Voraussetzungen für einen gelungenen IT-Merger

Frühzeitig und offen informieren

25.02.2005 von Elmar Pritsch
Bei der Verschmelzung mehrerer regionaler Energieversorger zum neuen Konzern Vattenfall Europe blieb in der IT-Organisation kein Stein auf dem anderen. Auch deshalb, weil in der Branche aus "Stromabnehmern" inzwischen Kunden geworden sind. Entscheidend für das Gelingen dieses Prozesses war die frühzeitige Einbindung der Führungskräfte, die die Geschäfte eines neuen integrierten IT-Dienstleisters verantworten.

Die Deregulierung der Energiewirtschaft hat zu starken Veränderungen in der europäischen Versorgungslandschaft geführt. Wettbewerb mit entsprechendem Preisverfall, hoher Kostendruck sowie Übernahmen, Veränderungen der Beteiligungsverhältnisse und Zusammenschlüsse prägen diesen Industriebereich im beginnenden dritten Jahrtausend. Neue Unternehmen und Marken sind entstanden, der Kunde als solcher wurde überhaupt erst entdeckt.

Das hatte zwangsläufig entsprechende Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse. In der Informationsverarbeitung wurden Wettbewerbsfähigkeit, Veränderungsgeschwindigkeit und Flexibilität zum bestim- menden Moment. Für viele Energieversorgungsunternehmen (EVUs) war diese Veränderung aus eigener Kraft nicht zu bewältigen. Insbesondere Unternehmen unterhalb einer kritischen Größe waren nicht mehr in der Lage, das spezifische IT- und Prozess-Know-how wirtschaftlich vorzuhalten.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Gründung und der Aufbau der Vattenfall Europe als drittgrößtes Energieversorgungsunternehmen in Deutschland einzuordnen. Die im Konzern neu gebündelten Unternehmen besaßen vorher jeweils eine eigene IT-Abteilung beziehungsweise Tochtergesellschaften mit entsprechendem Fokus. Zur Bildung der gemeinsamen IT-Gesellschaft Vattenfall Europe Information Services (VE IS) sollten daher die intern angesiedelten IT-Einheiten der HEW und LAUBAG mit den Töchtern von Bewag und GASAG (BerlinDat) und der VEAG (ifsc) bis Herbst 2003 zu einer rechtlich selbständigen IT-Gesellschaft zusammengeführt werden.

Klare Zielsetzung

Ein wichtiger Erfolgsfaktor war zunächst die frühzeitige Festlegung und Kommunikation einer klaren Zielsetzung - nämlich die Bildung einer rechtlich selbständigen IT-Gesellschaft für den Vattenfall-Europe-Konzern durch die Fusion der vier bis dato autarken einzelnen IT-Einheiten. Für die neu zu etablierende IT-Gesellschaft wurde vor Beginn des Fusionsprozesses (Anfang 2002) im Rahmen einer detaillierten Geschäftsfeldbeschreibung das Unternehmensmodell definiert. Darin fanden sich die strategische Grundausrichtung und quasi das Pflichtenheft: Produktportfolio eines Full-Service-IT-Dienstleisters, überregionale Führung der Gesellschaft mit regionalen Standorten und dezentraler Leistungserbringung, Profitcenter mit voller Gewinn- und Verlustveranwortung, die rechtliche Organisationsform als 100-prozentige Holding-Tochter mit Geschäftsfokus auf Vattenfall Europe, aber - last, but not least - auch der "Auftritt" am externen Markt. Auch die Organisationsstruktur des IT-Dienstleisters ist bereits in dieser frühen Phase festgelegt worden. Ebenso bedeutsam war auch eine andere Entscheidung: Sobald die Geschäftsführung der VE IS benannt worden war, übernahm diese die Leitung des Fusionsprojektes.

Stringente Führung und Entscheidung

Die Einrichtung einer engen Koordinations- und Berichtsstruktur zur internen Steuerung des Projektes trug ebenfalls zum Erfolg bei. So berichteten alle Projektteams im festgelegten (wöchentlichen) Turnus einem Entscheidungsgremium aus je zwei Management-Mitgliedern der vier IT-Einheiten über ihre Fortschritte. Dieses Verfahren ermöglichte zügige Entscheidungen und die standortübergreifende Koordination der Projektergebnisse. Auch Konflikte, die naturgemäß im Rahmen von Fusionen auftauchen, konnten mit Hilfe dieses Gremiums kurzfristig eskaliert und dann über die Grenzen der vier IT-Einheiten hinweg gelöst werden.

