Dematic

Funketiketten sichern Pharma-Branche

31.05.2006
Plagiate, Fälschungen, Re-Importe: Bis zu einem Zehntel ihrer Umsätze gehen der US-Pharma-Industrie durch illegalen Zwischenhandel verloren. Jetzt steuern US-Behörden dem entgegen – sie empfehlen Radio Frequency Identification (RFID) zur Kontrolle der Lieferkette. Europa steht in den Startlöchern.

Pfizer Pharmaceuticals will Produktfälschern das Handwerk legen. Seit Dezember 2005 klebt der US-Konzern auf alle Viagra-Packungen programmierbare Funketiketten, so genannte RFID-Tags, die das Potenzmittel eindeutig als Original ausweisen. Sämtliche Verpackungen ohne Tag können Händler auf diese Weise sofort als Kuckuckseier identifizieren.Aber auch weniger offensichtliche Fälschungsversuche vereiteln sie nun frühzeitig, indem sie die digitalen Codes der Tags über eine sichere Website direkt mit dem Hersteller abgleichen. Elektronischer Herkunftsnachweis („E-Pedigree“) heißt das RFID-gestützte Verfahren, auf das Pfizer setzt.„E-Pedigree trägt dazu bei, die Sicherheit von Patienten zu verbessern und die Öffentlichkeit zu schützen, weil es Groß- und Einzelhändlern ermöglicht, verdächtige Medikamente schnell zu identifizieren, auszusortieren und publik zu machen“, erklärt das Unternehmen.

Das Potenzmittel Viagra ist kein Einzelfall. Lifestyle- Medikamente, Psychopharmaka, Hormonpräparate, Krebs- und Aids-Medikamente gelten als besonders gefährdete „Blockbuster“ für die Fälscher. Experten schätzen, dass die Piraterie die Pharma-Hersteller weltweit inzwischen bis zu 40 Milliarden Euro kostet. Das sind zehn Prozent der Gesamtumsätze. In den USA wurden im Jahr 2004 mehr als 30 Fälle von Fälschungen und nochmals 30 Fälle von illegal eingeführten Originalpräparaten entdeckt. In Großbritannien zählten die Ermittler 14 Fälschungen, auch in Deutschland bereits sieben – jeweils mit hoher Dunkelziffer.

Funketiketten schaffen Transparenz

Deshalb wird das RFID-gestützte Konzept auch hier bald nicht mehr wegzudenken sein, so die Einschätzung von Hans-Christoph Dönges, der als Leiter des Competence Centers IT-Lösungen beim Logistikspezialisten Dematic gewissermaßen in der Pharma-Industrie „zu Hause“ ist. Knapp 40 Prozent ihres Umsatzes macht Dematik in den USA, zum Großteil mit Pharma-Herstellern wie GlaxoSmithKline, Sanofi-Aventis und Walgreens. Am Thema RFID führt für Dönges, der sich in seinem Unternehmen um die Erschließung neuer Geschäftsfelder kümmert, daher kein Weg vorbei. „RFID hebt die Transparenz in der Lieferkette auf ein völlig neues Niveau“, sagt Dönges. „Zudem automatisiert die Technologie die Dokumentation aller Lieferschritte.“

Pfizer macht es vor: Mit Hilfe von RFID will der Konzern nun eine direkte Informationsbrücke zu den Händlern schlagen, um der Entwicklung, die durch eine vielschichtige und undurchsichtige Lieferkette in der Pharma-Branche befördert wird, entgegenzuwirken. In den USA gehen Behörden und einzelne Bundesstaaten sogar noch weiter: Um Patienten vor vielleicht lebensgefährlichen Fälschungen zu bewahren, aber auch um eigene Steuereinnahmen zu schützen, fordern sie die völlige Transparenz im Zwischenhandel. Eine erste Implementierungsstufe, die die Dokumentation aller Wareneingänge und -ausgänge bei jedem Glied der Lieferkette regelt, wird in Florida im Juli 2006 verpflichtend.

US-Behörde FDA empfiehlt RFID

Die Food and Drug Administration (FDA) bemüht sich darüber hinaus um einen einheitlichen technologischen Standard, der eine lückenlose Dokumentation gewährleistet. Zwar würden diesem Anspruch grundsätzlich auch Papierformulare oder Barcodes gerecht. Ein schneller Informationsaustausch wäre so jedoch nicht möglich. Die FDA empfiehlt daher mit RFID eine junge Technologie, die in der Praxis nur wenig erprobt ist.Die euro-päischen Behörden dagegen reagieren noch abwartend. Ihr Handlungsdruck ist zumindest auf dem Papier geringer, da weniger Fälschungen entdeckt wurden.

