus, sie übermitteln Informationen über die Schwere des Unfalls sowie die Zahl der betroffenen Personen an eine Leitstelle und geben die exakte Position an.

Im Luxus-Segment können die Autos bei Nacht schon heute weiter sehen als der Fahrer, sie warnen vorausschauend vor Staus und bremsen bereits dann, wenn der Fahrer eine Gefahr noch gar nicht erkannt hat (Stichwort Fahrerassistenzsysteme). Neun von zehn Innovationen im Fahrzeug basieren inzwischen auf Elektronik. Mehr und mehr integrierte Systeme übernehmen als elektronische Helfer Funktionen, die früher mechanisch geregelt wurden.

Open-Source-Entwicklungsplattform für Infotainment

Dass viele IT-Anbieter hier große Chancen sehen, zeigen Allianzen wie der Branchenverband Genivi, der sich für die Einführung einer Open-Source-Entwicklungsplattform für Infotainment in Fahrzeugen (IVI - In-Vehicle-Infotainment) auf breiter Basis einsetzt.

Immer mehr Fahrzeuge werden mit einem drahtlosen Internet-Zugang ausgestattet. Bereits seit geraumer Zeit bieten Fahrzeughersteller breitbandige Mobilfunk-Datenverbindungen zu hauseigenen Services an - wie ConnectedDrive von BMW. Mittelfristig könnte sich die Zugangstechnik von den Angeboten der Autohersteller emanzipieren.

Zukünftig könnten Services auch im freien Handel ihre Kunden finden - als Teil von After-Sales-Angeboten. An diesen Servicemodellen könnten auch IT-Service-Dienstleister partizipieren. Die Nutzung kann dabei über Apps und Fahrerinteraktion erfolgen oder auch auf Fahrzeuginformationen direkt aufsetzen.

Prozessketten optimiert

In den vergangenen zehn Jahren lag im Automobilsektor große Aufmerksamkeit auf der Optimierung der Prozessketten innerhalb der Unternehmen sowie im Zusammenspiel mit den Zulieferern. Aus dem Druck heraus, kontinuierlich mehr Produkte mit einer immer größer werdenden Variantenvielfalt in ständig kürzeren Entwicklungszyklen auf den Markt zu bringen, dürfte sich die Fokussierung auf einen effizienten IT-Betrieb weiter fortsetzen.

Das betrifft nicht nur den OEM, sondern die komplette Wertschöpfungskette, und öffnet Chancen für externe IT-Beratungs- und IT-Service-Unternehmen sowie Anbieter von Technologie-Beratung und Engineering Services, weil die Automobilhersteller ihre Leistungstiefe sowohl in der IT als auch in der Fahrzeugentwicklung tendenziell weiter reduzieren.

Geschäftsmodelle rund ums Auto ändern sich

Die Entwicklungen von Car-IT-Themen, Elektromobilität sowie der Vernetzung rund um das Auto (Car Sharing etc.) zeigen, dass die klassischen IT-Themen sowie die Technologie-Beratung und Engineering Services immer stärker miteinander verzahnt werden. Die Geschäftsmodelle rund um das Auto verändern sich über die Grenzen der verschiedenen Disziplinen hinweg. Die Chance, durch übergreifende Kompetenzen stärker wachsen zu können, haben große IT-Anbieter erkannt.

In gleicher Weise bauen Anbieter von Technologie-Beratung und Engineering Services ihre IT-Kompetenzen aus. Beispiele dafür sind Systemdienstleister wie Altran, Alten, Bertrandt, oder EDAG, die auch unternehmerisches Risiko für die Entwicklung übernehmen. Auch hybride Anbieter wie Tieto, mittelgroße Anbieter wie Industriehansa oder die OSB AG aus München oder auf Ressourcen-Unterstützung spezialisierte Dienstleister wie Yacht-Teccon oder Brunel setzen auf die Verbindung von Engineering-Kompetenz mit IT-Beratungs-Know-how.

OEMs sollten sich schrittweise erneuern

Vieles spricht dafür, dass die Veränderungen im Ökosystem der Automobilbranche und der Geschäftsmodelle nicht mehr aufzuhalten sind. Damit beginnt eine neue Form des Wettbewerbs, dem sich vor allem die kleineren IT- und Engineering-Anbieter stellen müssen. Für die OEMs kommt es darauf an, ihre Geschäftsmodelle schrittweise zu erneuern. Die IT wird dadurch deutlich an Bedeutung gewinnen.

Hartmut Lüerßen ist Partner bei Lünendonk in Kaufbeuren.