In einem Zeitraum von eineinhalb Jahren wurden in drei Phasen die Organisationsgrundlagen und -strukturen der VE IS festgelegt. Neben der engen zeitlichen Rahmenvorgabe war auch die Reihenfolge der einzelnen Phasen entscheidend für den erfolgreichen Aufbau. So stand zu Beginn die Etablierung der neuen Führungsstruktur. Dadurch sollten die Projektarbeit und der Aufbau der neuen Organisationseinheiten in die Verantwortung der zukünftigen Führungskräfte / Profitcenterleiter gelegt werden. Nach der Benennung der Führungskräfte präzisierten diese in der zweiten Phase die Aufbauorganisation durch detaillierte Leistungsbeschreibungen der einzelnen Organisationseinheiten, die darauf aufbauende Zuordnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Erstellung eines Wirtschaftsplans je Profitcenter. Abgestimmt auf die detaillierte Aufbauorganisation wurden in der dritten Phase mit Experten aller IT-Einheiten die Kernprozesse harmonisiert.

Auswahl der Führungskräfte

Die Führungspositionen wurden in einem einheitlichen, objektivierten Auswahlverfahren (Management Appraisals für leitende Angestellte, Assessments für darunter liegende Führungspositionen) besetzt, das alle Bewerber ohne Vorauswahl durchliefen. Zur Steigerung der Akzeptanz der Entscheidungen waren an der Bewertung und Auswahl der Führungskräfte Vertreter aller vier Herkunftsunternehmen beteiligt. Eine enge Zusammenarbeit mit den Betriebsräten brachte den Prozess zügig voran. An dieser Stelle sollte noch einmal betont werden, dass die frühzeitige Auswahl und Benennung der Führungskräfte sowie ihre sofortige Einbindung in die Projektarbeit letztlich mitentscheidend für den Erfolg des Projektes war. So konnten sie sich aktiv am Aufbau der neuen Strukturen und Prozesse beteiligen, die sie später verantworten sollten und bereits bei der Ausgestaltung ihrer Organisationseinheit darauf achten, dass diese später wirtschaftlich arbeiten.

Frühzeitige Harmonisierung

Die Realisierung von Synergieeffekten bei gleichzeitig hoher Flexibilität in der dezentralen Leistungserbringung legte eine einheitliche, überregionale Organisation mit regionalen Standorten für die VE IS nahe. Als Grundlage für die Erarbeitung der Organisations- und Führungsstruktur dienten die in der Grafik dargestellten Gestaltungsprinzipien.

Zur frühzeitigen Realisierung von Synergieeffekten wurde die neue Organisationsstruktur nicht erst mit dem Abschluss der rechtlichen Fusion im Herbst 2003 eingeführt, sondern bereits ab Januar 2003 in allen vier IT-Einheiten. In dieser "virtuellen Organisation" startete der operative Betrieb der VE IS schon neun Monate vor der gesellschaftsrechtlichen Fusion.

Experten aus allen vier Herkunftsunternehmen identifizierten entlang der Wertschöpfungskette die Top-10-Kernprozesse. Nach der Definition und Beschreibung des "Solls" in entsprechenden Prozessteams wurden diese im Prozesshandbuch dokumentiert und veröffentlicht. Gemeinsam mit den Prozess- verantwortlichen entstand daraus ein Maßnahmenkatalog aus Implementierungsprojekten, Informationsveranstaltungen und Schulungen. Die harmonisierten Prozesse wurden parallel zur neuen Organisationsstruktur in den vier IT-Einheiten eingeführt. Die frühzeitige Harmonisierung von Organisation und Prozessen war für die zügige Integration der vier IT-Einheiten entscheidend und ermöglichte bereits vor der Vollendung der rechtlichen Fusion die Realisierung erheblicher Kostensenkungspotenziale.

Business Planung hilfreich

Die ersten beiden Geschäftsjahre der VE IS haben gezeigt, dass die Entscheidung, nicht nur die Gesellschaft insgesamt als Profitcenter zu steuern, sondern auch die einzelnen operativen Organisationseinheiten, für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens entscheidend waren. In beiden Berichtszeiträumen wurde ein positiver Ergebnisbeitrag erzielt und die Wettbewerbsfähigkeit der VE IS auch im externen Markt gesteigert.

