Mythos entlarvt

Forscher: Top-Manager haben weniger Stress

22.01.2013 von Werner Kurzlechner
Mit dem Aufstieg wachsen Verantwortung und Stress - dachte man. Harvard- und Stanford-Forscher verweisen die vermeintliche Erkenntnis nun ins Reich der Fabeln.
Oben auf der Karriereleiter lebt es sich entspannter, als man bisher dachte.
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Na, geschafft, CIO! Für die meisten IT-Profis ist das bekanntlich die höchste Sprosse auf der Karriereleiter, die sie erklimmen wollen. Also, CIO – die Erfüllung aller Träume? Sicherlich, irgendwie schon. Gut, manchmal keimt vielleicht doch ein bisschen Neid auf – auf die anderen Top-Manager, die noch mehr Entscheidungsfreiheit genießen, auf den CEO vor allem. Und dann ist da ja noch der bekanntlich enorme Stress, dem man als Top-Führungskraft ausgesetzt ist. Das Leiden an der Verantwortung, das einen krank macht. Burn-out – nannte man das nicht mal „Managerkrankheit“?

Vergessen Sie es! Alles ein Klischee, behauptet eine Riege amerikanischer Forscher aus Harvard, von der University of California in San Diego und von der Stanford University. Das Gegenteil sei der Fall: je höher die Führungsposition, umso niedriger das Stressniveau. Eine These, die immerhin das argwöhnische Schielen auf den Vorstandschef rechtfertigt.

Mehr Autorität bedeutet mehr Freiheit zum Delegieren

Der Managerstress sei ein Mythos, sagen also Gary D. Sherman, Jooa J. Lee, Amy J.C. Cuddy, Jonathan Renshon, Christopher Oveis, James J. Gross und Jennifer S. Lerner. Die Legende gehe exakt auf das Jahr 1981 zurück, als in der Harvard Business Review festgestellt wurde, dass Spitzen-Führungskräfte mehr Stress aushalten müssten als andere. Empirisch sei dies in den vergangenen 31 Jahren aber niemals nachgewiesen worden, weil es schlichtweg an genügend großen Vergleichsgruppen gefehlt habe.

„Tatsächlich scheint das Stress-Niveau zu sinken, je höher Führungskräfte auf der Karriereleiter steigen“, schreiben die Forscher. Wer mehr Autorität und damit mehr Freiheit zum Delegieren seiner alltäglichen Aufgaben habe, tue sich leichter. Stressmindernd wirke sich vor allem auch das erhöhte Gefühl von Kontrolle aus, das man auf höchster Ebene hat. „Eine psychologische Komponente, die bekanntlich Stress reduziert“, so die Autoren.

Für die aktuelle Studie stellte sich eine Reihe von Regierungs- und Militärmitarbeitern zur Verfügung. Die Forscher suchten dazu eine in Alter, Geschlecht und ethnischer Herkunft adäquate Vergleichsgruppe zusammen. Führungskräfte seien in beiden Gruppen zu finden, so die Wissenschaftler.

Niedriges Stress-Niveau möglicherweise als Chef besser geeignet

In einem ersten Test wurden insgesamt 216 Studienteilnehmer in zweifacher Weise geprüft. Zum einen maßen die Forscher jeweils den Pegel am Stresshormon Cortisol im Körper, zum anderen führten sie einen psychologischen Test zu den Ängsten der Probanden durch. Ein zweiter Test fokussierte sich auf 75 Führungskräfte und fragte danach, inwieweit Stressniveau und Stufe der Führungsposition korrelierten.

Das Ergebnis: je höher die Position, umso niedriger der Level an Stress. Der Zusammenhang ergebe sich aber nicht allein dadurch, eine größere Zahl von Untergebenen zu befehligen. „Es kommt auch darauf an, eine Position zu erlangen, in der man die Aufsicht über Mitarbeiter an andere Führungskräfte delegieren kann“, heißt es in der Studie.

Es sei die Mischung aus Macht und der Möglichkeit zum Delegieren, die den Unterschied ausmache, so die Forscher. Sie weisen indes darauf hin, dass nicht unbedingt ein kausaler Zusammenhang vorliegen müsse. Es könne auch sein, dass Menschen mit ohnehin niedrigem Stressniveau geeigneter für Führungsposition seien und häufiger als andere tatsächlich nach den höchsten Positionen strebten. „Dennoch ist davon auszugehen, dass auch diese Manager von den vielen psychologischen Vorteilen profitieren, die mit einer Rolle im Top-Management einhergehen“, lautet das Fazit der Wissenschaftler.