Gegen eine Fälschung der RFID-Tags ist technisch angeblich ausreichend vorgesorgt. Jedes Funketikett enthält eine „Unique-ID”, die vom Hersteller jeweils nur einmal vergeben wird und zusammen mit einer Medikamenten- Kennung die Ware eindeutig identifiziert. Um ein Aushorchen während der Übertragung zu verhindern, können die Codes zusätzlich verschlüsselt werden. Ein weiterer Vorteil liegt in der flexiblen Handhabung. Anders als etwa Barcodes, die nur bei freier Sicht auf das Etikett gescannt werden können, lassen sich RFID-Tags über mehrere Meter hinweg und sogar im Pulk eines Kartons auslesen. Leistungsstarke RFID-Antennen sind in der Lage, bis zu 50 Tags pro Sekunde zu erkennen, ohne den Karton zu öffnen und Einzelverpackungen in die Hand zu nehmen – eine echte Innovation für ein alltägliches Szenario. Denn je nach Handelsstufe werden Arzneimittel auf Paletten oder in Einzelkartons transportiert. Im Wareneingang werden die Liefereinheiten gegen eine Art elektronisches Verzeichnis – ein „Avis“ – überprüft, das der Lieferant bereits im Voraus übermittelt hat und die Codes aller Medikamentenverpackungen beinhaltet. Wurden Verpackungen während des Transports nicht manipuliert, erfüllt die Methodik die Anforderungen des E-Pedigree. Vollständige Sicherheit ergibt sich jedoch erst durch die Überprüfung einzelner Ampullen.

Tests mit RFID-Lesegeräten in USA

Die Materialeigenschaften der Medikamente schränken die Reichweite von RFID jedoch oft ein. Besonders wässrige Flüssigkeiten und Metall dämpfen die Funksignale und mindern unter Umständen die Lesegeschwindigkeit und -qualität. Die Frequenz, mit der das RFID-System arbeitet, ist daher von entscheidender Bedeutung. Bei Flüssigkeiten beispielsweise lassen sich die besten Ergebnisse bei einer Frequenz von 13,56 Megahertz erzielen. Bis 2007, so planen die FDA und führende RFIDLösungs- Anbieter, sollen alle Hersteller, Groß- und Einzelhändler sowie Krankenhäuser in den USA mit RFIDLesegeräten ausgestattet sein. Umfangreiche Test laufen bereits. So hat der US-Dienstleister für Authentifizierung Aegate Ltd. die Praktikabilität des Konzeptes bereits bei 40 Apotheken im Staat New York gestestet. Aegate bringt dabei ein Lesegerät zum Einsatz, das sowohl RFID-Tags als auch Barcodes lesen kann.

Diese Doppelstrategie zollt der Tatsache Tribut, dass RFID-Technologie derzeit zehnmal mehr kostet als die Barcode-Infrastruktur. Dennoch rechnen Experten wie Dematic-Mann Doenges damit, dass sich der Aufwand vor allem für Pharma-Hersteller lohnt. Erstens, weil die Produktpiraterie für sie dramatische Folgen hat. Abgesehen von direkten Umsatzeinbußen müssen sie Trittbrettfahrerei mit Rückrufaktionen, Gerichtsprozessen und Kursverlusten ihrer Firmenaktien teuer bezahlen.

Zweitens, weil ihnen die Automatisierung der Prozesskette operative und nachrichtliche Vorteile liefert, die ihnen bislang nicht zur Verfügung standen. Studien im Konsumgüterbereich haben deren Potenziale bereits aufgezeigt. So rechnet der Handelskonzern Metro vor, dass sich die Annahme einzelner Paletten um 20 Prozent, die Entladung eines LKW mit allen nötigen Büroarbeiten um bis zu 80 Prozent schneller machen lassen.

Wal-Mart sichert sich Vorsprung durch RFID

Wal-Mart wiederum, das größte Handelsunternehmen der Welt, konnte die Nachschubversorgung seiner mit RFID ausgestatteten Filialen um den Faktor drei gegenüber den mit Barcode arbeitenden Filialen verbessern. Die Folge: Regale in den Verkaufsstellen blieben seltener leer, die „Out-Of-Stock“-Quote ging um 16 Prozent zurück. „Diese Entwicklung wirkte sich nicht nur positiv auf die Kundenzufriedenheit aus“, weiß Dematic- Experte Dönges, „sondern führte unmittelbar zu Umsatzsteigerungen.“
Frank Grünberg