Zur Umsetzung dieses Steuerungsprinzips wurden Businesspläne je Organisationseinheit entwickelt. Diese Aufgabe wurde ebenfalls von den neuen Profitcenter-Leitern übernommen. In einem iterativen Bottom-up-Verfahren wurden detaillierte Wirtschaftspläne auf Basis von Leistungsbeschreibung und Personalzuordnung erstellt. Daraus wurden wiederum je Einheit Steuerungsgrößen und Zielvereinbarungen für das folgende Geschäftsjahr abgeleitet.

Neuregelung der Dienstleistungsbeziehungen

Als ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor für den Start der neuen IT-Gesellschaft stellte sich die komplette Neuregelung der Dienstleistungsbeziehungen heraus. Die einschlägige Vertragsarchitektur in den beiden Tochtergesellschaften BerlinDat und ifsc war sehr unterschiedlich, während in den internen IT-Abteilungen überhaupt keine Vertragsstrukturen existierten. In einem mehrstufigen Abstimmungsprozess mit den Vattenfall-Europe-Kunden (Business Units, Shared Service Center, Töchter) wurden eine konzernweit einheitliche Vertragsarchitektur vereinbart und deren Einzelbestandteile (Rahmenvertrag, Service Level Agreements) erarbeitet. Die Definition der Inhalte in Angebots- und Vertragsprozess sowie die Abbildung aller standardisierten Dienstleistungen in einem Katalog mit harmonisierter Preis- und Leistungsstruktur steigerte die Transparenz der erbrachten IT- und TK-Leistungen. Gleichzeitig bildete dies eine wichtige Grundlage für eine wirtschaftliche Leistungserbringung.

Nutzen für die Organisation

Was bleibt als Fazit? Der Vattenfall-Konzern hat von der Gründung der VE IS als integrierter IT-Tochter vielfach profitiert. Die klare Aufgabenteilung zwischen Strategie, operativer IT und IT-Verantwortung verminderte Redundanzen und steigerte die Effizienz. Die Professionalisierung der Dienstleistungsbeziehung verbesserte die qualitative Beschreibung der Inhalte im Angebots- / Vertragsprozess. Gleichzeitig konnte der Anteil von "Nice-To-Have-Lösungen erheblich reduziert werden. Und es gelang, durch die Steuerung als Profitcenter, einem kontinuierlichem Benchmarking und die Erfahrungen im Non-Konzern-Geschäft die Wettbewerbsfähigkeit der VE IS zu steigern.

Neben dem qualititativen Nutzen wurden aber auch quantitativ überzeugende Ergebnisse erzielt. So ergab sich durch gezielte Konsolidierungsmaßnahmen bei den Rechenzentren, im User-Help-Desk-Bereich sowie bei einzelnen Applikationen und durch die Optimierung des Fremdleistungseinkaufs eine jährliche Kosteneinsparung von 20 Prozent.

Lessons Learned

Natürlich rufen umfassende Wandelprozesse bei den Beteiligten Verunsicherungen und Ängste hervor, mitunter auch Widerstand. Es kommt zu Konflikten, da Altbewährtes und Vertrautes aufgegeben werden muss. Durch schnelle, transparente sowie offene Information und Kommunikation beim Aufbau der VE IS wurden jedoch Verunsicherungen abgebaut, die Konflikte transparent diskutiert. Besonders bewährt haben sich Informationsveranstaltungen und Chats, bei denen die Geschäftsführung persönlich über Fortschritte und Änderungen informierte.

Neben dem offenen Austausch war auch die Förderung des Integrationsprozesses wichtig. Schließlich trafen im neuen IT-Unternehmen vier unterschiedliche Kulturen aufeinander. Daher wurde von Anfang an großer Wert darauf gelegt, Mitglieder aller Herkunftsunternehmen an der Projektarbeit und in den Entscheidungsgremien zu beteiligen. Die standortübergreifende Zusammenarbeit förderte die Integration bereits während der Aufbauphase ebenso wie speziell dafür ergriffene projektbegleitende Integrationsmaßnahmen - etwa ein Integrations-Management-Programm für alle Führungskräfte.

Neben den beschriebenen Erfolgsfaktoren erwies sich auch der Einsatz einer Unternehmensberatung in der gesamten Konzeptionsphase und - themenbezogen - auch in der Umsetzungsphase als sehr hilfreich.