Wolfgang Ischinger über den Cyberkrieg

"Früher hätte man Geiseln genommen"

16.12.2014 von Christof Kerkmann
Viele Kriege toben auch im Internet: Terroristen werben online Nachwuchs, Stromnetze sind für Cyberattacken anfällig. Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger fordert, dass der Westen aufrüstet und sich notfalls wehrt.

Wolfgang Ischinger hat den Kalten Krieg als Diplomat miterlebt und die deutsche Außenpolitik über Jahre mitgestaltet- nun beobachtet der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, wie das Internet zum Schlachtfeld der Zukunft wird. Im Interview spricht er über die Gefahren von Cyberangriffen aufs Stromnetz und warum Abschreckung auch im digitalen Zeitalter wirkt. Das Gespräch wurde auf dem Cybersecurity Summit der Deutschen Telekom geführt.

Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger: "Ist der Cyberangriff nicht genauso zu werten wie ein klassischer militärischer Angriff?"
Foto: Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (gemeinnützige) GmbH

Herr Ischinger, wie wirken sich die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten auf die Cybersicherheit aus?

Wir haben ein neues Spielfeld für militärische Akteure. Das wird seit geraumer Zeit befürchtet, aber wir erleben 2014 zum ersten Mal massiv und an mehrere Stellen eine hybride Kriegsführung.

Diplomat durch und durch: Wolfgang Ischinger -
Leiter der Sicherheitskonferenz
2008 ließ sich Ischinger vom diplomatischen Dienst beurlauben und übernahm den Vorsitz der renommierten Münchner Sicherheitskonferenz.
Botschafter in Washington und London
Auch als Botschafter war Ischinger tätig, von 2001 bis 2006 in den USA, dann in Großbritannien.
Staatssekretär unter Schröder
Ischinger leitete ab 1993 den Planungsstab im Auswärtigen Amt, 1995 stieg er zum Ministerialdirektor und Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes auf. Als solcher leitete er beispielsweise die deutsche Delegation bei den Friedensverhandlungen im Bosnien-Konflikt. Im Oktober 1998 wurde Ischinger Staatssekretär im Kabinett Schröder.
Karriere als Diplomat
1975 begann Ischinger beim Auswärtigen Amt. Nach mehreren Stationen übernahm er 1987 die Leitung des Parlaments- und Kabinettsreferats im Ministerium. 1990 wurde er zum Gesandten ernannt und diente als Leiter der Politischen Abteilung der Deutschen Botschaft in Paris.
Gelernter Jurist
Wolfgang Ischinger kam 1946 in Beuren, Baden-Württemberg, zur Welt. Er studierte zunächst Jura und widmete sich dann dem Völkerrecht. Anschließend arbeitet er von 1973 bis 1975 im Kabinette des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim in New York.

Was heißt das?

Das ist eine neuartige Mischung. Es gibt klassische Instrumente der Kriegsführung - sprich: Panzer, Mörser, uniformierte Soldaten. Und es gibt Menschen, die nicht als Soldaten erkennbar sind. Das macht sich zum Beispiel bemerkbar bei der Rekrutierung von Terroristen übers Internet. Die meisten Leute werden nicht von Personen angeheuert, sondern mit diesen wahnsinnigen Bildern von Enthauptungen geködert. Das Netz wird zudem benutzt als Instrument zur massiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung, in einer Weise, von der Herr Goebbels nur träumen konnte.

Welche Gefahren sehen Sie konkret?

Wir müssen damit rechnen, dass Gruppen, die ohnehin internetaffin sind, offensive Mittel der Cybertechnologie anwenden und ihren Gegnern Schaden hinzufügen. Wenn der Krieg als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung nach Europa zurückgekehrt ist, dann wird es nicht lange dauern, bis diese modernen Möglichkeiten zumindest wirtschaftlichen Schaden hervorrufen. Das ist die schöne neue Welt, vor der wir uns sehen.

Drohen auch Deutschland Cyberangriffe?

Lassen Sie mich die Frage zurückstellen: Würden Sie eine Wette eingehen, dass der sogenannte Islamische Staat nicht solche Mittel einsetzen würde, um Italien, Griechenland oder auch Deutschland unter Druck zu setzen? In früheren Konflikten hätte man Geiseln genommen. Stattdessen wäre das Lahmlegen eines Kraftwerks oder einer Fabrik eine großartige Möglichkeit modernster Kriegsführung. Nach dem Motto: Ihr werdet sehen, was euch das kostet, wenn ihr so weiter macht. Das ist eine moderne Beeinflussung des Gegners. Wir müssen für solche neuartigen Fragestellungen nicht nur technologisch gerüstet sein, sondern auch politisch-psychologisch. Wie sollen auf solche Propaganda-Aaktivitäten reagieren?

Sind wir wenigstens technologisch gerüstet gegen solche Sabotageakte?

Sicher nicht gut genug. Es hilft ja nichts, wenn in Deutschland kein einziges Kraftwerk übers Internet erreichbar wäre, wenn gleichzeitig in einem unserer europäischen Nachbarländer das Licht ausgeht - wir sind ja vernetzt, was die Gas- und Stromleitungen angeht, was die Kommunikationsnetze angeht. Wenn der große Internetknoten in Frankfurt aus welchen Gründen auch immer für ein paar Stunden ohne Strom wäre, würde die gesamte europäische Bankenindustrie lahmgelegt werden. Das ist ein Thema für die gesamte Europäische Union und für die Nato.

"Zur Verteidigung gehört Abschreckung"

In den USA gibt es die Diskussion Angriffe übers Netz als kriegerische Akte aufzufassen. Müssen wir in diese Richtung denken?

Ich denke ja. In dieser schönen neuen Welt ist es möglicherweise nicht so schädlich, wenn ein Aufklärungsflugzeug die deutsche Grenze überfliegt, als wenn ein erfolgreicher Lähmungsangriff auf eine größere Infrastruktur erfolgt. Politisch stellt sich eine sehr komplizierte Frage: Ist der Cyberangriff nicht genauso zu werten wie ein klassischer militärischer Angriff - und bedarf er dann nicht derselben Antwort? Können wir dem Gegner wie im Kalten Krieg sagen: Wenn ihr Cyber-Methoden einsetzt, haben wir auch welche? Die Nato würde ihr Klassenziel verfehlen, wenn sie sich damit nicht beschäftigen würde.

Wir müssen also offensive militärische Fähigkeiten entwickeln?

Aber natürlich, alle machen es schon. Unsere Regierungen haben den Auftrag, die Bürger zu schützen. Dieser Schutz muss in erster Linie durch bessere Verteidigung gewährleistet werden. Aber zu einer umfassenden Verteidigung gehört eine Abschreckung. Das geht am ehesten, wenn Sie dem Gegner drohen können, dass es für ihn noch viel schlimmer ausgeht. Wir müssen zumindest die Möglichkeiten einer offensiven Nutzung des Cyberraums entwickeln.

Braucht es denn Regeln für solche Konflikte?

Wir haben im klassischen militärischen Bereich vieles durch Verträge ausgeschlossen, was technisch möglich wäre - der Weltraum darf nicht benutzt werden zur Stationierung von Waffen. Die EU wäre der ideale Initiator, um Regeln vorzuschlagen. Inwieweit man Russland, China und die USA unter einen Hut bringen kann, wage ich nicht zu prognostizieren. Aber es wird ein langer und steiniger Weg. Das war zu Beginn der Rüstungskontrolle in den 60er Jahren ebenso - da dachten auch einige, das könne nie funktionieren.

Wie verändert sich Diplomatie dadurch, dass Angriffe schwierig zurückzuverfolgen sind, und durch Spionage?

Das erste und grausamste Opfer ist das internationale gegenseitige Vertrauen. Nicht nur der Bürger verliert das Vertrauen in die Technologie. Die Verunsicherung existiert auch auf der diplomatischen Ebene: Wir wissen nicht mehr, wem wir vertrauen können. Wir wissen nicht, ob der Verhandlungspartner unsere Vorgespräche für die eigene Strategie nicht längst kennt. Das ist sehr bedauerlich. Besonders ärgerlich war das für meine Berufsgruppe ...

... die Diplomaten ...

dass viele als vertraulich gedachten Erkenntnisse und Zusammenfassungen plötzlich öffentlich bei Wikileaks präsentiert wurden. Das führte und führt zu größerer Geheimhaltung und damit zu nichts Gutem. Ich verstehe die Beweggründe derer, die volle Transparenz schaffen wollen. Aber sie haben unterschätzt, dass die Folge nicht mehr Transparenz, sondern mehr Geheimniskrämerei ist - leider. (Handelsblatt)